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Der ÖGB demonstriert alte Stärke - ihrer sicher sein kann er aber nicht

Von Walter Hämmerle

Analysen

Die reinste Achterbahnfahrt der Gefühle: So könnte man beschreiben, was sich in den letzten Jahren in der heimischen Politik zugetragen hat. Nicht, dass sich die zugrunde liegenden Tiefenströmungen gravierend verändert hätten - die bewegen sich, sieht man von einzelnen Ausreißern einmal ab, seit Jahren auf stabilen Bahnen. Was sich in rasantem Tempo ändert, ist das subjektive Gefühl, einmal oben und dann wieder ganz unten zu sein.


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Am Beispiel des Österreichischen Gewerkschaftsbundes lässt sich dies trefflich illustrieren: Jahrzehntelang galt der ÖGB als zentraler Faktor im Machtgefüge der Zweiten Republik. Schwarz-Blau bestätigte diesen Eindruck eher noch weiter, wurde doch der lange Zeit verschüttete Kampfgeist der Gewerkschafter wiederbelebt. Erst die Causa Bawag 2006 führte dem ÖGB eine Ahnung von der eigenen Endlichkeit unmittelbar vor Augen.

Die roten Gewerkschafter standen in dieser Zeit auch in der SPÖ auf verlorenem Posten. Einst war es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Gewerkschafter den Posten des Nationalratspräsidenten und Sozialministers besetzte, wenn die SPÖ Anspruch darauf hatte.

Die guten alten Zeiten kehrten zwar auch mit Werner Faymann an der SPÖ-Spitze nicht zurück, aber zumindest gewann der ÖGB innerparteilich wieder an Macht und Einfluss. Der alte ÖGB-Präsident ist jetzt Sozialminister - sogar die Arbeitsmarktagenden wanderten vom Wirtschaftsministerium zurück in sein Ressort.

Zieht man nun noch in Betracht, dass auch auf ÖVP-Seite die Sozialpartner fröhliche Urständ feiern, könnte man sich glatt in jene Jahre zurückversetzt fühlen, als Wirtschaftskammer und Gewerkschaftsbund die Geschicke der Republik in fast allen wesentlichen Bereichen lenkten.

Tatsächlich ist auch unter den Delegierten zum derzeit tagenden ÖGB-Kongress eine Aufbruchsstimmung fast schon mit Händen zu greifen. Dem eigenen Kanzler wird selbstbewusst Paroli geboten, auch an guten Ratschlägen an den siamesischen Zwilling SPÖ lassen es kleine und große Funktionäre nicht mangeln. In einer stärkeren Betonung linker Positionen in der Sozial-, vor allem der Steuer- und Finanzpolitik sehen viele hier am Wiener Messegelände, wo der ÖGB-Kongress tagt, das Heil für SPÖ und ÖGB.

Vor nicht einmal zwei Jahren erklärte noch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer den roten Gewerkschaftern, wie der Hase politisch zu hoppeln habe. Doch damals befand sich eben die SPÖ im Hochgefühl der Kanzleramtsrückeroberung und der ÖGB lag auf dem Boden.

Dieser Tage muss die SPÖ wieder um ihre Mehrheitsfähigkeit im ganzen Land und in zentralen Ländern bangen. Ohne tatkräftige Mithilfe der Arbeitnehmerorganisationen wird sie das nicht schaffen. Das weiß Faymann und wissen die Gewerkschafter. Auch deshalb feierte der Kanzler am Mittwochabend demonstrativ mit jungen Arbeitnehmervertretern in einer ÖBB-Werkstätte. Aber die Dinge können sich, wie gesehen, auch rasch wieder ändern.

Siehe auch:

Saniert in die nächste Krise