Autor Thomas Schmidinger über die heimische kurdische Community.
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Wien. Rund 100.000 Kurden leben in Österreich, knapp 40.000 allein in Wien. Diese Woche wurde im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für "Kurdologie/Europäisches Zentrum für Kurdische Studien" zum ersten Mal das "Wiener Jahrbuch für Kurdische Studien herausgegeben." Die "Wiener Zeitung" hat Mitherausgeber Thomas Schmidinger zu dem Thema befragt.
"Wiener Zeitung":In den vergangenen zehn Jahren lässt sich ein zunehmendes internationales Interesse an der Kurdenproblematik beobachten. Warum?
Thomas Schmidinger: Mit der Entstehung der Autonomieregion Kurdistan im Irak, der De-facto-Autonomie in Syrien und den politischen Veränderungen in der Türkei sind die Kurden zu einem neuen Machtfaktor in der Region geworden. Das hat sicher zu einem gesteigerten Interesse an den Kurden geführt. Aber auch in der Migrationsforschung werden Migranten heute viel differenzierter wahrgenommen als früher. Dass bei diesen Nationalratswahlen mit meiner Freundin Berivan Aslan erstmals eine kurdische Österreicherin in den Nationalrat eingezogen ist, macht deutlich, dass Kurden auch in unserer Gesellschaft eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.
Wie setzt sich die heimische kurdische Diaspora zusammen?
Kurden kamen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus unterschiedlichen Gründen nach Wien. Die zahlenmäßig größte Gruppe stellen die Kurden aus der Türkei dar. Die meisten kamen als klassische Gastarbeiter nach Österreich. Infolge des Militärputsches im Jahr 1980 und auch nach dem Beginn des Kriegs zwischen der PKK und der Türkei aber auch aus politischen Motiven.
Wie sieht es beim Rest aus?
Die Struktur der kurdischen Diasporen aus anderen Teilen Kurdistans ist etwas anders. Iranische, irakische und syrische Kurden kamen als Kriegsflüchtlinge oder politische Flüchtlinge hierher. Das waren von Anfang an Intellektuelle und politisierte Personen. Nach dem Zusammenbruch des Aufstandes von Molla Mustafa Barzani im Jahr 1975 kamen die ersten 100 Kurden aus dem Irak auf Einladung des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky nach Österreich. Ähnliches gilt auch für die etwas kleinere Zahl iranischer Kurden. Neben politischen Gründen kamen auch einige für ihr Studium nach Österreich. Schließlich gibt es noch die syrischen Kurden, die seit dem Aufstand in Qamishlo 2004 in großer Anzahl nach Österreich kommen. Jetzt kommen natürlich viele wegen des Bürgerkriegs in Syrien. Es gibt auch noch einige Kurden aus Armenien und Georgien, allerdings zu wenige, um zum Beispiel eigene Vereine zu gründen.
Sind die einzelnen Communitys untereinander vernetzt?
Es gibt teilweise Kontakt auf der Ebene der politischen Vertreter, vor allem zwischen den irakischen und den iranischen Kurdenvereinen. Aber die politischen, kulturellen und sprachlichen Spaltungen und Differenzen zwischen kurdischen Fraktionen in Kurdistan spiegeln sich auch in Wien wider.
Wie äußert sich das?
Ich habe kürzlich eine Studie über das Medienkonsumverhalten der Kurden in Österreich durchgeführt. Das Ergebnis dieser Studie zeigt, dass es keine kurdischen Medien gibt, die gemeinsame Debatten ermöglichen würden. Die Realität der Diasporen klafft zu weit auseinander, um den theoretisch formulierten Anspruch einer kurdischen Einheit auch in der Realität zu leben.
Sind die Kurden in der Diaspora politisierter als in der Heimat?
Man kann diese Frage nicht so allgemein beantworten. Das gilt für die Communitys, wo von Anfang an politisierte Menschen hierher ausgewandert sind, wie es zum Beispiel bei den irakischen Kurden der Fall ist. Auf der europäischen Ebene trifft das auch auf Schweden zu, weil dort von Anfang an Intellektuelle und politische Flüchtlinge waren.
Gibt es in Österreich zwischen Kurden und Türken noch immer solche Auseinandersetzungen wie in den 1990er Jahren?
So stark wie in den 1990er Jahren ist es nicht. Aber Spannungen gibt es schon, immer wenn die Situation in Kurdistan eskaliert. Gelegentlich kommt es dann zu beidseitigen Angriffen auf Vereinslokale. Man sieht sozusagen eine Übersetzung dessen, was in Kurdistan passiert, im österreichischen Kontext.
Sie unterrichten seit 2008 das Seminar "Konflikt und Staatlichkeit in Kurdistan" an der Universität Wien. Haben Sie Veränderungen in Bezug auf die Beziehung zwischen kurdischen und türkischen Studenten bemerkt?
In Zeiten, in denen die Situation im türkischen Kurdistan im Zeichen des Friedens stand, hatten wir konstruktivere Gespräche. Aber es kam auch oft zu starken Auseinandersetzungen, die meine ganze Kraft als Lehrender benötigte. Meine mehrheitsösterreichischen Studenten fanden das aber oft auch sehr interessant, weil das viel über die Konflikte vor Ort aussagte.
Sie gehören zu den profiliertesten Kurden-Experten in Österreich. Sie sprechen die Sprache und besuchten die kurdischen Gebiete. Woher kommt das Interesse?
Die Sprache spreche ich leider nur sehr schlecht. Es gibt nämlich kaum irgendwo die Möglichkeit, Kurdisch systematisch zu lernen. In Wien gibt es sehr selten selbst organisierte Kurse und die gibt es dann nicht lange. Die Thematik interessiert mich, seit ich als linker Jugendlicher in der Vorarlberger Provinz politisch aktiv geworden bin. Die Kurden waren damals fast die einzigen anderen Linken. So habe ich die ersten kurdischen Emigranten aus der Türkei kennengelernt. Seit den späten 1990er Jahren, als ich dann Arabisch und Türkisch gelernt hatte, habe ich dann auch alle Teile Kurdistans bereist und dabei viel über die kurdische Frage aber auch über Nationalismus und den Umgang mit Minderheiten und kultureller Diversität gelernt.