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SPÖ-Personalcoup schafft Landtags-Patt und verhindert neues Wahlrecht.
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Wien. "Es geht darum, dass wir nicht nur miteinander leben, sondern auch kommunizieren und aneinander Ansprüche stellen." An sein eigenes Zitat - vor kurzem noch auf seiner inzwischen gelöschten Homepage - dürfte Gemeinderat Senol Akkilic in den kommenden Tagen öfters erinnert werden. Seinen grünen Parteikollegen kommunizierte er seinen fliegenden Wechsel zur SPÖ erst kurz vor Sitzungsbeginn - und damit hatte eine von den Grünen angestrebte Wahlrechtsreform keine Mehrheit mehr im Landtag.
Erst bei der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Freitag um 8 Uhr Früh wurde die Katze aus dem Sack gelassen. Mit breiter Brust präsentierte SPÖ-Parteimanager Georg Niedermühlbichler "einen weiteren Experten in unseren Reihen" und blickte auf Akkilic, der auf Beobachter keinen besonders glücklichen Eindruck machte. Mit blassem Gesicht und eingefallener Körperhaltung starrte er in die Leere. Neben Niedermühlbichler wurde Akkilic auch von der stellvertretenden SPÖ-Klub-Chefin Tanja Wehsely flankiert. Im Laufe des Tages sollte sie ihm nicht mehr von der Seite weichen.
Sie zog sogar ein Taferl hervor, auf dem ein altes Foto von ihr und Akkilic zu sehen ist. Das Foto als Beweis, dass er schon immer einer von ihnen war? "Unser Spruch ist Freundschaft", sagte sie. "Und unsere Freundschaft besteht seit 18 Jahren."
Die Freude über den Coup, bei dem die in der Öffentlichkeit unbekannte stellvertretende Klub-Chefin anscheinend die Fäden zog, war nicht zu übersehen. Im Raum war jedem klar: Es war nicht der Auftritt des neuen SPÖ-Gemeinderats, sondern jener von Wehsely. Mit funkelnden Augen erzählte sie von dem neuen Genossen - das Wort "Freundschaft" wiederholte sie gleich mehrmals. Sie sei "zutiefst berührt und geehrt", sagte sie noch. Und: "Es zählt die Arbeit für unser Wien und Freundschaft."
SPÖ verspricht Akkilic sicheres Mandat
Dann kam Akkilic an die Reihe. Er hoffe auf einen vernünftigen Abschluss des Wahlrechts, sagte er mit leiser Stimme. Doch so zurückhaltend er auch wirkte, die SPÖ-Linie hatte er bereits verinnerlicht: Die von den Grünen angekündigte Abstimmung über eine Änderung der Geschäftsordnung spreche nicht für die demokratische Kultur dieses Hauses, sagte Akkilic. Er kritisierte, dass man dabei die SPÖ überstimmen wolle. Dabei sollten die Spielregeln im Gemeinderat mit der Zustimmung aller Parteien beschlossen werden, sagte er.
Anders hätte es Georg Niedermühlbichler auch nicht sagen können. Der SPÖ-Parteimanager ergänzte: "Wir haben immer Parteienkonsens gesucht. Die Grünen brechen diesen Usus und öffnen damit die Büchse der Pandora." Senol Akkilic sicherte er dafür einen ungefährdeten Listenplatz für die kommende Wien-Wahl zu. Diesen Listenplatz hatte er bei den Grünen zuletzt verloren.
Akkilic war seit 1994 bei den Grünen aktiv. Per E-Mail hat er am Freitag in der Früh den Austritt aus der grünen Partei und dem grünen Rathausklub mitgeteilt. "Durch die SPÖ habe ich die Möglichkeit erhalten, die so wichtige Integrationsarbeit fortzuführen und weiter für jene Menschen zu arbeiten, die neu in diese Stadt kommen", versuchte er seine Entscheidung zu begründen.
Mit dem Wechsel konnte die SPÖ in letzter Sekunde die von ÖVP, FPÖ und Grüne geplante Wahlrechtsreform verhindern. Mit Akkilic hat die Partei nun 50 von 100 Stimmen im Landtag bzw. im Gemeinderat, wodurch eine Pattstellung entsteht und ein Gesetz ohne SPÖ nicht mehr beschlossen werden kann - vorausgesetzt, dass alle Mandatare anwesend sind.
Eine Stunde nach Bekanntgabe des SPÖ-Coups wurde um 9 Uhr die Sitzung des 38. Wiener Landtags eröffnet. Die Freude über die neue Mandatsverteilung war spürbar bei den SPÖ-Gemeinderäten. Strahlend und schulterklopfend nahmen sie ihre Plätze ein, um den Eröffnungsworten des Landtagspräsidenten Harry Kopietz (SPÖ) zu lauschen. "Entschuldigt ist niemand, trotz Grippewelle. Es freut mich, dass wir vollzählig sind", sagte dieser mit einem Schmunzeln im Gesicht. Schallendes Gelächter von den Bänken der Roten.
Platz genommen hatte auch Senol Akkilic. Und zwar in den Abgeordnetenreihen der SPÖ. Sein Platz bei den Grünen blieb leer. Wie angewurzelt saß Akkilic auf seinem neuen Platz. Neben ihm Tanja Wehsely, die immer wieder auf ihn einredete. Zu gewinnen gab es an diesem Tag für Akkilic aber nichts mehr. Kaum ein Politiker, von Grün, Blau oder Schwarz, der sich nicht auf ihn einschoss.
"Schwärzester Tag aus demokratiepolitischer Sicht"
"Für mich ist es der Tiefpunkt, der schwärzeste Tag aus demokratiepolitischer Sicht", sagte der grüne Klubobmann David Ellensohn. Diesen Schritt müsse sich Akkilic mit seinem Gewissen ausmachen. "Ob es das wert war, ein faires Wahlrecht für Wien, vor dem alle Menschen gleich sind, scheitern zu lassen, wird er selbst beantworten müssen."
ÖVP-Chef Manfred Juraczka nannte die Vorkommnisse "vollkommen skurril". Es habe immer wieder Wechsel von Mandataren zwischen den Parteien gegeben. "Dass jemand aber eine Stunde vor einer wichtigen Abstimmung aufgrund von inhaltlichen Differenzen die Partei wechselt, ist ungewöhnlich." In Richtung des nunmehrigen SPÖ-Mandatars sagte er: "Wenn persönliches Fortkommen in der Politik wichtiger ist als inhaltliche Grundsätze, dann haben wir ein Demokratieproblem. Wenn Sie nach Hause kommen, schauen Sie sich in den Spiegel, Herr Akkilic."
Und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus warf der SPÖ Politikerkauf vor. "Heute kann man sich das Wahlrecht mit 30 Silberlingen kaufen", sagte er und hielt mit einer schüttelnden Handbewegung einen Geldsack in die Höhe. "In welchem Zustand muss die SPÖ sein, dass sie sich an das alte Wahlrecht klammern muss."
Die Initiative von ÖVP, FPÖ und Grünen für ein minderheitenfreundlicheres Wahlrecht beginnt an einem Dienstag im Mai 2010. Es war der 4. des Monats, als die damaligen drei Oppositionsparteien einen gemeinsamen offiziellen Notariatsakt unterschrieben. Darin verpflichteten sie sich, nach der Wien-Wahl im darauffolgenden Oktober gemeinsam eine Reform des Wahlrechts zu initiieren.
Es war wahrscheinlich der erste Beistandspakt in der österreichischen Geschichte zwischen der konservativen ÖVP, der rechten FPÖ und den Grünen. Laut Erklärung sollte das neue Wahlrecht gewährleisten, "dass die Anzahl der Mandate einer Fraktion im Wiener Gemeinderat möglichst genau ihrem prozentuellen Stimmenergebnis entspricht".
Die Änderung des Wahlrechts steht zwar im rot-grünen Koalitionsvertrag. Geändert hat sich - nach vielen Diskussionsrunden - nichts. Nun sollte es also in der Gemeinderatssitzung am 27. März so weit sein. Mit einem Abänderungsantrag hätte die SPÖ überstimmt werden sollen. Angedacht wurden auch Änderungen in der Geschäftsordnung. Mit dem Wechsel von Akkilic wurden aber alle Optionen der drei Parteien zunichtegemacht.
Die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou war über den Personalcoup der SPÖ sichtlich verärgert: "Die SPÖ scheut sich nicht, die allerunterste Schublade zu bedienen." Dass Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) neue Verhandlungen in Sachen Wahlrecht anbot, wertete Vassilakou als Aprilscherz. Doch trotz der Vorkommnisse schlossen weder SPÖ noch Grüne eine zweite Auflage der Koalition aus.
Die "Sektion Acht", Querdenker der Wiener SPÖ, postete auf ihrer Homepage: "Welcher Ruck würde eigentlich durch die Stadt gehen, wenn sich die Wiener SPÖ-Führung mit demselben Verve, den sie jetzt beim Wahlrecht an den Tag legt, der Entwicklung und Umsetzung neuer Inhalte verschreibt?"
Und: "Wie viele Mandate ist die SPÖ noch zu verlieren bereit, um durch das Wahlrecht möglichst viele Mandate zugeschlagen zu bekommen?"
Bürgermeister Michael Häupl am Freitag: "Es ist, wie es ist."