Zum Hauptinhalt springen

"Der Nutzen überwiegt"

Von Reinhard Göweil und Thomas Seifert

Wirtschaft

Der Boss der einflussreichen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zieht gegen die niedrigen Zinsen zu Felde.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Basel/Wien. Die "Bank für Internationalen Zahlungsausgleich" in Basel arbeitet als "Bank der Zentralbanken". Sie gehört den Notenbanken, und die BIZ ist so was wie das Konzil der Hochfinanz. Die BIZ ist der exklusivste, verschwiegenste und mächtigste suprastaatliche Klub der Welt. Was dort - höchst diskret - vereinbart wird, hat kurze Zeit später Auswirkungen auf Milliarden Menschen. Kein Wunder, denn im obersten Gremium der BIZ sitzen die Chefs der Federal Reserve aus Washington, der Europäischen Zentralbank, der Bank of England, der Peoples Bank of China, der Bank of Japan, der Banque de France, der Banca d’Italia und und und...

Der Spanier Jaime Caruana leitet die Bank, und er hielt jüngst eine bemerkenswerte Rede. Dieser Rede war ein handfester Streit vorausgegangen, wie Insider erzählen. Denn Caruana stellte darin die Niedrigzins-Politik der großen Zentralbanken in Frage, was bei Bernanke, Draghi & Co. gar nicht gut ankam. Dass er sie trotzdem hielt, ist wohl mehr als erstaunlich. Der Gouverneur der Nationalbank, Ewald Nowotny, ist zwar nicht im Mitglied im elitären Verwaltungsrat, geht inhaltlich aber auch auf Distanz zu den Äußerungen seines spanischen Kollegen.

"Natürlich haben wir in der EZB bedacht, dass die Niedrigzins-Politik Nebeneffekte hat. Aber der Nutzen überwiegt ganz klar. Es geht darum ein erneutes Abgleiten der Wirtschaft in eine Rezession zu verhindern. Europas Wirtschaft ist nach wie vor unterausgelastet, das zeigen die hohen Arbeitslosenzahlen." Für Nowotny lassen sich die "Nebeneffekte" nicht durch Zinspolitik steuern. "Da gibt es andere Instrumente, etwa die stärkere Eigenkapital-Unterlegung bei Immobilienkrediten."

Die Möglichkeit, dass sich wegen der niedrigen Zinsen auf Finanzmärkten Blasen bilden, die dann später platzen und in den Banken schmerzhafte Verluste verursachen, sieht Nowotny - angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung in Europa - als "Luxusproblem".

Tatsächlich stellte BIZ-Chef Caruana drei starke Thesen in seiner Rede auf:

Zu viel Wachstum auf Pump. Seit einigen Jahrzehnten sei Wachstum - vor allem in den westlichen Industrienationen - auf Pump finanziert worden. "Seit 2007 ist das Verhältnis der Schulden im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt um mehr als ein Fünftel gestiegen", sagte der Boss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Caruana, in seiner Rede. Diese Schulden seien ein Erbe der massiven Stimulus-Programme, in den Entwicklungsländern habe vor allem der private Sektor neue Schulden aufgenommen. Zwar seien seit einigen Jahren Anstrengungen unternommen worden, die Schulden in den Griff zu bekommen, dennoch liegt die Verschuldung des öffentlichen und privaten Sektors bei 275 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Industrieländern und bei 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Emerging Economies, den aufstrebenden Märkten. Caruana stellt die Frage in den Raum: "Diese Woge an Schulden hat zweifelsohne dabei geholfen, die Nachfrage zu unterstützen. Was weniger klar ist: Wird das auch höhere Einkommen in den kommenden Jahren generieren und somit nachhaltig wirksam sein?" Die höheren Schuldenstände würden zudem destabilisierend für die Wirtschaft wirken, da die Fähigkeit der Schuldner, ihre Kredite zu bedienen, zunehmend sensibel auf ein Fallen der Einnahmen oder steigende Kreditzinsen reagiert. Caruana wischt die Gefahr einer Secular Stagnation - holprig mit säkularer oder auch langfristiger Stagnation übersetzt - beiseite. Die Gefahr einer chronisch schwachen Nachfrage gehe seiner Meinung nach von strukturellen Problemen in einzelnen Staaten und einer Überalterung der Gesellschaft aus. Daher würden auch zusätzliche schuldenfinanzierte Stimulus-Programme nicht helfen.

"Monetäre und fiskale Maßnahmen haben uns ein wenig Luft verschafft. Aber das kann Strukturreformen nicht ersetzen. Steigende Schulden der öffentlichen Hand sind nicht dazu angetan, das Vertrauen zu erhöhen", sagt Caruana.

Die Notenbank-Politik ultraniedriger Leitzinsen bringe ebenfalls wenig - im Gegenteil, meint der BIZ-Boss: "Wenn dieser Zustand zu lange andauert, dann trägt das zu einem unerwünschten, neuen Gleichgewicht bei - einem Gleichgewicht von hohen Schulden, niedrigen Zinsen und anämischem Wachstum."

Caruana ist ein Anhänger der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Beschäftigung und Wachstum hängen nach dieser Theorie von den Kosten der Angebotsseite ab, Vertreter dieser Schule wollen eine Verbesserung der Investitionsbedingungen.
Zurück zu normaler Geldpolitik. Die Märkte seien nach Meinung des Chefs der BIZ zu sehr vom billigen Geld der vergangenen Jahre abhängig geworden. Diese Erwartungshaltung zu brechen, wird schwierig, so Caruana. Zudem würden einige Entwicklungsländer unter dem Zustrom von Liquidität leiden. Erklärung: Hot Money dieser Art fließt kaum in nachhaltige Investitionen und ist sehr flüchtig und scheu. Die niedrigen Zinsen würden sich kaum in erhöhten Investitionen des privaten Sektors niederschlagen, daher sei es nach Jahren des billigen Geldes an der Zeit, "mehr auf die Gefahren einer zu späten Normalisierung der Geldpolitik zu achten".

Stabileres Finanzsystem. Das Bankensystem habe zwar das Schlimmste überstanden, "aber es gibt noch Schwäche und Unsicherheit - vor allem in Europa", sagt Caruana. Die für den Herbst geplanten Stresstests der EZB seien ein guter Schritt, genauso wie die Reform der Bankenaufsicht auf europäischer Ebene.

Mit den meisten seiner Argumente widerspricht Caruana damit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi. Beide haben ja darauf gedrängt, den Stabilitätspakt flexibel zu interpretieren, um mehr Zeit beim Abbau ihrer Defizite zu bekommen. Caruana gibt der EZB indirekt mit Schuld, dass die Reformen in den Euro-Staaten erlahmt sind. "Wenn die Geldpolitik für lange Zeit sehr locker ist, vermindert sich dadurch der Reformdruck", sagt er. Man kann davon ausgehen, dass es im Turm der BIZ in Basel heftigen Richtungsstreit geben wird.