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Das Erbgut des Frühmenschen begünstigt Hauterkrankungen, aber etwa auch Nikotinabhängigkeit und Depressionen.
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Nashville/Wien. Seit dem Jahr 2010 wissen Forscher, dass Menschen eurasischer Herkunft ein bis vier Prozent Neandertaler-DNA in sich tragen. Die Entdeckung hatte eine Vielzahl an Hypothesen zu Tage gebracht, welche Effekte diese genetische Variante auf physische Charakteristika oder Verhaltensweisen des modernen Menschen haben könnte. Dies reicht von der Hautfarbe über Allergien bis hin zum Fettstoffwechsel. Die Nachricht brachte Schlagzeilen wie "Neandertaler sind schuld an unseren Allergien" oder "Haben Europäer ihr Fett von den Neandertalern geerbt?" hervor.
Hypothesen bestätigt
Die nun erste Studie, die diese vererbte DNA im Genom einer bestimmten Bevölkerungsgruppe - nämlich Erwachsenen europäischer Abstammung - mit klinischen Aufzeichnungen vergleicht, kommt zu dem Schluss, dass dieses frühe genetische Erbe einen feinen, aber doch signifikanten Einfluss auf die moderne menschliche Biologie hat.
"Wir entdeckten Zusammenhänge zwischen der Neandertaler-DNA und einem Feld an Merkmalen, die sich auf immunologische, dermatologische, neurologische, psychische und reproduktive Erkrankungen beziehen", berichtet der Evolutionsgenetiker John Capra vom Department of Biological Sciences der Vanderbilt University in Nashville, im Fachblatt "Science". Das Forscherteam um Capra bestätigt damit frühere Hypothesen.
Als Beispiel werden Zellen namens Keratinozyten angeführt. Diese Hautzellen schützen die menschliche Außenhülle vor Umweltschäden und Sonnenstrahlung. Das Neandertaler-Erbgut scheint allerdings negativen Einfluss darauf zu haben, indem sie das Risiko für sonnenbedingte Hauterkrankungen wie Keratosen - eine Frühform des Hautkrebs - begünstigt.
Erhöhte Blutgerinnung
Im Rahmen der Studie zeigten sich aber noch weitere Überraschungen. So fanden die Forscher heraus, dass der Einfluss unserer früheren Verwandten auch das Risiko für Nikotinabhängigkeit erhöht. Auch die Neigung zu Depressionen scheint ein Neandertaler-Erbe zu sein.
Die Entdeckungen lassen vermuten, dass die heutige Population DNA behalten hat, die dem Menschen vor 40.000 Jahren, als er ausgehend von Afrika sich in andere Umgebungen mit unterschiedlichen Krankheitserregern und unterschiedlicher Sonnenintensität bewegte, noch Vorteile verschaffte. Viele dieser Eigenschaften sind aber nicht länger vorteilhaft für die moderne Lebenswelt, schreiben die Forscher in ihrer Studie.
Als Beispiel führen sie die Blutgerinnung an. Die Genvariante erhöht die Neigung zu einer gesteigerten Gerinnungsbereitschaft und ließ dadurch Wunden schneller schließen und schützte damit vor dem Eindringen von Krankheitserregern in die verletzten Körperstellen. Heute hat eine höhere Gerinnungsbereitschaft des Blutes negative Folgen, indem sie etwa das Risiko für Schlaganfälle anhebt.
In folgenden Analysen will Capra mit seinem Team noch weitere medizinische Aufzeichnungen wie Labortests oder radiologische Bilder auswerten.