Gesetzesentwurf in Ungarn erlaubt die Verhängung eines Aufenthaltsverbots. | Wohin verbannte Obdachlose sollen, ist aber unklar. | Budapest. Für die einen ist es ein Ausfluss sozialer Kaltschnäuzigkeit der rechtskonservativen Regierung. Für die anderen bricht endlich sichtbar die Zeit der Ordnung an, die Ministerpräsident Viktor Orbán vor den Parlamentswahlen im April versprach. In jedem Fall hat schon lange kein Thema mehr die Gemüter in Ungarn so sehr erhitzt wie ein Gesetzesentwurf von Innenminister Sandor Pinter, wonach Obdachlose konsequent aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden sollen.
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Pinter hatte diesen Vorstoß schon im Juli angekündigt. Sein erklärtes Ziel ist es, dass Menschen ohne festes Dach über dem Kopf nicht mehr "die Atmosphäre auf öffentlichen Plätzen degradieren". Dabei hat Pinter vor allem zentrale Punkte in Budapest vor Augen, wo die Scharen heruntergekommener Gestalten längst nicht mehr zu übersehen sind. Neben dem Westbahnhof sind das der Blaha-Lujza-Platz in der Nähe des Ostbahnhofs, die U-Bahn-Station Calvin-Platz unweit der Raday-Straße, einer der feinsten Gourmet-Meilen Budapests, und der Moskauer Platz.
Seit Anfang September lässt sich der Text der geplanten Gesetzesnovelle auf der Homepage des Innenministeriums abrufen. Danach werden die Befugnisse von Polizisten und Kommunalverwaltungen gegenüber Obdachlosen deutlich erweitert. Polizisten können künftig an Ort und Stelle eine Geldbuße gegen Obdachlose verhängen, die Ordnungsämter der Gemeinden wiederum können ihnen den Aufenthalt auf der Straße untersagen.
Mini-Slums bei Budapest
Mit Blick auf die Kommunalwahlen am 3. Oktober, bei denen der mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Fidesz den politischen Triumphzug dieses Jahres vollenden will, sind diese Ankündigungen wohl mehr als wirkungsvoll. Weit mehr als die Hälfte der Ungarn befürwortet Pinters Vorhaben. Allerdings weiß niemand, was mit den aus dem Straßenbild verbannten Obdachlosen geschehen soll. Im Gesetzesentwurf sind keine Alternativen für ihren weiteren Verbleib genannt, Pinter selbst hält sich zu dieser Frage auffallend bedeckt.
Nicht nur der frühere Bevollmächtigte für Obdachlose und Vize-Vorsitzende der ungarischen Malteser Miklos Vecsei nennt die Pläne des Innenministers deshalb "unvorstellbar". Ein Verbot und Sanktionen seien keine Lösung, sagte er vor kurzem im Radiosender "MR1-Kossuth Rádió". Er hoffe aber, dass die Regierung die Situation der Obdachlosen nicht durch solch eine kurzfristige Gesetzesnovelle verändere.
Sollte das Parlament erwartungsgemäß die neuen Vorschriften verabschieden, wären davon knapp 15.000 Menschen betroffen. Nach inoffiziellen Schätzungen gibt es in Ungarn zwar rund 30.000 Menschen ohne festen Wohnsitz. Von diesen lehnt es der slowakischen Nachrichtenagentur TASR zufolge aber immerhin rund jeder Dritte aus freien Stücken ab, in einer Notunterkunft zu nächtigen. Die Zahl derer, die im Zuge der Wirtschaftskrise obdachlos geworden sind, wird auf bis zu 7000 geschätzt. Schlafplätze für Obdachlose in Heimen gibt es rund 5500.
Dabei sind die Obdachlosen im Zentrum von Budapest nur der sichtbarste Teil des Elends, längst aber nicht mehr der größte. Nicht erst seit Herbst 2008, als die Wirtschaftskrise ausbrach, sind am Rande von Budapest zahlreiche illegale Mini-Siedlungen mit zumeist gartenhäuschenähnlichen Behelfsbauten entstanden. Mit ihnen haben sich Obdachlose mehr schlecht als recht eine Art Ersatzheim geschaffen.
Wichtigstes zwischenmenschliches Bindeglied in dieser Tristesse sind ein oder zwei Öl- oder Holzöfen, mit denen die Menschen im Winter gemeinsam der Kälte trotzen. Wer etwa vom Donauknie mit dem Zug in die Hauptstadt reist, kann entlang der Bahnstrecke ein gutes Dutzend dieser Hütten-Anhäufungen erblicken.
Einige der Anwohner haben sich im Laufe der Jahre sogar offenbar gewohnheitsrechtlich Hausnummern ersessen. Jedenfalls sind einige Hütten mit entsprechenden Ziffern versehen und ab und zu taucht auch der eine oder andere Postbote hier auf. Touristen allerdings verirren sich nicht in diese Welt, die von ihren Bewohnern als "längst tolerierter gesetzesfreier Raum" eingestuft wird. Vermutlich deshalb dürften sie im Gegensatz zu den Obdachlosen im Zentrum Budapests wohl auch unbehelligt bleiben.