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"Der Online-Dschihad geht unvermindert weiter"

Von Markus Schauta

Politik

Militärisch ist der IS in den Metropolen Syriens und des Irak geschlagen. Im Internet noch lange nicht, weiß Experte Nico Prucha.


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Wien. Nachdem die großen Städte für den IS verloren sind, wird sich in die Terrororganisation in ländliche Regionen zurückziehen, aus denen er einst kam. Diese Ansicht vertritt der Dschihadismusforscher Nico Prucha im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Und auch online würden die Dschihadisten auf die Gebietsverluste flexibel reagieren: "Nachdem Twitter durch Anpassen seiner Filter die Tweets der Dschihadisten besser finden, löschen und die entsprechenden Accounts sperren konnte, ist der IS-Kern zu Telegram gewandert", weiß Prucha. Da dieser Messenger teilweise verschlüsselt und sehr abgeschlossen aufgebaut ist, nützen die Dschihadisten ihn, um Inhalte in Ruhe zu organisieren und zu veröffentlichen.

Mehrere hundert Gruppen seien auf Telegram aktiv, die bis zu 50.000 Nachrichten in der Woche generieren. Ein Schwarm an Mitgliedern und Sympathisanten bringe diese Inhalte dann aus der geschützten Zone Telegram hinaus ins offene Netz, einschließlich Twitter: "Auf Twitter finden sich nach wie vor viele IS-Inhalte, die dann, wenn die Twitter-Accounts Tage später gesperrt werden, ohnehin nicht mehr aktuell sind."

Die Botschaften reichen von Durchhalteparolen bis zum Abgesang auf das Kalifat. Da werde einerseits betont, dass das verlorene Territorium ohnehin nicht von ihren Feinden gehalten werden könne, so Prucha. Aber es gebe auch nostalgische Stimmen, die von der Hochblüte des Islamischen Staates schwärmen, bevor alles durch "den Westen" zerstört wurde.

Im Februar widmete sich ein Gedicht dem vom Verfasser als traumatisch empfundenen Verlust des Kalifats und der notwendigen religiösen Standhaftigkeit, um dieses möglichst rasch wiederherzustellen.

"Der Online-Dschihad geht unvermindert weiter", sagt Prucha. Videos, Texte, Bilder, offizieller und von Sympathisanten generierter Content, werden massiv im Internet verbreitet. Hinzu komme die zentralisierte Propaganda wie das offizielle Radioprogramm des Islamischen Staates und tägliche kurze Videoclips.

Widerstand nutzlos

"Die Medienzentralen des IS veröffentlichen nach wie vor - wenn auch weniger oft - Full-HD-Videos". Ergänzend werden wöchentlich zwei bis vier spezielle Filmbeiträge aus den Provinzen des Kalifats gebracht. "Das kann man sich in etwa wie die ORF-Nachrichten aus den Bundesländern vorstellen, während die täglichen ORF-Hauptnachrichten landesweit die Selben sind."

Um der massiven Online-Präsenz des IS etwas entgegenzustellen, setzen zahlreiche Initiativen wie der vom US State Department ins Leben gerufene Twitter-Account "Think Again Turn Away" auf Gegen-Narrative. Dabei wird häufig versucht, über die Dokumentation von Kriegsverbrechen und Gräueltaten des IS die Menschen davon abzuhalten, sich der Terror-Miliz anzuschließen.

"Bisher hat sich fast alles als ziemlich nutzlos erwiesen", so Prucha. Vor allem, weil gar nicht oder auf falsche Weise auf die religiösen Texte eingegangen werde, auf die der IS sich bezieht.

Theologie der Gewalt

Denn die von der Terror-Miliz begangene Gewalt sei die konsequente Umsetzung dessen, was in der vom IS propagierten Theologie der Gewalt vorgegeben ist. "In etwa 2000 offiziellen Videos hat der IS mehrfach gezeigt, wofür er steht: die Anwendung religiöser Quellen im Verständnis der Extremisten."

Diese Quellen hätten im Kampf gegen die Ideologie der Dschihadisten bisher zu wenig Beachtung gefunden. Vor allem im arabischen Raum werde versucht, die Menschen mit religiösen Argumenten zu ködern, so Prucha. "Da werden auf redundante Weise Theologen und religiöse Quellen zitiert, die das Wirken des IS allgemein und den Kampf insbesondere legitimieren", so Prucha, "der Islamische Staat wird bleiben und wachsen". Dieser Slogan ist mit den Eroberung Mossuls und anderer irakischer Städte 2014 populär geworden, so der Experte. Die Marginalisierung der Sunniten im Irak und das Chaos in Syrien und dem Irak biete dafür einen verhängnisvollen Nährboden. "Umso wichtiger ist eine aufrichtige Auseinandersetzung mit den arabischen Quellen des IS", sagt Prucha.

Im Kleinen funktioniere das bereits: Gemeinsam mit muslimischen Jugendlichen haben Sozialarbeiter in Wien ein Filmprojekt gestartet. "Hier entstehen im lokalen Umfeld digitale Abdrücke, die eine glaubwürdige und kohärente muslimische Identität anbieten", so Prucha. Vielleicht ein Weg, um den IS und andere Extremisten abzuhängen.