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Der Nobelpreis für den Dissidenten Liu Xiaobo ist eine Ohrfeige für Peking

Von Rainer Mayerhofer

Analysen

Das Friedensnobelpreiskomitee in Oslo hat mit seiner Entscheidung, den Preis 2010 an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo zu verleihen, den chinesischen Machthabern eine schallende Ohrfeige versetzt. Peking hatte im Vorfeld nachdrücklich vor einer Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo, der eine elfjährige Haftstrafe verbüßt, gewarnt. Der Preis sei an einen "Kriminellen" verliehen worden, empört sich nun Chinas Regierung und sieht die Beziehungen zu Norwegen belastet.


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Politische Beobachter fühlen sich an das Jahr 1989 erinnert, als wenige Monate nach dem Massaker am Tiananmen-Platz die damalige chinesische Regierung wegen der Vergabe des Friedensnobelpreises an den Dalai Lama schwer verstimmt war. Den Dalai Lama konnte Peking seinerzeit nicht an der Entgegennahme des Preises hindern, Liu Xiaobo wird aber vermutlich in seinem chinesischen Gefängnis sitzen, wenn am 10. November in Oslo der Preis übergeben werden soll.

Liu Xiaobo wird nicht der Erste sein, den seine Regierung an der Preisannahme hindert. Der wohl prominenteste Friedensnobelpreisträger, der nicht nach Oslo reisen durfte, war der Schriftsteller und Pazifist Carl von Ossietzky, dem 1936 nach einer breiten Kampagne rückwirkend für das Jahr 1935 der Preis verliehen wurde.

Das Nazi-Regime in Berlin versuchte seinen Gefangenen unter Druck zu setzen, um die Preisannahme zu verweigern. Als sich Ossietzky (er verstarb zwei Jahre danach an den Folgen der KZ-Haft) widersetzte, verbot Adolf Hitler deutschen Staatsangehörigen für die Zukunft die Annahme sämtlicher Nobelpreise.

Für die Nazis war der Friedensnobelpreis an Ossietzky eine schallende Ohrfeige, erinnerten sich später jene, die sich für die Preisverleihung eingesetzt hatten - unter ihnen der Friedensnobelpreisträger des Jahres 1971, Willy Brandt, dessen Auszeichnung bei seinen politischen Gegnern auch nicht gerade auf lauten Jubel stieß.

Die Entscheidungen des Osloer Friedensnobelpreiskomitees waren oft umstritten und forderten undemokratische Regimes offen heraus. 1975 etwa bekam der sowjetische Menschenrechtler Andrei Sacharow den Friedensnobelpreis und Moskau schäumte. 1984 sah sich das südafrikanische Apartheid-Regime durch die Preisverleihung an Bischof Desmond Tutu brüskiert und 1991 die Militärjunta in Burma, als der noch heute unter Hausarrest stehenden Regimegegnerin Aung San Suu Kyi der Preis verliehen wurde.

2002, als George W. Bush gerade den Irak-Krieg vorbereitete, war die Preisverleihung an seinen Amtsvorgänger Jimmy Carter ebenso ein klares Signal wie ein Jahr später, als die iranische Menschenrechtlerin Schirin Ebadi ausgezeichnet wurde.