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Der nahöstliche Alltag nach dem Abkommen von Wye: Hoffnung wider Erfahrung

Von Eva Zitterbart, Tel Aviv

Politik

Die Welt mag aufgeatmet haben, als das Memorandum von Wye Ende vergangener Woche unterzeichnet worden ist. In der Nahostregion aber heißt es tief Luft holen für die Umsetzung schöner Worte in | eine lebbare Wirklichkeit. Die Region braucht Hoffnung wider schlechte Erfahrungen. Und wider schlechte Omen.


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In Israel liegt Gewalt in der Luft. Ein Viertel der Titelseite der Tageszeitungen wurde in den letzten Tagen eingenommen von einem Inserat: Fotos von Außenminister Ariel Sharon und Premierminister

Benjamin Netanyahu sowie folgender Text: "Ihr seid verantwortlich für dieses schändliche Abkommen. Wir haben Euch gewählt und Euch an die Macht gebracht. Wir werden uns erinnern... wir werden nicht

vergessen... und wir werden nicht vergeben...".

Die Unterzeichner sind rechtsgerichtete Gruppierungen aus allen Bevölkerungsschichten, inklusive Studenten und Universitätsprofessoren, sowie Siedlervertreter und ein Aktionskomitee zur Abschaffung

der Autonomie (für Palästinenser).

Die Spirale der Gewalt reißt nicht ab: In der Nacht auf Mittwoch forderte ein Anschlag der Hamas zwei Opfer, eines von ihnen war ein Israeli. Schon zu Beginn dieser Woche zeitigte das Wye-Memorandum

die ersten tödlichen Reaktionen: in Kirjat Arba bei Hebron wurde ein Israeli erschossen, in Itamar bei Nablus ein Araber erschlagen, in Ramallah bei Auseinandersetzungen zwischen der Fatah-Bewegung

und den Tanzim, Aktivisten aus der Intifada-Zeit, ein 16-Jähriger erschossen. Die Morde stehen im Zusammenhang mit der Ablehnung der Folgen des jüngsten Nahost-Abkommens auf seiten der Israelis

ebenso wie auf seiten der Palästinenser. Und auf beiden Seiten kommt die Kritik auch aus den Reihen der politischen Heimat der Unterzeichner.

In Yassir Arafats Fatah-Bewegung wird das Memorandum als nicht ausreichend bezeichnet und heikle Punkte wie die Säuberung der Palästinensischen Nationalcharta unter Überwachung durch US-Präsident

Bill Clinton von Elementen, die zur Vernichtung des zionistischen Staates Israel aufrufen, als demütigend empfunden. Saeb Erekat, einer der Chefverhandler auf palästinensischer Seite, hat auch rasch

klargestellt, daß Clintons geplanter Besuch im Dezember nur von einem Friedensfest gekrönt werden werde, bei dem die PLO Arafats Brief an Clinton ratifizieren werde. In diesem Brief habe Arafat

mitgeteilt, welche Teile der Nationalcharta bereits 1996 annulliert worden seien. Nichtsdestoweniger wird der unveränderte ursprüngliche Text der Charta sowohl auf der Internetseite der PLO als auch

in palästinensischen Schulbüchern publiziert.

In palästinensischen Tageszeitungen warnen Hamas, der Islamische Heilige Krieg und andere Oppositionsgruppen vor einem Bürgerkrieg, weil Wye ein gefährlicher amerikanisch-israelischer Anschlag auf

die Rechte des palästinensischen Volkes sei. Die blutigen Zusammenstöße zwischen den Tanzim und palästinensischen Sicherheitskräften in Ramallah könnten ein Vorgeschmack darauf sein.

In Netanyahus politischer Heimat, dem Likud-Block, und in seiner Regierungskoalition formiert sich ebenfalls Widerstand. In einer ersten Reaktion hat der Premier die für kommenden Dienstag

vorgesehene Abstimmung über das Memorandum in der Knesset auf unbestimmte Zeit verschoben. Vordergründiges Argument: die Palästinenser müßten zuerst einen klaren Zeit- und Arbeitsplan für die

Terrorbekämpfung vorlegen. Im Hintergrund steht Netanyahus Befürchtung, daß seine Minister nicht hinter ihm stehen. Zumindest vier Minister werden gegen das Abkommen stimmen · die

Kommunikationsministerin, der Transportminister, der Justizminister sowie der Landwirtschaftsminister.

Auch vom neuen Außenminister Sharon ist eine Gegenstimme zu erwarten, obwohl er bereits in den USA über die konkrete Zusammenarbeit von israelischen, amerikanischen und palästinensischen

Sicherheitskräften im Sinne des Memorandums verhandeln wird.

Die Arbeiterpartei

bleibt gespalten

In der stärksten Einzelpartei der Knesset, der in Opposition befindlichen Arbeitspartei, schwelt ein alter Machtkonflikt weiter: wer bestimmt die Politik der Partei · der voriges Jahr gewählte

Vorsitzende Ehud Barak oder der international renommierte, aber in israelischen Wahlen niemals erfolgreich gewesene frühere Vorsitzende Shimon Peres?

Barak besteht darauf, daß die Arbeitspartei sich voll hinter die Bewegung zur vorzeitigen Auflösung der Knesset und Ausschreibung von Neuwahlen versammelt. Das sogenannte Sicherheitsnetz für

Netanyahu als Belohnung für die Unterschrift unter das Wye-Memorandum soll nur aus einer Abstinenz bei Mißtrauensanträgen aufgrund ebendieses Memorandums bestehen und das nur über einen Zeitraum von

zwei Wochen.

Das hindert freilich prominente Politiker der Arbeitspartei nicht, entgegen Baraks Aussagen neuerlich für die Bildung einer Konzentrationsregierung mit Netanyahu aktiv zu werden. Peres, stets ein

Befürworter einer solchen Konzentrationsregierun, ist im Augenblick noch stumm im Hintergrund. Seine Aktionen rund um die Kommunalwahlen in Jerusalem im November · Unterstützung einer gemeinsamen

Kandidatur mit Likud-Bürgermeister Olmert gegen den von Barak als offiziellen Arbeitsparteikandidaten Nominierten · beweist die anhaltenden innerparteilichen Konflikte. Für Neuwahlen, sollten sie

doch noch kommen, bedeute dies schlechte Aussichten für einen Sieg der Arbeitspartei: wer soll eine Partei wählen, die in allen wichtigen politischen Fragen mit zumindest zwei gegensätzlichen Stimmen

spricht, deren Führer also nicht erkennbar ist? Offen ist freilich auch die Frage, ob Netanyahu genügend Rückhalt in der eigenen Partei finden wird, um neuerlich als Premierminister kandidieren zu

können.

Die USA fordern inzwischen die arabischen Staaten auf, die wiederbelebte Friedensinitiative im Nahen Osten vehementer und durch Taten zu unterstützen. Doch scheint es, daß die "Zigarrenesser" die

besseren Realisten sind: Jossi Sarid, Führer des linksoppostionellen und arabische Fraktionen einschließenden Meretz-Bündnisses, versprach, eine Zigarre zu essen, wenn das Memorandum von Wye in die

Tat umgesetzt würde.