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Wie es ein Monat nach Regierungsstart zur Zerreißprobe in der ÖVP kam.
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Wien. Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann kann froh sein, dass derzeit alle Augen auf den Regierungspartner ÖVP gerichtet sind. Sonst müsste er sich rechtfertigen, warum weder Gesamtschule noch Vermögenssteuern im Regierungsprogramm stehen. Beide sozialdemokratischen "Leuchtturmprojekte" fanden zuletzt glühende Anhänger in der Mannschaft des Regierungspartners ÖVP, konkret in der "West-Achse", bestehend aus Tirol, Salzburg und Vorarlberg, teilweise ergänzt um die Steiermark.
Gegen "Ostblock" ist "Westachse" ohne Chance
Dieses offene Eintreten für die roten Prestigeprojekte durch die ÖVP-Landeshauptmänner von Vorarlberg und Salzburg stellte die ÖVP am Wochenende vor eine Zerreißprobe und veranlasste den ÖVP-Obmann Michael Spindelegger zur Krisensitzung am Sonntag, zur unchristlichen Zeit von 22 Uhr. Dann die Entwarnung: Spindelegger bleibt fest im Sattel, gestützt durch den "Ostblock" (ÖVP-Jargon für die Achse Niederösterreich-Oberösterreich-Wien-Burgenland).
Am Montag stellte sich die Lage in der Volkspartei so dar: Vermögenssteuern bleiben tabu. Wenn jemand darüber nachdenken möchte, gerne, aber bitte nicht laut. In der Frage der Gesamtschule akzeptiert man die interne Gespaltenheit, will aber künftig ebenfalls nicht öffentlich darüber streiten. Die Vorarlberger dürfen zumindest eine Befragung über Modellregionen für die Gesamtschule starten. Und dem Wirtschaftsflügel, der ebenfalls laut mit der Gesamtschule kokettierte, verspricht Spindelegger, Verschärfungen bei der GmbH light zu überdenken.
Der Parteichef, der die Begehrlichkeiten der West- und Wirtschafts-Achse zunächst mit dem Spruch "Ich bin ja nicht das Christkind" quittierte, nimmt den Spruch mit Bedauern zurück. In der ÖVP herrscht nun wieder Frieden. Aber wie lange?
Mutige Personalpolitik, für einige zu mutig
Dafür muss man die Gründe für die Krise zur Unzeit - ein Monat nach Regierungsbildung! - kennen. Und die heißen nicht primär Vermögenssteuer und Gesamtschule. Dass die Gesamtschule im Westen und im Wirtschaftsflügel der ÖVP ihre Fürsprecher hat, ist schon seit 2012 bekannt. Und für eine Vermögenssteuerdebatte gebe es derzeit null Anlass, wenn nicht einmal die SPÖ sie fordert. Für Politberater Thomas Hofer ist das eine Stellvertreterdebatte. "Man schlägt den Sack und meint den Esel." Hofer ortet parteiinternen "Unmut, der eine erstaunliche Dimension angenommen hat". Ein Grund ist die Personalpolitik Spindeleggers. Er hat durchaus mutig mit der Tradition gebrochen, jedem Bundesland seien Minister oder Spitzenposten zu geben. Das traf auch den ÖVP-Wirtschaftsbund. Der hatte einmal eine Finanzministerin (Maria Fekter), einen Klubobmann (Karlheinz Kopf) und einen Wirtschaftsminister (Reinhold Mitterlehner). Was bleibt, ist Mitterlehner, der aber alles andere als ein Wirtschaftshardliner ist und den manche ÖVP-intern gar den "Sozialdemokraten" nennen.
Das politische Vakuum wird mit Streit gefüllt
Der zweite Grund für den schwarzen Sonntag ist das Regierungsprogramm. Da stehen nämlich weder rote noch schwarze Leuchtturmprojekte drinnen, meint Hofer. Man habe die Wünsche des anderen gegenseitig rausgestrichen und das parteiintern als Erfolg verkauft. "Es braucht Geschichten mit Fleisch", so Hofer. Oder anders formuliert: Das Vakuum an großen Projekten will gefüllt werden, wenn nicht inhaltlich, dann eben mit Streit. So wird sich der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner schwer tun, bei der Landtagswahl im Herbst die Neos in Schach zu halten, wenn er auf die Gratiszahnspangen im Regierungsprogramm oder die erhöhte Sektsteuer verweist. Deswegen zieht er die Gesamtschule aus dem Sack.
Der Ärger über die Personalpolitik kann nachlassen, der Druck nach mehr politischer Substanz nicht. "Die Regierung verspricht einen neuen Stil. Das ist lieb und nett und kann ein paar Wochen unterhalten. Aber über fehlende Inhalte kann man sich nicht so leicht hinwegturnen", sagt Hofer. Das gilt für SPÖ und ÖVP gleichermaßen. Nur ist die SPÖ derzeit geschlossener und voll auf Wien ausgerichtet. Was sich Stadtchef Michael Häupl vor der Wienwahl 2015 wünscht, wird die Bundespartei wohl liefern.
Anders als die eher zentralistische SPÖ ist die ÖVP die Summe mehrerer Länder und Bünde. Folglich droht der interne Streit wieder und wieder hochzukochen. Der Politologe Peter Filzmaier spricht von einem "brodelnden Kochtopf". Die Ursachen dafür seien nicht beseitigt. Spindelegger selbst sieht Filzmaier trotzdem "mittelfristig" nicht gefährdet: erstens, weil die Alternativen fehlen, zweitens, weil der ÖVP-Chef die mächtigen Niederösterreicher und Oberösterreicher hinter sich habe. Wie stark der "Ostblock" ist, zeigt ein Blick auf die Anteile der Stimmen am ÖVP-Wählerkuchen. Da schneidet alleine Niederösterreich besser ab als die gesamte Westachse (Tirol, Salzburg, Vorarlberg) zusammen.
Doch so groß kann der niederösterreichische Schutzschild vor Spindelegger gar nicht sein. Ohne Rückhalt aus Oberösterreich wird es eng - und dieser ist für Hofer "nicht in Stein gemeißelt".
Einen weiteren Verbündeten hat Spindelegger in Bundeskanzler Werner Faymann. Der braucht ihn als verlässlichen Vizekanzler an seiner Seite - da verblassen Streitthemen wie Gesamtschule und Vermögenssteuern tatsächlich zu Wünschen ans Christkind.