Das Gehirn wird im Laufe des Lebens auf musikalische Vorlieben geprägt. | Wien. Sie ist fast allgegenwärtig und für die Meisten hat sie große Bedeutung. Schmecken, sehen, riechen kann man sie nicht. Aber man kann sie erzeugen, sich zu ihr bewegen - und vor allem hören und fühlen: Musik ist neben der Sprache ein zweites Kommunikationsmittel, bei dem es vorwiegend um Gefühle geht. Die Emotionen beim Musikhören gründen auf entwicklungsgeschichtlich alte Wurzeln sozialer Kontaktaufnahme. Emotionale akustische Lautäußerungen und sogenannte Urmusik, die auch Tiere produzieren, dienen der sozialen Gruppenbindung. Das bewusst gestaltete, zeitlich strukturierte und aus vielen Parametern komplex zusammengesetzte Phänomen jedoch, das wir gemeinhin als Musik bezeichnen, ist nur den Menschen zueigen.
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Tonhöhe, Klangfarbe, dynamische Gestalt, Intervall, Kontur, Rhythmus und Metrum wirken zusammen und erzeugen in unserem Gehirn Musik: "Musik ist also nichts, was einfach so in unserer Gehirn einsickert, sondern muss aktiv erzeugt werden", sagt der renommierte Musikphysiologe und Mediziner Eckert Altenmüller, der im Rahmen der jährlichen Karl von Frisch Lectures in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Mittwoch einen Vortrag zum Thema "Musik, Gehirn und Emotionen" hielt.
Die Musikwahrnehmung als Gehirnkonstruktion war eines der zentralen Themen der Veranstaltung, die mit mehr als 500 Besuchern großes Interesse hervorgerufen hat. "Heute wissen wir, dass die unterschiedlichen Musikparameter in verschiedenen neuronalen Netzwerken verarbeitet werden, und obwohl nur 6000 innere Haarzellen für die Aufnahme von Hörsinnesreizen zuständig sind, stehen uns sechs Milliarden Nervenzellen zur Verfügung, die deren zentralnervöse Verarbeitung übernehmen", so Altenmüller.
Wiedersehen macht auch bei Musik Freude
Je mehr Musik man hört, desto besser kann man sie aufnehmen, ordnen und verstehen. Nervenzellen und sogar Sinne vernetzen sich individuell - eine eigene Hörbiographie entsteht. "Experimente mit Klavierspielern haben gezeigt, dass beim reinen Hören von Klaviermusik die Handareale im Gehirn aktiviert werden und umgekehrt beim stummen Tastenspiel Hör- und Sprachregion angeregt werden", führt der Musikphysiologe aus.
Besonders bei Berufsmusikern sei die anatomische Anpassung in Form einer besseren Vernetzung beider Gehirnhälften und der Vergrößerung der auditiven Region des Gehirns wissenschaftlich nachgewiesen. "Aber niemand hört oder macht Musik, damit sich Gehirnregionen vernetzen. Musik ist ein emotionales Kommunikationsmittel."
Warum also kann Musik Gänsehaut erzeugen und Herzrasen auslösen? Und welche Musik löst bei wem welche Reaktionen aus? Auch diesen Fragen geht man am Institut für Musikphysiologie an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover nach. Menschen haben sehr unterschiedliche Musikgeschmäcker. Jedoch scheinen sich einige Muster erkennen zu lassen. Durch ein wissenschaftliches Experiment, bei dem insgesamt 38 Teilnehmer vorgegebene Musikstücke subjektiv bewerten mussten und bei dem Faktoren wie Temperatur, Puls und Schweißproduktion mittels Elektroden gemessen wurden, weiß Altenmüller, dass ein bestimmter Frequenzbereich und die Balance von Lautstärke und Geschwindigkeit eines Musikstückes für Gänsehaut-Gefühle wesentlich sind. "Wie gut wir ein Stück kennen und wie sehr wir uns damit identifizieren, scheint aber am wichtigsten zu sein. Nach dem Motto: Wiedersehen macht Freude", so Altenmüller.
Fazit des Abends: Über Geschmack lässt sich nicht streiten, so ein altes Sprichwort - anscheinend kann man ihn aber erlernen.