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Christoph Wiederkehr weiß laut seinem näheren Umfeld genau, was mit Rot-Pink auf ihn zukommt. Ein Porträt.
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Er war mehr oder weniger ein Unbekannter, als er 2018 Beate Meinl-Reisinger als Wiener Parteichefin folgte. Auch im Wahlkampf plakatierten die Neos sein Konterfei mit dem Slogan: "Kennt keiner. Kann viel". Jetzt ist er der designierte Vizebürgermeister von Wien.
Für viele Gemeinderatsabgeordnete entspricht Wiederkehr dem klassischen Klischee des "Streber-Maturanten", des Musterschülers, des Besserwissers. "Er gehört zu jenen, die während der Schulzeit nicht automatisch in der coolen Gang waren, sondern eher zu den vernünftigen Spielverderbern gezählt hat."
Demnach dürfte auch die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer ganz unkompliziert gewesen sein. Es habe das "Konsensprinzip" nicht so gut funktioniert, wie mit den Grünen, meint so mancher SPÖ-Mandatar. Und das Konsensprinzip funktioniert nach ehemaliger rot-grüner Definition so: "Wenn du sagst, du bist dagegen, dann sagen die anderen: Was brauchst du, dass du dafür bist."
Und als beispielgebendes Verhalten der Neos im Gemeinderat wurde der gemeinsame Antrag auf Verzicht der Aktuellen Stunde wegen der damaligen Amtsübergabe von Maria Vassilakou an Birgit Hebein genannt: "Alle waren einverstanden, nur der Wiederkehr nicht", erzählt ein Insider. Wiederkehrs Kommentar darauf lautete damals lapidar: "Ich sehe nicht ein, dass man die Aktuelle Stunde streicht, nur weil ein paar Abgeordnete nicht später nach Hause kommen wollen. Immerhin bekommen wir bezahlt dafür."
Oberaufdecker und Gegner der Freunderlwirtschaft
In diesem Sinne hat sich Wiederkehr auch immer dafür eingesetzt, die Posten der nicht amtsführenden Stadträte zu streichen. Er selbst hatte schon vor der Wahl angekündigt, dass die Neos bei einer eventuellen Regierungsbeteiligung auf diese verzichten würden. "Das sind die teuersten Arbeitslosen der Stadt. Die bekommen im Jahr mehr als eine Million Euro fürs Nichtstun, die vom Steuerzahler gezahlt werden", meinte er im September in einem Interview mit der "Wiener Zeitung". Und er hat sich gerne als "Oberaufdecker" der Stadtpolitik bezeichnet, was man unter anderem bei der Untersuchungskommission zum Krankenhaus Nord gesehen hat. Aktuell sieht Wiederkehr beim Ausbau der U5 die nächste Kostenexplosion auf Wien zukommen - zumindest war das noch vor der Wien-Wahl der Fall.
Was Wiederkehr ebenfalls nie müde wurde zu kritisieren, waren die "Freunderlwirtschaft" und der "Postenschacher" innerhalb der Stadt Wien. Posten sollten nur objektiv und mit den am besten qualifizierten Leuten besetzt werden. In diesem Punkt werfen ihm die Grünen Naivität vor: "Selbstverständlich muss man schauen, dass man überall seine eigenen Leute hineinsetzt - man braucht Spione, ansonsten ist man als kleiner Koalitionspartner von allen Informationen abgeschnitten", heißt es da.
Das ist allerdings ein Punkt, dem man in den Reihen der Neos widerspricht: "Christoph Wiederkehr ist mit Sicherheit nicht naiv. Er weiß ganz genau, was auf ihn zukommt, und er schreckt sich nicht vor der Aufgabe", betont man da bei der Neos-Spitze.
Kein Freund spontaner Entscheidungen
Als Beate Meinl-Reisinger 2018 zur Bundesspitze der Neos wechselte, um den scheidenden Matthias Strolz zu beerben, hat sie nicht lange gebraucht, um einen Nachfolger für sich zu finden. "Christoph Widerkehr hat in Wien die Junos-Organisation extrem solide aufgebaut und vor allem sehr gut geführt. Es gelingt ihm stets, alle sehr zielorientiert auf eine gemeinsame Sache einzuschwören, dass am Ende alle an einem Strang ziehen. Auch als Wiener Parteichef hat er einen hervorragenden Job gemacht", sagte Meinl Reisinger zur "Wiener Zeitung". Auch wenn ihm viele in Sachen Leadership oft zu wenig zugetraut haben.
Innerhalb der Partei gilt er jedenfalls als sehr gewissenhaft mit dem Zug zum Tor. Er wolle etwas bewegen. Ein Freund spontaner Entscheidungen sei er allerdings nicht. "Das heißt, er ist sehr gründlich und tigert sich in Themen hinein, wägt aber dann länger ab und nimmt sich für Entscheidungen Zeit", heißt es aus seinem Umfeld. Nachsatz: "Aber wenn einmal die Entscheidung gefallen ist, zieht er sie dann sehr konsequent durch." Wiederkehr verfüge über einen langen Atem und er wisse bei der SPÖ genau, mit wem er es zu tun hat. Wisse Bescheid darüber, dass die "Machtkrake" der Roten überall hinreiche und dass er nur mit fairen Arrangements auf Augenhöhe durchkommen kann.
Aber das sollte kein Problem sein, solange die SPÖ nicht so agiere wie die ÖVP auf Bundesebene, die gerade dabei sei, ihren dritten Koalitionspartner, zu zerreiben, meint man bei den Neos. Das sei nämlich nicht nachhaltig. Und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit dürften die Neos der SPÖ zutrauen: Immerhin gehe es in Wien gerade darum, ein funktionsfähiges Gegenmodell zur aufzubauen, das bundesweit Aufmerksamkeit auf sich ziehen solle. Es gehe um weit mehr als nur um die Stadt - und das wisse auch die SPÖ.
Und auch wenn er so nett und adrett wirkt, seine Konfliktfähigkeit zweifelt keiner an: "Wenn er anderer Meinung ist, dann sagt er das und lässt nicht mehr locker. Nicht auf eine ungute, aber auf eine sehr, sehr hartnäckige Weise. Er bleibt drauf." Er sei sehr wohl in der Lage, Kante zu zeigen und seine Linie zu halten; auch was unangenehme Themen betrifft. Vor allem in den vergangenen Monaten habe sich Wiederkehr in seinem Auftreten stark entwickelt, sei gewachsen im Wahlkampf. Dem pflichtet auch Ex-Neos-Chef und Parteigründer Matthias Strolz bei: "Er ist sehr interessiert, sehr ambitioniert und er hat eine sehr steile Lernkurve, was man im Wahlkampf gesehen hat." Weiters beschreibt ihn Strolz als "sehr integren, cleveren jungen Mann, der etwas sehr Evidenzorientiertes in sich trägt, was ihm auch selbst sehr wichtig ist." Strolz empfindet ihn zusammenfassend "als sehr wohltuende Gesamterscheinung im Feld der derzeitigen Politiker".
"Die Rampensaumuss er noch üben"
Die offensive-dynamische "Rampensau" müsse er aber noch üben und viele Dinge einfach im Tun lernen, heißt es aus seinem erweiterten Umfeld. Dennoch konnte er bei der Wien-Wahl viele Menschen überzeugen und sei letztlich die große Überraschung gewesen, die als Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat aus der Wien-Wahl hervorgegangen sei.
Christoph Wiederkehr könne nun zeigen, dass er ein anderer Politikertyp ist. Er betreibe kein Ego-Shooting, sei aufgeräumt, wisse, was er will und was er braucht, sei bereit, Hilfe zu suchen und sie anzunehmen. Die Grundprofessionalität im Umgang mit Macht, Manipulation und Kommunikation sei bei ihm vorhanden. "Ein sehr eigenständiges Gesamtpaket, das gute Startvoraussetzungen hat, um sich in dieser Spielanlage behaupten zu können", meinen Insider.
Biografie~Christoph Wiederkehr, geboren am 12. April 1990 in Salzburg, hat schon recht früh bei den Liberalen seine politische Heimat gefunden. Dabei spielt auch seine Familiengeschichte eine nicht unwesentliche Rolle. Sein aus Ungarn gebürtiger Vater flüchtete in jungen Jahren vom kommunistischen Regime nach Österreich. Seine Mutter stammt aus Frankreich. Nach der Matura 2009 zog es den einstigen Schulsprecher zum Studium der Rechtswissenschaften sowie der Politikwissenschaften - Letzteres hat er als Master beendet - nach Wien, wo er sich bald für die studentische Neos-Vorfeldorganisation Junos engagierte und deren Team drei Jahre lang leitete. Daneben war er Mitarbeiter am Verfassungsgerichtshof. 2015 gelang ihm als 25-Jähriger dann der Einzug in den Gemeinderat - gerade noch. Die Neos erhielten bei ihrem erstmaligen Antritt bei der Wien-Wahl fünf Mandate, Wiederkehr war auf dem fünften Listenplatz gereiht.