Zum Hauptinhalt springen

Der neue Angstgegner

Von Tamara Arthofer

Kommentare
Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Plötzlich fürchtet jeder Island - und das eigene Versagen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Es gibt nichts Schlimmeres", sagt Frankreichs ehemaliger Weltmeister Christophe Dugarry, es sei "mit Blick auf die Motivation und Vorbereitung schrecklich". "Es", das ist das am Sonntag anstehende Viertelfinal-Duell der französischen Gastgeber mit Island. Vor ein paar Wochen hätte das wohl noch anders geklungen. Island als Gegner, darum haben viele Österreich bei der Auslosung der Gruppenphase noch beneidet. Der Rest ist bekannt.

Nun hat die bisher wenig bekannte Mannschaft von Heimir Hallgrímsson und Lars Lagerbäck aber nicht nur Österreich aus dem Turnier gekickt, sondern sich bis ins Viertelfinale durch- und dabei die Engländer geschlagen. Und schon scheint auch unter Europas traditionellen Fußball-Großmächten die Angst umzugehen. Doch bei allem Respekt vor den Isländern, die sich in einen Lauf gespielt haben: Die höchstkarätige verbliebene Mannschaft sind sie noch immer nicht. Doch es dürfte bei Frankreich ohnehin weniger die Angst vor den fußballerischen Talenten aus dem Norden sein, sondern jene vor dem eigenen Versagen. Vor dem Achtelfinale gegen England waren von der Insel - der anderen, jener die sich als Mutterland des Fußballs begreift - ganz ähnliche Töne zu hören, Experten und Gazzetten warnten vor der allerallerallergrößten Blamage der Geschichte - und schrieben diese damit gewissermaßen herbei.

In England waren vor der EM hohe Erwartungen geschürt worden, noch mehr aber gilt dies für Frankreich. Die ungeschriebenen Vorgaben lauteten: den Titel holen, den Nationalstolz befeuern, die tiefen Risse kitten, die sich mittlerweile durch das sich zunehmend von seiner Multi-Kulti-Gesellschaft, die 1998 noch durch das Weltmeisterteam repräsentiert wurde, verabschiedende Land ziehen. Es war ein bisschen viel der Erwartungen, die man den Franzosen aufgebürdet hat, zumal sich der Faktor Heimvorteil bei den jüngsten großen Turnieren eher als Heimnachteil erwiesen hat. Die Franzosen waren bisher das letzte Team, das 1984 im eigenen Land einen Europameisterschafts-Pokal stemmen durfte, dasselbe gilt übrigens auch für Weltmeisterschaften, als dies 1998 gelang.

Das Scheitern vor eigenem Publikum hat dagegen Tradition, perfektioniert haben es zuletzt die Brasilianer bei der WM 2014: Obwohl das Erreichen des Halbfinales für eine im Vergleich zur früheren Grandezza eher mittelmäßige Mannschaft so schlecht nicht ist, wird es wegen dieses 1:7 gegen Deutschland für immer und ewig als nationale Schande empfunden werden.

Die bisher letzten EM-Ausrichter haben sich zumindest einer solchen zuletzt erfolgreich entzogen - als die Turniere mit der K.o.-Runde so richtig begonnen haben, waren nämlich 2012 die Ukraine und Polen gar nicht mehr dabei, Selbiges gilt auch für Österreich und die Schweiz, die Gastgeber der Euro 2008. Zugegeben: Fußballerische Großmächte sind diese Mannschaften allesamt nicht, ein bisschen mehr hätte es aber schon sein dürfen.

Es gibt also viele Gründe, warum ein Nicht-Titelgewinn der Franzosen, die bisher auch sportlich nicht wirklich überzeugt haben, eben keine Blamage wäre. Aber es ist halt immer noch Island. Vielleicht hat Dugarry recht: Schrecklich.