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Der neue VOR-Tarif: innovativ, aber intransparent

Von Walter Kühner

Gastkommentare
Glücksspiel am Fahrkartenautomaten: Wer geschickt kalkuliert, fährt unter Umständen billiger. Foto: Wiener Linien/Michael Unger

Manche Strecken werden billiger, andere sind künftig unverhältnismäßig teuer.


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Ab 6. Juli gilt im Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) ein neues Tarifsystem ohne Zonenunterteilung. Die in den vergangenen Jahren mehrmals verschobene Zusammenlegung des bisherigen VOR mit dem VVNB (Verkehrsverbund Niederösterreich-Burgenland) soll dann Realität werden. Der neue VOR-Tarif erscheint auf den ersten Blick einfacher, weil man sich nie um Zonen kümmern muss, sondern nur Abfahrtsort und Ziel anzugeben braucht (das war allerdings beim Kauf von Einzelfahrkarten am Schalter oder Fahrkartenautomaten bisher auch schon so). Bei genauem Hinsehen werden allerdings jede Menge Tücken und Fallen erkennbar.

Die Kernzone Wien ist künftig tarifmäßig völlig entkoppelt und von der Tarifreform nur indirekt betroffen. Das ist wegen der Verschiedenheit von Millionenstadt und Region begrüßenswert, birgt aber Gefahren. Der generelle Wegfall der Überlappungsbereiche bedeutet, dass künftig auch für kurze Strecken in die Kernzone hinein immer extra bezahlt werden muss. Bei Zeitkarten (Wochen-, Monats-, Jahreskarten) gibt es jedoch einen ermäßigten Kernzonentarif, falls nur Bahn oder Regionalbusse innerhalb der Kernzone benützt werden.

Gleiche Streckenlänge, völlig andere Tarife

Bei der Preisgestaltung wurde offenbar danach getrachtet, die Preise für Strecken bis zur Kernzonengrenze gleich oder niedriger zu halten. Teurer wird es für all jene, die bisher von den Überlappungsbereichen profitierten. Dank preislicher Zwischenstufen (1,70, 3,30, 5,50 Euro usw.) werden manche Strecken billiger, zum Beispiel kostet die Strecke Wien Liesing - Baden (16 km) künftig 3,30 statt 4,40 Euro, während Wien Liesing - Wiener Neustadt (39 km) mit 8,80 Euro preislich gleich bleibt.

Manche Strecken im Außenbereich werden jedoch empfindlich teurer. Die Einzelfahrt Felixdorf - Gumpoldskirchen (19 km) kostet künftig 5,50 statt bisher 2,20 Euro, während Bad Vöslau - Wien Liesing (20 km) weiterhin nur 4,40 Euro kostet. Auf der Strecke Kottingbrunn - Gumpoldskirchen (11 km) verdoppelt sich der Preis auf 4,40 Euro, während sich Gumpoldskirchen - Wien Liesing (11 km) von 4,40 auf 2,20 Euro verbilligt; der Preis für Wiener Neustadt - Sollenau (10 km) erhöht sich von 2,20 auf 3,30 Euro. Entsprechend den Einzelfahrtspreisen wirken sich die Preisänderungen bei Zeitkarten aus.

Kauft man das Ticket online im ÖBB-Ticketshop oder mit der ÖBB-Ticket-App, erhält man ein Ticket zum ÖBB-Kilometertarif, womit die Einzelfahrt in vielen Fällen billiger wird (gilt allerdings nur auf der Bahn, dafür gleicher Preis für alle Wiener Bahnhaltestellen). Zum Beispiel kostet Pfaffstätten - Wien Floridsdorf damit nur 3,50 statt 5,50 Euro.

Der absolut höchste Preis für eine Strecke ist offenbar 34,60 Euro (Einzelfahrt) / 88 Euro (Wochenkarte) / 250 Euro (Monatskarte) - jeweils ohne Kernzone. Das betrifft zum Beispiel die Strecke Gmünd - Güssing; und egal, welche weit entfernten Zwischenziele man hinzufügt: Der Preis bleibt gleich, auch mit den beiden zusätzlichen Zwischenzielen Semmering und Bernhardsthal.

Für Inhaber einer VorteilsCard Senior gibt es künftig (wie schon im VVNB) einen Seniorentarif. Einzelfahrten mit Umstiegen von Bahn auf Bus werden dadurch generell billiger.

Zeitkarten: Strecke mit Umgebungsnetz(en)

Einzelfahrscheine gelten wie bisher nur für die angegebene Strecke. Wochen-, Monats- und Jahreskarten gelten auch in einem "persönlichen Netz" entlang der gewählten Strecke (Ersatz für die Zonen). Mit maximal zwei Zwischenzielen, die aber nicht auf der Strecke liegen müssen, kann das "persönliche Netz" preisgünstig erweitert werden.

Dieses "persönliche Netz" kann man aber nur am Computer oder Smartphone ablesen, denn einen gedruckten Plan mit fixen Zonen gibt es ja nicht mehr. Wer weder Computer noch Smartphone hat oder im Umgang damit nicht sehr versiert ist, weiß nicht, welches Netz ihm zur Verfügung steht.

Ein großes Plus ist, dass Stadtverkehre (Amstetten, St. Pölten, Wiener Neustadt und andere), die auf der Strecke liegen, bei Zeitkarten künftig immer inkludiert sind. Die ominösen 365 Euro für Jahreskarten sind die Preisuntergrenze, allerdings auch für Mininetze wie Perchtoldsdorf oder Klosterneuburg. Jahreskarten ausschließlich für Stadtverkehre werden dadurch zwar in Amstetten, Hollabrunn, Krems, St. Pölten und Wiener Neustadt minimal billiger (um 3 bis 13 Euro), in Zwettl aber um 115 Euro teurer. Generell gibt es bei Jahreskarten für Außenbereich plus Kernzone einen Rabatt gegenüber dem zehnfachen Monatskartenpreis, womit die Kernzone dann effektiv nur 248 Euro kostet.

Gravierende Unstimmigkeiten

Die derzeitige Umsetzung weist eine Reihe von gravierenden Unstimmigkeiten auf. So liefert die Eingabe zweier Zwischenziele in umgekehrter Reihenfolge in vielen Fällen dasselbe Netz zu unterschiedlichen Preisen. In manchen Fällen ergibt die Eingabe eines Zwischenziels einen unplausibel hohen Preis, während in anderen Fällen die Netzerweiterung sogar zu einer Verbilligung führt! Für die Strecke Wiener Neustadt - Wien gibt es fünf Varianten (abhängig von der gewählten Haltestelle an der Kernzonengrenze), die alle gleich viel kosten, aber unterschiedlich große persönliche Netze bieten; nur ein einziges Netz umfasst alle anderen.

Wer ohne Vorbereitung beim Busfahrer eine Wochenkarte kauft oder am ÖBB-Schalter eine Jahreskarte bestellt, wird in den meisten Fällen nicht zu seinem optimalen Netz kommen. Von einfacher, transparenter, übersichtlicher und gerechter, wie die Arbeiterkammer in einer ersten Aussendung urteilte, kann daher keine Rede sein. Der neue VOR-Tarif hat vielfach Glücksspiel-Charakter. Wer tüftelt, hat die Chance, billiger unterwegs zu sein.

Überraschende Nebeneffekte

Da das Entwerten von Fahrscheinen für den Außenbereich künftig wegfällt, werden die Entwerter im Außenbereich abgebaut. Deshalb kann die 8-Tage-Klimakarte bei Fahrten vom Außenbereich in die Kernzone de facto nicht mehr benützt werden, weil sie vor Fahrtantritt nicht entwertet werden kann. Eine zusätzliche Verteuerung für alle Nicht-Wiener. Umgehen kann man die Extramaut nur, indem man an der Kernzonengrenze aussteigt, entwertet und dann mit dem nächsten Zug weiterfährt - sofern der Zug dort überhaupt hält.

Dass die endlich eingeführten Tageskarten nur für mehrmalige Fahrten auf der Strecke, nicht aber (wie in allen anderen Verbünden) im "persönlichen Netz" genützt werden können, ist nicht einzusehen aufgrund des generell hohen Preisniveaus im Öffentlichen Verkehr sowie aufgrund des Umstandes, dass der Preis einer Tagskarte etwa 60 Prozent einer Wochenkarte ausmacht. Dass Wochenkarten und Monatskarten weiterhin nur für Kalenderwoche und -monat ausgegeben werden, ist kleinkariert.

In Zonentarifsystemen ist die Preisberechnung völlig transparent und nachvollziehbar. Der VOR-neu öffnet hingegen nun Tür und Tor für Willkür in der Preisgestaltung. Auffällig ist, dass manche Strecken unverhältnismäßig teuer sind. Wer wacht über die objektiven Kriterien der Preisgestaltung? Da die Tarifinformation nur online auf eine konkrete Abfrage hin verfügbar ist, gibt es keinen verbindlichen Stand. Wer garantiert, dass am nächsten Tag auf dem PC noch dasselbe "persönliche Netz" angezeigt wird? Wenn es aufgrund einer Korrektur von heute auf morgen reduziert wird, wird man plötzlich zum ungewollten Schwarzfahrer.

Auch gegenüber überforderten Schaffnern und Busfahrern wird man es als Fahrgast nicht leicht haben, glaubhaft zu machen, dass der Fahrausweis wirklich dort gilt, wo man fährt, denn aufgedruckt ist ja nur eine Strecke. Den Ausdruck mit der Auflistung aller Haltestellen und Linien seines "persönlichen Netzes" immer dabei zu haben, empfiehlt sich nicht wirklich (20 Seiten bei größeren Netzen!) - besser eine Online-Kopie im Notebook oder Smartphone.

Ob man an den ÖBB-Fahrkartenautomaten sämtliche Relationen erhalten wird, ist sehr unwahrscheinlich. Einerseits wird der Datenspeicher nicht alle Haltestellen aufnehmen können (so wie jetzt auch schon). Außerdem ist zu befürchten, dass die Angabe zweier beliebiger Zwischenziele nicht möglich sein wird. Hauptleidtragende wären wieder die Bewohner der Region (wo es immer weniger Bahnschalter gibt), denen auch schon bisher der Erwerb von Zeitkarten mit B-Zonen an den Fahrkartenautomaten verweigert wurde. Abhilfe schaffen würde der Verkauf von Verbundfahrausweisen in Trafiken.

Eine große Chance vertan

Mit dem neuen Tarifsystem wurde eine große Chance vertan. Wünschenswert wäre ein Tarifsystem, in dem das Verbundgebiet großflächig entlang der Verkehrsachsen in Quadranten unterteilt wird, bei dem man Nachbarquadranten günstig dazu erwerben kann. Etwas mehr Großzügigkeit würde das Tarifsystem tatsächlich vereinfachen, der Geltungsbereich wäre auf einen Blick erkennbar, zudem würde ein echter Anreiz geschaffen, den öffentlichen Verkehr nicht nur auf dem Weg zur Arbeit zu benützen.

Einerseits ist die Vorlaufzeit von einem Monat von der Ankündigung bis zum Start viel zu kurz, damit sich alle darauf vorbereiten können. Darüber hinaus ist das Tarifsystem derzeit noch nicht ausgereift, wie sich gezeigt hat. Eine Verschiebung des Starts um einige Monate erscheint daher dringlich geboten.

Walter Kühner war im Verein Fahrgast aktiv und Mitgründer des Verkehrsclub Österreich (VCÖ).