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Der Nachgeschmack der Revolution

Von Solmaz Khorsand

Politik

Im Bus müssen sie hinten sitzen, alleine eine Wohnung zu mieten, ist so gut wie unmöglich und sich scheiden zu lassen hängt von der Gunst des Ehemanns ab. Frauen als Menschen zweiter Klasse zu behandeln, hat im Iran Methode. Das ist noch lange kein Grund, sich den Mund verbieten zu lassen, wie die 16. Internationale Iranische Frauenkonferenz in Wien beweist.


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Ein kleines Mädchen hüpft am Stiegengeländer des Wiener Austria Centers. Ihre Sandalen sind ihr zu groß und rutschen ständig weg. "Im Gefängnis haben sie uns auch immer größere Schlapfen gegeben. Damit später die geschwollenen Füße reinpassen, wenn sie mit Kabeln auf die Fußsohlen geschlagen haben", sagt eine Mitvierzigerin, während sie das Mädchen beobachtet. Bereits zum sechsten Mal nimmt die Exiliranerin an der Internationalen Iranischen Frauenkonferenz teil. Die Scheu, öffentlich ein Statement abzugeben, hat sie auch nach zehn Jahren im Ausland nicht abgelegt. Ebenso wie sie haben Millionen andere auch unter dem Regime der Kleriker gelitten, wurden inhaftiert, gefoltert und haben Freunde und Familie verloren. Der einzige Ausweg war das Ausland. Mittlerweile reicht die iranische Diaspora von Kanada über Europa bis nach Australien. Einmal im Jahr treffen sich Hunderte iranische Frauen weltweit, um sich auszutauschen und den Kampfgeist zu aktivieren.

"Die Revolution hat uns stark gemacht", erklärt Halleh Ghorashi. Die in den Niederlanden unterrichtende Anthropologin referierte über die Auswirkungen der Revolution auf die Entwicklung iranischer Frauen. Sie gehöre einer selbstbewussten Generation an, die nach der Revolution 1979 eine kurze Zeit des Aufbruchs und der Freiheit miterleben durfte. "Selbst viele Ausländer sprechen mich auf dieses Selbstbewusstsein an".

Viel Selbstbewusstsein hatte auch die iranisch-kanadische Fotojournalistin Zahra Kazemi, als sie vor zwei Jahren in den Iran reiste, um Fotos einer Demonstration vor dem Evin-Gefängnis zu machen. Die iranischen Behörden nahmen sie fest, verhörten sie, nach drei Wochen war sie tot. Der Iran sprach von einem Unfall. "Tiefe Kratzer am Nacken sahen so aus, als wären Nägel durch ihr Fleisch gebohrt worden. Die rechte Schulter war geschwollen, und zwei Finger der linken Hand waren gebrochen. An drei Fingern waren die Nägel gebrochen oder fehlten ganz", erklärte der Arzt Ahsam Sharam in einem Videointerview, das während der Konferenz gezeigt wurde. Er hatte Kazemi vor ihrem Tod untersucht. Seine Diagnose: Von Unfall kann keine Rede sein, Kazemi ist eindeutig an den Folgen der Folter gestorben. "Wir fordern, dass die Schuldigen bestraft werden und die kanadische Regierung den Iran vor den internationalen Gerichtshof bringt", verlangt ihr Sohn Stephan Hashemi.

Tabubruch: Prostitution

Mut bewies auch die Teheraner Universitätsdozentin Shahin Oliayee Zand, die mit ihren Forschungsarbeiten über die im Iran verbotene Prostitution ein Tabu an die Öffentlichkeit brachte. Vier Jahre lang sprach sie mit 160 Prostituierten und präsentierte ihre Ergebnisse in mehreren iranischen Zeitungen. "Man muss vor allem den Kindesmissbrauch vorbeugen", plädiert sie entschieden.

Umstrittene Kurzehe

Die in diesem Zusammenhang häufig diskutierte Kurzehe lässt sie in ihrem Vortrag aus. Zu heikel ist das Thema, das im islamischen Recht der Schiiten verankert ist. Die Kurzehe kann beliebig lange dauern, von einer Stunde bis hin zu einem Jahr und länger. Mann und Frau schließen einen mündlichen Vertrag, in dem sie eine zeitlich begrenzte Vereinbarung treffen. Beispielsweise kann der Mann sechs Monate für den Unterhalt aufzukommen, während die Frau den Beischlaf gewährt. Besiegelt wird die Kurzehe mit einem Eid, wofür die beiden keine Zeugen brauchen. "Es ist ähnlich wie im Rotlichtmilieu, wenn Freier und Prostituierte sich etwas ausmachen", präzisiert Efat Mahbaz, Journalistin aus Deutschland. Die Kurzehe als Freibrief für Kindesmissbrauch? " Jede Art der Ehe mit erwachsenen Frauen ist legal. Nach dem Gesetz gelten Mädchen ab neun Jahren als erwachsen", sagt die in Österreich lebende Frauenaktivistin Ayande Azad.

Trotz aller Widrigkeiten scheint der Atem vor allem bei den jungen Frauen im Kampf für ihre Rechte lang genug zu sein. So auch bei der Bauingenieurin Pooya Nasseri, die an die Teilnehmerinnen appelliert: "Es ist die Pflicht der Iranerinnen, Widerstand zu leisten, nicht nur für sich, sondern auch für die kommenden Generationen".