Viele unterschiedliche Wortmeldungen anlässlich der Selig-sprechung des letzten österreichischen Kaisers zeigen, dass es letztlich unmöglich ist, über das Leben und Wirken historischer Persönlichkeiten ein allgemein anerkanntes Urteil zu fällen.
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Am 3. Oktober wird Papst Johannes Paul II., der mehr Personen selig- oder heilig gesprochen hat als all seine Vorgänger zusammen, in Rom den letzten österreichischen Kaiser, Karl I., selig sprechen. Die Seligsprechung ist ein 55 Jahre dauernder Prozess vorangegangen. Sie bedeutet - im Gegensatz zur Heiligsprechung, mit der jemand weltweit zur Ehre der Altäre erhoben wird -, dass Karl dort verehrt werden kann, wo er tätig war, geboren wurde oder starb. Im Fall des letzten habsburgischen Monarchen sind dies das gesamte Gebiet der alten Donaumonarchie und die Insel Madeira.
Karl wurde am 17. August 1887 in Schloss Persenbeug an der Donau (Niederösterreich) als Großneffe von Kaiser Franz Joseph I. geboren. Von 1900 bis 1902 besuchte er, unüblich für einen Habsburger, das Wiener Schottengymnasium. Mit 16 Jahren begann seine Laufbahn in der österreichisch-ungarischen Armee. Zwei Jahre studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Prag. Im Oktober 1911 heiratete er Zita von Bourbon-Parma, der Ehe entstammten acht Kinder.
Überraschend rückte Karl in der Erbfolge vor und wurde im November 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, Kaiser. Sein erstes Manifest verkündete: "Ich will alles tun, um die Schrecknisse und Opfer des Krieges in ehester Frist zu bannen und die schwer vermissten Segnungen des Friedens meinen Völkern zurückzugewinnen."
Karls Bemühungen, ganz im Sinne des damaligen Papstes Benedikt XV., den Krieg rasch zu beenden, scheiterten. Sein Versuch, in Geheimverhandlungen über seinen Schwager Sixtus mit Frankreich und Italien zum Frieden zu kommen, wurde durch seinen Außenminister, Graf Ottokar Czernin von Chudenitz, der den Anschluss Österreichs an Deutschland anstrebte, hintertrieben.
Im November 1918 musste Karl abdanken, Versuche einer Restauration in Ungarn misslangen. Der letzte Herrscher der Donaumonarchie ging ins Exil auf die Insel Madeira, wo er am 1. April 1922 starb und in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte begraben liegt.
Karl Lebensmotto, zu dem er sich noch auf dem Totenbett bekannte, lautete: "Mein ganzes Bestreben ist immer, in allen Dingen den Willen Gottes möglichst klar zu erkennen und zu befolgen, und zwar auf das vollkommenste."
Historiker bescheinigen Kaiser Karl, der als einziges Staatsoberhaupt seiner Zeit Fronterfahrung hatte, dass keiner so wie er um Frieden bemüht war. Anerkannt werden auch seine Sozialgesetzgebung und seine persönliche Frömmigkeit. Kritisiert wird der von Karl zugelassene Einsatz von Giftgas an der Italien-Front, obwohl er damals völkerrechtlich noch keiner Konvention widersprach.
Unter dem Titel "Kaiser Karl - ,Selig, die Frieden stiften'" hat Eva Demmerle pünktlich zur Seligsprechung im Amalthea-Verlag eine umfangreiche Biografie (Wien 2004, € 24,90) veröffentlicht. Die Pressesprecherin des Kaisersohnes Otto Habsburg bringt darin auch ein Interview mit Otto. Er sieht in der Seligsprechung, an der auch Politiker, darunter aus Österreich eine von Nationalratspräsident Andreas Khol angeführte Delegation, teilnehmen, "primär eine religiöse Sache" und meint: "Es ist irgendwo sehr unverständlich, dass Menschen immer noch glauben, dass es da um Politik geht."