Symposion an der Universität Wien: Skifahren im Land der aufgehenden Sonne.
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Wien. "Wenn man japanische Skibegeisterte fragt, was sie denn überhaupt über Österreich wissen, nennen sie Mozart in einem Atemzug mit Lerch", sagt Brigadier Harald Pöcher, Leiter der Revisionsabteilung B im Verteidigungsministerium in Wien. In Japan gebe es sogar einen Ohrwurm zu Lerch, den man, zwei bis drei Mal gehört, ganz leicht mitsingen könne.
"Theodor Edler von Lerch, junger Major des Generalstabs des Kriegsministeriums in Wien, hielt sich 1910 bis 1912 zu militärischen Studienzwecken in Japan, Korea und in der Mandschurei auf", berichtet Pöcher. Als Experte für japanische Militärgeschichte referiert der Brigadier bei dem heute und morgen in Wien stattfindenden Symposium "100 Jahre Alpiner Skilauf in Japan" über die Entwicklung des Wintersports im Land der aufgehenden Sonne.
In der kleinen Garnisonstadt Takata im Süden Japans sollte Major Lerch demnach von den dortigen Streitkräften Kriegsstrategien lernen. Der Krieg zwischen dem Russischen und dem Japanischen Kaiserreich 1904/05 hatte mit der Niederlage der russischen Seite geendet, zudem hatte Japan 1910 Korea annektiert. Die österreichisch-ungarische Monarchie suchte Anleihen in erfolgreicher Militärtechnik, da man in Europa bereits einen Krieg befürchtete.
Militärische Ziele, Hoffnung auf Gebietszuwächse
Kaum war jedoch der österreichische Major angekommen, brachten die Regimentskommandanten in Takata, das in einer schneereichen Gegend liegt (heute befindet sich dort ein Wintersportzentrum), ihr eigenes Manko zum Ausdruck, keinen Ausbildner für den alpinen Skilauf zu haben. "Auch das japanische Anliegen, das Vergnügen auf den Brettern zu erlernen, hatte militärische Zwecke, denn man erhoffte sich Gebietszuwächse auf dem Festland", erklärt Pöcher. (Wenig später, im Jahr 1914, belagerten vereinigte japanische und britische Truppen den vom Deutschen Reich kontrollierten Hafen im chinesischen Tsingtau. Die Belagerung endete mit einem japanisch-britischen Sieg.)
Die Japaner waren der Ansicht, dass sie, um weiter vordringen zu können, in jedem Fall Gebirge zügig überwinden können müssten. Wie die Kaiserjäger wollten sie sich dem Feind auf Skiern nähern. In der Wiege des alpinen militärischen Skilaufs hatte Oberst Georg Bilgeri, Skilehrer in der österreichisch-ungarischen Monarchie, der "Zweistocktechnik" zum Durchbruch verholfen. Zwei statt eines Stocks schafften eine bessere Balance. Dennoch mussten sich die Fahrer in diesen Kindheitstagen des Skisports äußerst geschickt anstellen. Die Bretter hatten weder Profil noch besondere Prägung, wer fuhr, benötigte ein ausgeprägtes Gefühl für den Umgang mit Bodenwellen.
Glücklicherweise hatte der begeisterte Skiläufer Lerch zufällig zwei Paar Ski und vier Stöcke im Gepäck. Die Japaner fragten, ob es nicht möglich wäre, die Bretter im Arsenal, der größten Rüstungsfabrik in Tokio, nachzubauen. Um den Skiunterricht überhaupt ermöglichen zu können, wurden zunächst zehn Paar Ski nach dem Vorbild von Lerchs mitgebrachten "Brettln" nachgebaut.
Offiziere, deren Frauen und Soldaten nahmen Unterricht
Am 12. Jänner 1911 stand Lerch mit dem Regimentskommandanten vor einem Hügel, die Bretter geschultert. Der Kommandant fragte ihn: "Ist es wirklich möglich, hier hinunterzufahren, ohne zu stürzen?" Lerch bestieg den Hügel, fuhr hinunter im Schuss und kam aufrecht vor den Soldaten zum Stehen. Sie alle waren begeistert - die erste Stunde konnte beginnen. Dank der pädagogischen Fähigkeiten des Majors war der Unterricht sehr beliebt Offiziere, deren Frauen und alle Soldaten des Regiments nahmen täglich Skistunden. Im Gegenzug informierte der Kommandant den österreichischen Major über das neue japanische Infanteriereglement, das erstmals vom Prinzip der absoluten Geheimhaltung von Kriegserfahrungen abwich.
Relativ rasch nach Lerchs Wirken eröffneten Skiklubs mit 6000 bis 7000 Mitgliedern. Die Zeit war reif, um in Nippon den Skilauf allgemein einzuführen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verhalfen dem neuen Wintersport zum Durchbruch. 1911 wurde in Niigata unter Anwesenheit von hochrangigen Vertretern aus Politik und Medien der erste Skiklub gegründet, der bei der Gründung 1000 Mitglieder zählte.
Der Skilauf wurde in Japan innerhalb weniger Jahre sehr populär: Man gründete eine Skizeitung, komponierte ein Skilied und erfand die "Skisuppe". Nach seinem erfolgreichen Unterricht in Takata führte Lerch auch auf Hokkaido, der nördlichsten großen Hauptinsel Japans, den Skilauf ein. Von der Garnisonsstadt Asahikawa aus machte er mit seinen Schülern sogar schwierige Aufstiege, etwa auf den Yezo-Fuji (1898 Meter Höhe). Er versuchte auch den Fuji (3776 Meter), den höchsten Berg Japans, im Winter zu besteigen. Daran scheiterte er, da der Fuji im Winter 300 Meter unter dem Gipfel komplett vereist ist und Lerch keine Ausrüstung für Eiskletterei mitgeführt hatte. Allein der Besteigungsversuch galt jedoch als Sensation.
Ab den 1930er Jahren wurden Vorträge über neue Skitechniken in den Großstädten abgehalten. Später, im Jahr 1956, gewann der 1931 geborene japanische Slalomfahrer Chiharu Igaya die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Cortina dAmpezzo. Er reihte hinter der heimischen Skilegende Toni Sailer.
Memoiren in Japan in Buchform erschienen
"Heute zählt Japan 20 Millionen Skiläufer und Skiläuferinnen. Das wirkt sich wiederum auf die österreichische Wirtschaft aus, denn 37 Prozent der in Japan verkauften Wintersportartikel stammen aus Österreich", sagt Sepp Linhart, Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften der Universität Wien. In Abfahrt und Slalom kann Japan zwar derzeit nicht mit den Alpin-Skisport-Spitzennationen Österreich, Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien und USA mithalten. Im Skispringen und in der Nordischen Kombination ist das Land jedoch Weltklasse.
An Major Theodor Lerch erinnern heute drei Denkmäler in Japan - die Bronze-Statue in Takata steht sogar auf den "Brettln". Bei Veranstaltungen in Joetsu/Takata und in Asahikawa wird der Pionier aus Österreich regelmäßig gefeiert. Seine hierzulande unveröffentlichten Memoiren wurden in Japan in Buchform gedruckt.
Lerch wurde in Pressburg als Sohn eines Offiziers am 21. August 1869 geboren - das Jahr, in dem Österreich-Ungarn und Japan diplomatische Beziehungen aufnahmen. Er studiert an der Theresianischen Militärakademie in Wien. Im Ersten Weltkrieg wird er als Stabschef des XVII. Korps an die Ostfront berufen und schließt den Krieg an der Westfront als Generalmajor, zugeteilt zu den Deutschen, ab. 1919 wird Theodor von Lerch pensioniert, wie viele hohe Offiziere in dem nunmehr kleinen Österreich. Im Jahr 1922 heiratet er die geschiedene Irma Aumann, die zwei Töchter in die Ehe bringt. Er betätigt sich fortan als Schriftsteller und Aquarellist.
In der Zwischenkriegszeit veröffentlicht Lerch das Buch "Über die letzten Kämpfe an der deutschen Westfront aufgrund persönlicher Eindrücke". Später dokumentiert der ehemalige Soldat Kriegsereignisse in einer Fachzeitschrift, die heute den Titel "Österreichische Militärzeitschrift" trägt. Im Zweiten Weltkrieg schreibt er über den Krieg zwischen Japan und Amerika in Ostasien. Lerch war NSDAP-Mitglied, Pöcher zufolge allerdings "nicht agierend. Er hat sich keineswegs als Befürworter hervorgetan. Es gibt zudem Hinweise, dass ihm klar war, dass man den Krieg verlieren wird", sagt der Brigadier, der dafür eintritt, dass "Theodor Edler von Lerch" als Jahrgangsnamen im Militär in die engere Wahl kommen sollte. Theodor von Lerch starb am 25. Dezember 1945 um 0.15 Uhr. Das Symposion in der Industriellenvereinigung und im Institut für Ostasienwissenschaften wird ihn nun auch in Österreich in Erinnerung rufen.