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Der nächste Sündenfall

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Jetzt haben wir (k)ein neues Kapitel in der Gesundheitsreform - und sind wieder ein Stück weiter weg von Demokratie und Kostenwahrheit.


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Dass die Kassen neues Geld erhalten, darf nicht verwundern. Standhafte Politiker hat es vermutlich nie gegeben - sie entstammen einer Sagenwelt, wie die Gesundheitsreform. Und folgt man den Aussagen des Gesundheitsministers in Alpbach, dann ist die Reform dort auch gut aufgehoben. Das beste System braucht keine, schon gar keine Strukturreform, nur eine Weiterentwicklung. Dass über eine Kassenreform nachweislich seit den frühen 1960er Jahren diskutiert wird, dürfte an der für Österreich typischen Reformfreudigkeit liegen. Reformen um der Reformen willen, das macht das Land aus!?

So ist auch das Kassenpaket zu sehen. Die kriegen frisches Geld. Der Steueranteil an deren Einnahmen wird über 25 Prozent (weit über 3 Milliarden Euro jährlich) betragen - aber ohne Reform, also mehr Mitspracherecht des Steuerzahlers. Ganz im Gegenteil, demokratisch legitimierte Volksvertreter haben weniger Einfluss denn je. Kassen werden künftig so agieren, wie sie es sich mit der Ärztekammer ausmachen. Die anderen sollen schweigen und zahlen.

Klar wird das neue Geld öffentlichkeitswirksam an Bedingungen geknüpft - man will zeigen, dass dieses Land noch von einer Regierung regiert wird. So müssen die Kassen belegen, dass sie die ominösen 1,7 Milliarden Euro Einsparungen wirklich realisieren. Einmal abgesehen davon, dass die dahinterstehenden Milchmädchenrechnungen nicht nachvollziehbar sind, erinnert mich das an jene Auflagen, die die Länder 2005 erhalten haben. Diese mussten gesetzlich innerhalb von vier Jahren 300 Millionen Euro (weniger als ein Prozent pro Jahr) in den Spitälern einsparen. Als dann 2008 der neue Finanzausgleich vorgezogen wurde, und der Bund den Nachweis verlangte, der natürlich nicht erbracht werden konnte, hat man einfach ins Gesetz geschrieben, dass die vorgeschriebenen Einsparungen als erbracht betrachtet werden - so leicht ist das, wenn man das Gewaltmonopol hat!

Bleibt der Prosateil des Kassensanierungspapiers. Da steht viel drinnen - lauter Absichtserklärungen. Und auch dafür gibt es historische Beispiele. Wussten Sie etwa, dass bereits 1996 beschlossen wurde, einen Stellenplan für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich einzuführen? Jetzt steht das wieder drin und wird als Verhandlungserfolg verkauft. 2005 wurden zum Erhalt der Qualität in Spitälern Mindestfrequenzen gesetzlich fixiert! Kleinstkrankenhäuser wie Bad Aussee stehen aber fester denn je. Papierene Reformen wurden noch nie umgesetzt!

Kommen wir zu den Ländern. Dass deren Sparwille mehr als unterentwickelt ist, ist bekannt. Was werden diese nach der Kassen-Einigung denken!? Dass die Länder pleite sind, wird offensichtlich. Dass fast jedes Bundesland - trotz anderslautender Meldungen - die Bau- und Investitionsprogramme nach hinten streckt, ist nur ein kleines Zeichen. Dass bereits in zwei Ländern die Landesspitäler trotz Landeshaftung keine Bankkredite mehr kriegen, wäre anderswo ein Alarmsignal! Oder doch nicht?

Wenn der Finanzminister schon Kassen nicht in den Konkurs schickt, was wird er erst unternehmen, um die Länder zu retten. Wenn er jetzt so einfach pro Jahr eine viertel Milliarde Euro zusätzlich aus unseren Taschen zieht, dann werden die Länder für ihre Krankenhäuser sicher eine halbe oder gleich eine ganze Milliarde mehr kriegen. Und dann schaue ich in die Augen meines zweijährigen Sohnes und frage mich: "Wie willst du das alles bezahlen - oder willst du das überhaupt bezahlen?"