Weder schöne Männer noch durchtrainierte Cowboy-typen sind derzeit auf den Laufstegen dieser Welt gefragt, sondern vielmehr "Jungs, die aussehen, als würden sie die meiste Zeit in Cafés herumsitzen und Bücher lesen - oder Kosmetikfachzeitschriften", beschreibt "Die Welt" die Trendwende bei den männlichen Models.
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Dabei greift die Zeitung auf einen kürzlich in der "New York Times" erschienenen Artikel über die neu propagierten Interpreten der Männermode zurück: Ob Gucci, Calvin Klein, Ralph Lauren oder Giorgio Armani, sie alle buchen eher junge unterentwickelte Knaben, Höchstalter 23, denn ihre Anzüge sind schmal, sehr schmal gebaut. Der Jünglingstrend scheint irgendwie von Karl Lagerfeld ausgelöst worden zu sein, als er sich vor Jahren angeblich in den damaligen Chefdesigner von Dior, Hedi Slimane, verliebt hatte, zumindest aber in dessen Kleidung. Um jedoch überhaupt in dessen schmale Anzüge zu passen, begann der damals ein wenig pummelig wirkende Lagerfeld mit seiner berühmten radikalen Abmagerungskur. Nach Verlust etlicher Kilo wurde Karl zu Magerfeld. Der Trendsetter löste mit seiner neuen Silhouette einen neuen Männer-Look aus, der jetzt international durchzuschlagen beginnt.
Der dadurch möglicherweise entfachte Schlankheitswahn ist nur ein Aspekt eines sogenannten Trendwandels beim Mann. Soeben erschien eine Studie des Zukunftsinstituts, die das ganze Wesen "Mann" in seinen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten beschreibt. Kernaussage: Durch die erfolgreiche Emanzipation der Frau in der Gesellschaft habe der Mann Abstriche machen müssen, ja, ist er zum Verlierer geworden.
Gestiegenes Selbstbewusstsein der Frau. Zu dieser Erkenntnis gelangt "Die Männerstudie - Strategien für ein erfolgreiches Marketing". Die Autoren Anja Kirig, Daniela Sturm, Patrick Mijnals und Eike Wenzeleiner: "Die Frauen sind die Stars des 21. Jahrhunderts." Fast überall sind sie im Vormarsch, in der Politik, in den Medien und auch in der Wirtschaft. Heute sind vor allem Teamfähigkeit, Kommunikation und Sozialkompetenz gefragt, während traditionell männliche Eigenschaften wie Körperstärke und im Alleingang unter Beweis gestellte Durchsetzungskraft kaum noch gebraucht werden.
Alice Schwarzer, Kölner Vor-Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau, kann triumphieren. Heute spricht man vom Jahrhundert der Frau und kann feststellen: Sie hat fast überall Terrain gewonnen.
Mann in der Krise. Die Position der Männer in unserer Kultur war lange Zeit über die berufliche Selbstverwirklichung definiert. Hieß es früher: "He makes, she buys", so habe der wachsende Einfluss der Frauen die Gesellschaft grundlegend verändert und die westliche Kultur nachhaltig feminisiert. Die Studie fragt, wie der Mann in Zukunft den "Ritt auf der Rasierklinge zwischen beruflicher Ambition und Vatersein, zwischen Laptop und Kinderwagen" bewältigt. Denn der Aufstieg der Frau sei gleichzeitig sein Niedergang. "Machos, Softies oder Metrosexuelle - die Männer sind in der Krise. Aber Krisen zeigen häufig an, dass ein Wandel bevorsteht, dass sich in unserer Gesellschaft etwas verändert".
Während das Selbstbewusstsein der Frauen gestiegen ist und viele "ihren Mann" stehen, muss der Mann erst noch mit seiner neuen Situation fertig werden. Anpassungs- und Konformitätsdruck sind die Folge. Er kommt ins Grübeln und denkt um, indem er sein Selbstverständnis nicht mehr allein aus dem Beruf ableitet, sondern den Lebenssinn auch in anderen Bereichen sucht. Mit Klischees wie Macho (etwa John Wayne) oder Softie (so wie der Ehemann von Model Heidi Klum, Seal: "Ich bin eine Hausfrau.") lassen sich die neuen Männer laut Studie nicht mehr beschreiben. An seine Stelle tritt "das Modell des partnerschaftlichen Erwirtschaftens und Versorgens, in dem Gefühlsarbeit und Hausarbeit gleich wichtig sind wie das Geldverdienen". Ein Bewusstseinswandel, der die Wirtschaft, letztlich auch die Modeindustrie, vor neue Herausforderungen stellt.
Individualisierung der männlichen Bedürfnisse. Wie ist er, der "neue Mann"? Zuerst: Den neuen Mann gibt es nicht, weder in der Studie noch im richtigen Leben. Immerhin haben sich gewisse Verhaltensweisen geändert. Aus manchem strengen Macho ist ein liebevoller Mitmacher geworden - lassen wir dabei aber die soften Typen beiseite, die sich in ihrem Gebaren, ihrer Frisur und Kleidung oft recht feminin zeigen. Doch fällt heute dem Mann keine Perle aus der Krone, wenn er das Baby wickelt, wenn er der Ehefrau im Haushalt hilft oder wenn er im Bus oder in der U-Bahn für eine Frau aufsteht. Die Männer zeigen viele Facetten. Generell gesagt: "Die Rollen sind flexibler und fließender, das Rollenverhalten zeigt mehr Vielfalt".
Das Karrieredenken weicht vielfach einer Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Ein Nachholbedarf dessen, was Frauen auf dem Weg zur Gleichstellung oft spöttisch begleitet hat?
Ein neues Konsumbewusstsein hat sich gebildet, ein Wertewandel, der abgeht von starren Klischees und mehr Suche und Dynamik beinhaltet. Der Megatrend: Individualisierung. Auf die einzelnen Bedürfnisse und Vorlieben der Männer wird die Industrie künftig stärker eingehen müssen. Das gilt für alle Bereiche.
Karriere ist nicht alles. Wie stark Männerbilder, Männerrollen und männliches Selbstverständnis ins Wanken geraten sind, zeigt die Studie an Prominenten als Beispiele für neue Männertypen. Dabei werden auffälligerweise sogenannte weiche Faktoren wie Vaterschaft, Gesundheitsfürsorge oder Engagement für eine intakte Umwelt in den Vordergrund gestellt. Unter anderem wird ein bekannter Leader einer Popband zitiert: "Für mich fängt ein neues Kapitel an. Ich bin Vater geworden. Und das wird dann jetzt so mein nächstes Projekt werden." Oder Boris Becker, der einen neuen Typus des Männlichen verkörpere. "Als Erzieher und Begleiter seiner Kinder bewegt er sich heraus aus den klassischen Männlichkeitsreservaten Büro, Fußballplatz und Kneipe".
Der Chefredakteur von "Werben & Verkaufen" teilt sich seinen Münchner Job mit einem Kollegen, um mehr von seiner Familie in Stuttgart zu haben, nachdem er erkannt hatte, "dass beruflicher Aufstieg die männlichen Kraftressourcen" ausschöpfe. Auch Vertreter der Health-Hedonisten verkörpern nach Auffassung der Studie einen neuen Typus Mann, der zwar nach hohen Moralvorstellungen lebt, aber genussvoll konsumiert und sich damit von den Weltverbesserern, den Umweltaktivisten und Ökos der vergangenen Jahrzehnte unterscheidet, für die Konsum vor allem Entsagung bedeutete.
Sanft, doch nicht soft. Beim Wandel im Verhalten des männlichen Wesens wird so manches Tabu gebrochen. Auch der Mann möchte heute immer frisch und gepflegt erscheinen, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Das Badezimmer ist sein Kosmetiksalon. Der Mann ist offener und gefühlvoller geworden und betritt so manche ehemalige Domäne der Frau. Ein Beispiel sind die vielen Kochsendungen im Fernsehen, in denen vor allem Männer kochen, auch eingeladene Künstler. Der Mann am Herd? Früher undenkbar . . .
Eine Annäherung der Geschlechter ist auszumachen. Und welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Mode? Längst ist die Kleidung für den Mann vielfältiger geworden, bemühen sich Designer verstärkt um ihn. Männermode wird heute in der Öffentlichkeit nicht mehr, wie vor Jahren noch, mokant kommentiert, sondern ist gesellschaftlich akzeptiert. Sogar Banker, Manager und Politiker legen mehr und mehr Wert auf eine gute Erscheinung, lassen sich teilweise sogar von Personal Shoppers beraten. Schließlich ist auch die Rede vom zunehmenden Körperbewusstsein des Mannes, schicker Unterwäsche und von mehr Körperpflege. Auf das Äußere legt er immer mehr Wert.
Karl Lagerfeld sagte kürzlich über die Bevorzugung von superschlanken Models bei Modeaufnahmen: "Die Frauen wollen sich sehen, wie sie sein möchten: idealisiert." Mag sein. Der "neue Mann" denkt sicherlich anders, trotz einer Bewusstseinsänderung. Die von den Designern über den Steg geschickten Männertypen jedenfalls sind für ihn gewiss keine Vorbilder. Identification impossible. Er will möglicherweise sanft sein, jedoch nicht soft.