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Maximierung der Stimmen oder mehr Chancen auf Mehrheiten?
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Vor vier Jahren ist die damals 33-jährige Sanna Marin als jüngste Ministerpräsidentin Finnlands vereidigt worden. Sie ist seither zu einer der Integrationsfiguren der europäischen Sozialdemokratie aufgestiegen, weit über die Grenzen ihres kleinen Landes hinaus. Quasi das linke Gegenstück zu Sebastian Kurz, der international auch deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielt, als es der Relevanz Österreichs entspricht. Dass Marin innerhalb Finnlands stets ambivalenter bewertet wurde, ist logisch, denn innenpolitisches Kramuri wie die Entwicklung des Staatshaushalts schafft es nur selten über die Grenzen hinaus. Dann schon eher Finnlands ausgezeichnete Bilanz in der Covid-Krise. Doch Marin ist durchaus auch in Finnland eine beliebte Politikerin.
Ihre Sozialdemokraten gehörten am Sonntag dann auch zu jenen Parteien, die bei den Parlamentswahlen zulegten. Man kann daher nicht von einer Wahlniederlage sprechen, es ist das beste Ergebnis der Partei seit 2007. Doch Marin wird dennoch ihr Amt als Ministerpräsidentin verlieren. Erstens haben zwei andere Parteien etwas mehr gewonnen, wobei die Abstände gering sind. Zweitens hatte sich die Zentrumspartei schon vor der Wahl festgelegt, nicht mehr mit Marin koalieren zu wollen: zu links, zu viel Klimaschutz. Das kam bei der traditionell bäuerlichen Wählerschaft der Zentrumspartei nicht gut an. Nun ist Finnland mit seinem Vielparteien-Parlament nicht Österreich. Nach 1945 hat es in Finnland noch nie eine Partei geschafft, über 30 Prozent der Stimmen zu erreichen, während dies in Österreich bis auf zwei Wahlen immer der Fall war. Doch das Beispiel Marin berührt die auch in Österreich anzutreffende Herausforderung für Parteien, zwei oft gegensätzliche Ziele zu vereinen: Stimmenmaximierung und Mehrheitsbildung.
Bei der aktuellen SPÖ-Selbstfindung spielt diese Frage eine zentrale Rolle. Der Sozialdemokratie ist in den vergangenen 40 Jahren das Kunststück gelungen, nach acht von zwölf Wahlen den Kanzler zu stellen, obwohl es nie eine linke oder progressive Mehrheit gab. Die SPÖ hat also meistens eine Mehrheit gefunden, aber um den Preis, etliche für die Sozialdemokratie wichtige Ideen nicht umsetzen zu können. Deshalb gingen erst Erwartungen, dann Stimmen verloren.
Bei der Vorsitzfrage geht es indirekt auch darum: Soll die Partei ihr Profil schärfen (Andreas Babler) oder doch die Anschlussfähigkeit an die Mitte betonen (Pamela Rendi-Wagner)? Hans Peter Doskozil versucht den dritten Weg: Nach Jahrzehnten der Abgrenzung zur FPÖ will er mit seiner Anschlussfähigkeit für blaue Wähler die Mehrheitsverhältnisse ändern. Es ist gewiss ein riskanter Weg. In Dänemark war er für die Roten bisher erfolgreich. Aber auch Dänemark ist nicht Österreich.