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Reinhold Mitterlehner neuer ÖVP-Obmann und Vizekanzler. Wer Finanzminister wird, bleibt vorerst offen.
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Wien. Erleichtert. Diesen Eindruck jedenfalls machte Michael Spindelegger am Dienstagmorgen diesen Eindruck, als er zur Überraschung der gesamten Republik – und vor allem auch seiner eigenen Partei – seinen sofortigen Rücktritt von allen Ämtern erklärte. Daraus allein kann man schon erahnen, welche Belastung die Funktion des Bundesparteiobmanns der ÖVP seinem Amtsträger abverlangt, vor allem wenn sie mit Vizekanzler und Finanzminister kombiniert ist. Das haben die Jahre seit 2006, als Wolfgang Schüssel das Feld räumen musste, gezeigt. Seitdem verbrannte die ÖVP mit Wilhelm Molterer (April 2007 bis November 2008) , Josef Pröll (Dezember 2008 bis April 2011) und nun Michael Spindelegger (Mai 2011 bis August 2014) drei Parteiobleute. Sie alle arbeiteten sich an der Dreifachbelastung in Regierung und Parteiamt ab. Die SPÖ fand in dieser Zeit mit Werner Faymann das Auslangen.
Jetzt geht dieser Kelch an Reinhold Mitterlehner. Wobei der Wirtschaftsminister dieses Amt, anders als Molterer und Spindelegger, durchaus angestrebt hat. Jetzt muss er es nur noch erfolgreich bewältigen.
Dabei ist das Konzept brillant. In der Theorie jedenfalls. Eine breite Allianz teils heterogener Interessen, getragen von stolzen Landesorganisationen und gebündelt in einer lockeren Dachorganisation, soll das Stimmenpotenzial maximieren. Unternehmer, Arbeitnehmer, Bauern, Kirchgänger, Umweltbewegte – dazu noch Teilorganisationen für Senioren, Frauen und die Jungen: Eigentlich gibt es niemanden, der nicht bei der ÖVP sein Kreuzerl machen könnte.
Im Konjunktiv wohlgemerkt. Denn das Konzept der Volkspartei scheitert in der Praxis. Die Fliehkräfte der unterschiedlichen Interessen von Bünden und Ländern lassen sich in der derzeitigen Konstellation nicht länger unter einen Hut bringen.
Spindelegger erwischte mit seinem Rücktritt die Partei auf dem falschen Fuß. Nicht, dass der Schritt an sich überraschend gekommen wäre – spätestens seit jener Krisensitzung im vergangenen Jänner war er angezählt. Damals ging es um die Bildungspolitik der ÖVP, jetzt eben um die Steuerreform. Dem Vernehmen nach fasste Spindelegger seinen Entschluss zum Rücktritt am Sonntagabend, seine engsten Mitarbeiter soll er am Montagabend in Kenntnis gesetzt haben, den Kanzler Dienstag in der Früh.
Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer war der erste, der im Laufe des Tages den Namen Mitterlehner in den Mund. Bauernbund-Chef Jakob Auer, ebenfalls ein Oberösterreicher und gut vernetzt im Raiffeisen-Konzern, sprach sich wenig später ebenfalls recht eindeutig für diese Variante aus. Als um 19 Uhr der ÖVP-Vorstand zusammentraf – Niederösterreichs Erwin Pröll war einer der großen Abwesenden, er urlaubt mit seiner Familie an der Adria – galt der Karrieresprung Mitterlehners bereits als fix. Kurz nach 21 Uhr verbreitete sich über Twitter die Nachricht, der Vorstand habe einstimmig für den Wirtschaftsminister als neuen Obmann und Vizekanzler gestimmt. Gegen 21.30 Uhr endete nach gut drei Stunden die Krisensitzung, um 21.45 Uhr trat Mitterlehner als geschäftsführender Obmann in der Parteizentrale vor die wartenden Pressevertreter.
Der neue Obmann will nun sein Regierungsteam bis spätestens 2. September fixieren. Ob er dabei an weitere Rochaden im ÖVP-Team denkt als nur an die Neubesetzung des Finanzministeriums ließ sich Mitterlehner nicht definitiv entlocken. Familienministerin Sophie Karmasin und Justizminister Wolfgang Brandstetter wurden von Spindelegger als Quereinsteiger zu Ministerehren erhoben, Finanzstaatssekretär Jochen Danninger galt gar als rechte Hand des ehemaligen ÖVP-Chefs und übt zudem die zentrale Rolle des Regierungskoordinators aus. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe deuteten die Zeichen eher auf einen Verbleib dieser Personen hin.
Völlig offen ist dagegen, wer Spindelegger als Finanzminister nachfolgt. Klubobmann Reinhold Lopatka, ein Steirer und ÖAABler, sowie Hans Jörg Schelling, Chef des Hauptverbands, kamen und gingen im Laufe des Abends als mögliche Kandidaten für dieses mächtigste Amt, das die ÖVP in der Regierung zu vergeben hat. Der neue Mann an der Spitze bezeichnete es als wahrscheinlich, dass Lopatka an der Spitze des Klubs verbleibt. Die besten Karten für den Posten des Finanzministers dürfte nun ein ausgewiesener Fachexperte für dieses schwierige Amt haben. Nur wer genau, das bleib am späten Abend offen. Auf den Neuen in der Johannesgasse warten beachtliche Herausforderungen: Zum einen muss er die Steuerreform konzipieren und ausverhandeln, zum anderen die Hypo Alpe Adria abwickeln.
Gebrochen ist nach dieser Entscheidung vorerst die Vormachtstellung der Niederösterreicher in der ÖVP herausgefordert. Die neu formierte Westachse hat die internen Gewichte neu austariert.
Was Spindeleger in Hinkunft machen wird, ist offen. Möglich, dass er sein Nationalratsmandat annimmt oder sich nach einem Posten auf EU-Ebene umsieht. Die Ehefrau Spindeleggers ist hochrangige Beamtin beim EU-Rechnungshof in Luxemburg.
Reinhold Mitterlehner, geboren am 10. Dezember 1955 in Helfenberg (Oberösterreich), in zweiter Ehe verheiratet, Vater von drei Kindern.
Reinhold Mitterlehner wäre schon nach Prölls Abtritt parat gestanden, die Partei zu übernehmen. Mehrheitsfähig war der Wirtschaftsminister damals nicht.
Der 58-jährige Jurist ist das, was man einen Berufspolitiker nennt. Nach dem Gerichtsjahr wechselte er in die Wirtschaftskammer, in der er dann politisch auch groß wurde. Schon in seiner Zeit als Wirtschaftsbund-Generalsekretär in den 1990er-Jahren galt der dreifache Vater als Hoffnungsträger, das änderte sich auch nicht, als ihn Präsident Christoph Leitl als stellvertretenden Generalsekretär in die Kammer holte.
Ein schnellerer Aufstieg wäre wohl möglich gewesen, wäre Mitterlehner nicht Schwarz-Blau und damit die Kanzlerschaft Wolfgang Schüssel in die Quere gekommen. Denn der und Mitterlehner konnten gar nichts miteinander anfangen. Dafür nützte Mitterlehner die Zeit, auf Sozialpartner-Schiene den Kontakt mit der roten Reichshälfte aufrecht zu halten. Bis heute ist der Wirtschaftsminister beim ÖGB gerne gesehener Gast.
Das hängt auch damit zusammen, dass Mitterlehner politisch durchaus für Ideen offen ist, die nicht seinem politischen Lager entstammen. Als einer der ersten Konservativen sprach er sich für eine Finanztransaktionssteuer aus, auch in der Ausländer-Politik war er stets liberaler als seine Partei. Als ihn Josef Pröll 2008 endlich zu Ministerehren kommen ließ, avancierte er rasch mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer zum Macher-Duo.
Als problematisch gilt in der ÖVP Mitterlehners forscher Tonfall, wenn ihm etwas nicht passt. Lässt ihn seine Partei aber und findet die Regierung in der neuen personellen Aufstellung wieder in die Gänge, könnte Mitterlehner für Werner Faymann und FP-Chef Heinz-Christian Strache ein unangenehmerer Gegenspieler werden, als diesen lieb ist.