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Der modrige Duft der alten Bücher

Von Kerstin Viering

Wissen

Das Aroma verrät, ob ein Werk schon zu zerfallen droht. | Neue Testmethode, um nicht Buchteile zerstören zu müssen. | London/Berlin. Die Nase in alte Bücher zu stecken, kann manchmal sehr aufschlussreich sein. Und dazu braucht man sie noch nicht einmal zu lesen. Matija Strli vom University College in London und seine Kollegen haben nur den leicht modrigen Geruch analysiert, der typischerweise aus den vergilbten Seiten aufsteigt.


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Dabei haben sie verräterische Aromen identifiziert, die für die Erhaltung von historischen Dokumenten interessant sind. Denn sie verraten, ob ein Buch in gutem Zustand ist oder demnächst zu zerfallen droht. Über den neu entwickelten Schnüffeltest für alte Schriftstücke berichten die britischen Forscher im Fachjournal "Analytical Chemistry" (Band 81, Seite 8617).

Lebensdauer von Papier ist sehr unterschiedlich

"Unter günstigen Umständen kann Papier ein sehr robustes Material sein, das Jahrtausende übersteht", erläutern die Chemiker in ihrer Studie. Die Lebensdauer hängt allerdings vom Herstellungsverfahren ab. So dürften die meisten zwischen 1850 und 1990 produzierten Seiten nach Einschätzung der Forscher nur ein Alter von hundert oder zweihundert Jahren erreichen. Denn aus den Papierfabriken dieser Zeit kamen Materialien, die sich wegen ihres hohen Säuregehaltes rasch selbst zerfressen.

Neben der Zusammensetzung des Papiers spielt aber auch der Lebenslauf jedes einzelnen Buches eine Rolle. Entscheidend ist dabei, unter welchen Bedingungen es wie lange aufbewahrt worden ist. Denn je nach Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtverhältnissen verändert sich das Papier im Laufe der Zeit, verschiedene Zerfallsprozesse kommen in Gang.

Es gibt eine Reihe von chemischen Indizien, aus denen Fachleute auf die Anfälligkeit und den schon erreichten Zersetzungsgrad von altem Papier schließen können. Dazu braucht man allerdings Proben des jeweiligen Materials, die bei der Untersuchung zerstört werden. Da man aus einem wertvollen historischen Buch aber nicht einfach ein Stück herausschneiden kann, haben Museen und Bibliotheken ein großes Interesse an neuen Analysemethoden, die ihren papierenen Schätzen keinen Schaden zufügen. Genau in diese Lücke stößt der neue Schnüffeltest der Londoner Wissenschafter.

Für die Nasen der Chemiker riechen die historischen Werke eben nicht nur muffig und verstaubt. "Eine Kombination von Gras-Aromen" wollen sie in dem Duftcocktail entdeckt haben, eine "scharfe Säurenote" und "einen Hauch Vanille". Das alles fügt sich aber nicht etwa zum Standard-Parfüm "Alte Bibliothek" zusammen. Denn kein Buch riecht wie das andere. Der Duft entsteht aus der Kombination von mehreren hundert flüchtigen organischen Verbindungen, die aus dem Einband und den Seiten strömen. Welche das sind, hängt unter anderem von der Zusammensetzung und Herstellungsweise des Papiers, von der Art der Bindung und von den schon abgelaufenen Zersetzungsprozessen ab.

Um das Aroma des Zerfalls genauer zu erfassen, haben die Forscher Proben von 72 historischen Papieren aus dem 19. und 20. Jahrhundert chemisch analysiert und dann bei Temperaturen von 80 Grad Celsius künstlich altern lassen.

Den dabei freigesetzten Duft-Cocktail haben sie aufgefangen und mit speziellen Trennverfahren in seine Bestandteile zerlegt. Die 15 häufigsten Komponenten haben sie dann genauer unter die Lupe genommen. Elf davon lieferten deutliche Hinweise auf direkte Zersetzungsprozesse oder auf chemische Eigenheiten, die den Zerfall begünstigen. Essigsäure und das nach Bittermandel riechende Furfural im Bücherdunst zeigen zum Beispiel einen hohen Säuregehalt des Papiers und damit eine hohe Zersetzungsgefahr an.

In Zukunft genügt eine Art Duft-Fingerabdruck

"Beim Entwickeln dieses Analyseverfahrens mussten wir noch Papierproben zerstören", räumen die Forscher ein. Künftig aber soll es genügen, ein Buch einfach in einen geschlossenen Behälter zu legen, die ausströmenden Gase aufzufangen und daraus eine Art Duft-Fingerabdruck zu erstellen. Der soll den Mitarbeitern von Museen und Bibliotheken dann verraten, ob sie ihre historischen Dokumente anders lagern oder mit chemischen Methoden vor weiterem Zerfall schützen müssen. Schließlich sollen ja auch künftige Generationen ihre Nasen noch in alte Bücher stecken können.