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Woher kommt Ägyptens künftiger Präsident Abdel Fattah al-Sisi? . Ein Ortsbesuch.
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Kairo. Auch wenn die Anzahl der Wähler, die zu den Urnen gingen, um ihren nächsten Präsidenten zu wählen, mit rund 44 Prozent der Wahlberechtigten gering ausfiel: Abdel Fattah al-Sisi ist zweifellos das nächste Staatsoberhaupt Ägyptens. Nach Angaben aus Justizkreisen erhielt der frühere Geheimdienstchef 93,3 Prozent der Stimmen.
Auch im Khan al-Khalili, im größten Basar des Nahen Ostens, ist al-Sisi schon längst der neue Präsident. Nirgendwo sonst hängen so viele Poster, Plakate und Fotos des Feldmarschalls in Zivil. Alle hier haben al-Sisi gewählt. "Er ist einer von uns", heißt es. Al-Sisi und seine Familie hätten 30 Jahre lang hier gewohnt, berichtet Mohammed, der kleine Gips-Pyramiden und bunt bemalte Papyrus-Blätter verkauft und durch den hinteren Teil des Basars führt, der Gamaleja heißt. Dort haben die Händler ihre Wohnungen.
Vorbild Nasser
In einer kleinen Seitenstraße befindet sich das Haus, in dem der künftige Präsident Ägyptens vor 59 Jahren geboren wurde und aufgewachsen ist. Dicht an dicht stehen die zumeist zweistöckigen, schmucklosen Gebäude. Eine Frau in schwarzen, langen Kleidern verkauft Obst und Gemüse. Dahinter gibt es ein kleines Kaffeehaus, in dem nur Männer sitzen. Vor vier Jahren sei al-Sisis Vater Said gestorben, sagt einer seiner Cousins, der vor einem Silberschmuckladen in der Juwelierstraße von Khan al-Khalili sitzt. Er sei streng gewesen mit seinen Kindern, habe zwei Frauen gehabt und war reich. "Die Familie ist groß." Überall gibt es Geschäfte, die einem Familienmitglied gehören.
Damals, als Abdel Fattah hier geboren wurde, war ein Händler auf dem Basar ein angesehener Mann, der zur Mittelschicht gehörte und gut verdiente. Die sogenannten Freien Offiziere hatten gerade die Monarchie entmachtet, den König ins Exil geschickt und der britischen Mandatsmacht klargemacht, dass sie fortan nichts mehr am Nil zu melden hätte. Der Platz, an dem der britische Offiziersklub in Flammen aufging, heißt heute Tahrir (Befreiung). Die Ära Gamal Abdel Nassers brach an.
Der junge al-Sisi erlebte die Verstaatlichung des Suezkanals, den Bau des Assuan-Staudamms, die Zuteilung von Land an Kleinbauern, freie Bildung für alle, die Einführung des Frauenwahlrechts und die gnadenlose Verfolgung der Muslimbrüder. Begeistert nahm er Nassers Traum einer großen arabischen Nation auf und war traurig, als dieser zerbrach. Nasser prägte den strebsamen Burschen wie niemand sonst. Bald war klar, dass auch er Offizier werden wollte, denn mittlerweile bildeten Militärs die Mittelschicht Ägyptens. Al-Sisi schlug eine Laufbahn bei der Armee ein und zog in den neu gebauten Bezirk Nasser City um.
Wenn man Cousin Mustafa finden will, muss man in den Teil des Basars, in dem die Werkstätten sind. "Eine Treppe hinauf und hinten in der Ecke", lautet die Wegbeschreibung. "SISI" steht mit großen Lettern und blauer Schrift an der Tür. Davor sind Tische, Stühle und Bettgestelle aufgestellt. Auch Schmuckdosen mit feinsten Intarsien fertigt der Tischler in Handarbeit. Jeder Kunde wird emsig umworben, denn die Geschäfte gehen schlecht.
Kampf gegen Islamisten
Die Binnennachfrage ist geschwächt, die Tourismuszahlen gehen immer weiter zurück, es gibt eine Energiekrise, ausländische Investoren zeigen Ägypten die kalte Schulter. Arbeitslosigkeit und Inflation verbinden sich mit grassierender Armut, die die Ägypter bald wieder auf die Straße treiben wird. Im Moment noch hangelt sich die Übergangsregierung mit Krediten aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten durch die wirtschaftliche Talsohle. In den vergangenen zehn Monaten sind etwa 20 Milliarden Dollar "verpulvert" worden. Darunter sind auch Milliarden aus Katar, das die Muslimbrüder unterstützte und jetzt von der neuen Regierung und den Partnern am Golf an den Pranger gestellt wird.
Al-Sisi hat sich zur Aufgabe gemacht, keine Gnade gegenüber den Islamisten walten zu lassen. Für die schwierige Sicherheitslage und den nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi einsetzenden Terror werden allein die Muslimbrüder verantwortlich gemacht. Seien sie ausgeschaltet, sei die Sicherheit wiederhergestellt, heißt es. Dafür erfährt al-Sisi in der Bevölkerung breite Zustimmung. Dass dabei auch revolutionäre Organisationen wie die "Bewegung 6. April" verboten und deren Anführer zu jahrelanger Haft verurteilt werden, nehmen die meisten in Kauf. Fast 16.000 Menschen sind seit Juli 2013 verhaftet worden.
Auf dem Basar gehen die Lichter aus, doch die Händler haben sofort Kerzen und Petroleumlampen bereit. Stromausfälle gehören zum Alltag. Manchmal sind ganze Straßenzüge Kairos stundenlang ohne Strom. Zu Mursis Amtszeit lösten sie noch Proteststürme aus und waren mit ein Grund für die Rücktrittsrufe der Massen. Jetzt sitzen die Menschen geduldig im Dunkeln und warten, bis das Licht wieder angeht.
Etwa 20 Prozent des Staatsbudgets verschlingt der Energiesektor. Strom ist hoch subventioniert und nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Außerdem ist die landeseigene Gasförderung zum Betrieb der Stromkraftwerke seit dem Umbruch 2011 dramatisch eingebrochen. Monatelang sind die ausländischen Betriebe, die im Auftrag des ägyptischen Staates Gas förderten, nicht mehr bezahlt worden und haben schließlich ihre Aktivitäten eingestellt. Ägypten muss jetzt Gas importieren, nachdem das Land früher Gas exportiert hat. Die Energiekrise ist denn auch das drängendste Problem für den neuen Präsidenten. Die Zementwerke haben bereits erklärt, ihren Energiebedarf künftig mit billiger Kohle decken zu wollen. Was das für Kairo bedeutet, dessen Luftverschmutzung ohnehin zu den stärksten weltweit gehört, ist nicht auszudenken. Einige der größten Zementwerke Ägyptens sind in Helwan beheimatet, einem Vorort südlich der Hauptstadt.
Geduld wird verlangt
Der neue Präsident muss sich also dringend etwas einfallen lassen, denn im August wird das restliche Geld aus den Golfstaaten aufgebraucht sein. Und was gedenkt al-Sisi zu tun, um den drohenden Wirtschaftsbankrott abzuwenden? Die Antwort aus seinem Wahlteam: "Wir wollen keine unnötigen Debatten anstoßen." Nur so viel ließ er in einem seiner beiden Fernsehinterviews im Präsidentschaftswahlkampf verlauten: Die Ägypter müssten den Gürtel enger schnallen, Opfer bringen und Geduld haben. Eine Besserung werde erst nach zwei Jahren eintreten. Mustafa jedenfalls ist voller Hoffnung und glaubt an seinen Cousin. Er sei schon als Kind so zielstrebig und diszipliniert gewesen, meint der Tischler. "Abdel Fattah wird es machen!"