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Der neue Kampf um Maos Erbe

Von Georg Friesenbichler

Politik

Kampf um die Deutungshoheit zwischen Liberalen und Konservativen. | Kritiker greifen Idol an, KP-Führung hält sich heraus.


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Wien/Peking. „Am 1. Juli 1921 versammelten sich Vertreter aller kommunistischen Zirkel in Schanghai zum I. Parteitag. Unter den zwölf Delegierten, die an dem Parteitag teilnahmen und mehr als 50 Parteimitglieder vertraten, befanden sich Mao Tse-tung, Dung Bi-wu, Tschöng Tan-tju und Ha Schu-höng.”

So berichtet es in der damaligen Namensschreibweise die „Kleine Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas” von Mjau Tschu-Hwang, die 1956 im Ursprungsland und 1960 im Ostberliner Dietz-Verlag herauskam. Am 1. Juli feierte die KP auch heuer ihren 90. Geburtstag. Andere Quellen sprechen indes vom 20. Juli, an dem der Gründungsparteitag begann, die „Volkszeitung” in Peking nennt den 23. Juli. Viele Nachschlagwerke verzichten überhaupt auf die genaue Datumsangabe und nennen nur den Juli.

Die Verwirrung liegt schon in den Aufzeichnungen der damaligen Teilnehmer begründet. Weil diese unterschiedliche Daten aufwiesen, legte das Zentralkomitee der Partei 1941 das Gründungsdatum auf den 1. Juli 1921 fest.

Auf der Vergangenheit der KPCh lasten allerdings schwerere Geheimnisse als dieses. Es wird wohl nie aufzuklären sein, wie viele Millionen Menschen infolge des „Großen Sprungs nach vorn” von 1958 bis 1962, der eine ungeheure Hungersnot nach sich zog, ums Leben kamen - die Schätzungen gehen von 20 bis 45 Millionen. Die Kulturrevolution ab 1966 soll noch einmal bis zu zehn Millionen Todesopfer gekostet haben.

Mao noch populär

Initiiert hatte beide Kampagnen Mao Zedong, der „große Vorsitzende” der KP, der beim Gründungsparteitag als 27-Jähriger dabei war. Auch wenn sich die Partei nach Maos Tod 1976 die Partei unter ihrem neuen Kopf Deng Xiaoping einem wirtschaftlichen Pragmatismus zuwandte, blieb das Idol Mao, um das während seiner Herrschaft ein Personenkult wie um Stalin entstanden war, lange Zeit unangetastet.

Noch immer hängt sein Porträt über dem Tor des Himmlischen Friedens in Peking. Vor allem auf dem Land, das der Bauernsohn immer in den Mittelpunkt stellte, ist er nach wie vor populär, aber auch die KP will sich von dem Mythos nicht verabschieden. Vor 30 Jahren gab Deng Xiaoping die Formel aus: 70 Prozent von Maos Taten waren gut, 30 Prozent schlecht. Dies gilt bis heute.

Kritiker unter Beschuss

Kurz vor den Feiern zum 90. Geburtstag brach allerdings eine Kontroverse aus, in der Mao in bis dato ungekannter Schärfe kritisiert wurde. Der Ökonom Mao Yushi nahm dabei vor allem den „Großen Sprung” aufs Korn, mit dem Mao die Stadien der ökonomischen Entwicklung überspringen und in den Kreis der großen Industrienationen vorstoßen wollte. Im Westen wurden die dramatischen Auswirkungen erst in den 1980-Jahren bekannt, in China selbst fühlte sich Mao aber schon damals durch interne Kritik in seiner Alleinherrschaft geschwächt - was laut Mao Yushi, mit dem Vorsitzenden nicht verwandt, direkt zur Kulturrevolution führte, um die innerparteiliche Konkurrenz auszuschalten.

Der online verbreitete Essay stieß prompt auf heftige Kritik, vor allem bei der von Mao-Anhängern erstellten Webseite „Utopia”. Sie forderte die strafrechtliche Verfolgung von Mao Yushi und seinem Gesinnungsgenossen Xin Ziling. Xin Ziling war im Herbst 2010 als Unterzeichner eines Aufrufs von 23 KP-Veteranen aufgefallen, in dem zu mehr Meinungsfreiheit und Abkehr von der Zensur aufgerufen wurde. Als er später gleichfalls eine Distanzierung von Mao Zedong forderte, bekam er ein Publikationsverbot für sechs Monate - wohl auch wegen seiner Darstellung, dass Premierminister Wen Jiabao wegen seines ständigen Rufes nach Reformen bei Parteikonservativen als „Unruhestifter” gelte.

Rote Nostalgie

Wenn dem so ist, könnte der im Internet ausgetragene Streit auf Risse im Machtapparat hindeuten, die sich vor der Wahl der neuen Führung im Jahr 2012 vertiefen. Dann möchte beispielsweise Bo Xilai, Parteisekretär der südwestlichen Millionenstadt Chongqing, in den innersten Kreis der Macht vorstoßen, in den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros. Im Politbüro sitzt der ehemalige Handelsminister jetzt schon.

Bei den Maoisten von „Utopia” stößt der Sohn eines (während der Kulturrevolution eingesperrten) KP-Funktionärs auf Begeisterung. Denn der 62-Jährige will „die Stadt mit den marxistischen Idealen von Mao Zedong wiederbeleben.” Zu diesem Zweck schickt er „rote Textnachrichten” mit Mao-Zitaten an die Handybesitzer der provinzähnlichen regierungsunmittelbaren Stadt in der Größe von Österreich, hält „Rote-Lieder-Kampagnen” ab und will Strafgefangene klassisch „umerziehen”.

Populär geworden ist Bo mit seinem Kampf gegen Bandenkriminalität und Korruption, auch wenn die Geständnisse der Beschuldigten durch Folter erzwungen und ihre Anwälte durch Haft eingeschüchtert werden. Ob ihn das aber auf der politischen Karriereleiter weiter nach oben bringt, wird wohl davon abhängen, inwieweit seine Konkurrenten die eigenen Ambitionen und das Staatswohl durch Bo bedroht sehen.

Denn generell goutieren die Parteiführer allzu extreme Standpunkte nicht. So verschwanden etwa Mao Youshis Angriffe auf seinen Namensvetter sehr schnell wieder aus dem Internet. Aber auch „Utopia” wurde Ziel eines Hackerangriffs. Deren Chef Fan Jinggang sah zwar die Regierung auf seiner Seite - diese haben sogar Techniker geschickt, um die Website wiederherzustellen. Andere Beobachter vermuten aber, dass die Führung hinter der Attacke steckt, weil sie eine Polarisierung gar nicht aufkommen lassen will. Denn eine ideologische Diskussion würde nicht nur dem neuen Credo einer „harmonischen Gesellschaft zuwiderlaufen, sie würde auch den Führungsanspruch der Partei in Zeiten wachsender sozialer Spannungen hart auf die Probe stellen - just zum 90. Geburtstag.