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Das Militär übernimmt in einem Staat die Macht, nimmt den gewählten Präsidenten in Gewahrsam - und kein kritisches Wort kommt über die Lippen der westlichen Staatenlenker.
Es ist nie leicht, wenn man sich eingestehen muss, dass Pragmatismus die Oberhand über hehre Prinzipien behält. Aber der Westen hat dieser Tage ohnehin Routine zuhauf in solchen Angelegenheiten.
Und manchmal bleibt einem tatsächlich nichts anders übrig, vor allem wenn es sich um ein Pulverfass wie Ägypten handelt, dessen 84 Millionen Menschen vor dem wirtschaftlichen Nichts stehen, die auf einem schmalen Landstreifen umgeben von Wüste zusammengepfercht leben und die auf Gedeih und Verderb auf wirtschaftliche Hilfe angewiesen sind. Zudem tickt die demografische Zeitbombe: Ein Drittel der Bürger sind unter 14 Jahre alt, in wenigen Jahren drängen weitere zwanzig Millionen Junge auf einen Arbeitsmarkt, der kaum den Begriff rechtfertigt.
Für den politischen Islam, der sich seit dem Ausbruch des Arabischen Frühling auf dem Vormarsch wähnte, ist die Konter-Revolution ein Rückschlag von noch unbekanntem Ausmaß. Ob die zwischenzeitliche Niederlage der Muslimbrüder auch andere islamische Regime erschüttern wird, lässt sich heute nicht vorhersagen. Ausgeschlossen ist es nicht. Darauf lässt schon die scharfe Verurteilung des Putsches durch den gemäßigt islamistischen Premier Erdogan schließen, der sich seit Amtsantritt einen Machtkampf mit der Generalität liefert. Umgekehrt bejubeln von Islamisten bedrängte arabische Regime den Machtwechsel als Trendwende.
Der Westen steht der Region auch bald drei Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings rat- und konzeptlos gegenüber. Das ist gar kein Vorwurf. Aus der Verantwortung, sich selbst eine handlungsfähige Regierung zu geben, kann kein Staat, kein Volk entlassen werden. An dieser elementaren Aufgabe zu scheitern, ist das Drama von failed states. Ob auch Ägypten im Chaos versinkt oder sich eine zweite Chance zum Aufbruch gibt: Es liegt an den Ägyptern. Mit den Muslimbrüdern an der Spitze hat es nicht funktioniert, ohne und - vor allem - gegen sie wird es ebenfalls nicht gelingen. Wie nationale Versöhnung nun gelingen kann, ist - zumindest vorerst - nicht absehbar. Die jetzt inhaftierten Muslimbrüder werden auf Vergeltung sinnen.