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Der Osten wird wieder rot

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Demonstrative Rückbesinnung auf Mao.


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Beijing. "Der Osten ist rot", schallte es während der Kulturrevolution durch ganz China, um ein Loblied auf den Großen Vorsitzenden Mao Zedong anzustimmen. Geht es nach dem Willen des chinesischen Propagandaministeriums, soll in den Redaktionsstuben und Newsrooms des Landes demnächst wieder gesungen werden.

Liu Qibao, Minister der Propagandaabteilung des Zentralkomitees der KP Chinas, beklagte vor kurzem noch einen "ideologischen Kalziummangel", unter dem die heimischen Journalisten und Blogger leiden würden. Damit ist jetzt Schluss: China hat sein gesamtes Pressecorps angewiesen, einen zumindest zweitägigen Crashkurs in Marxismus zu absolvieren. 307.000 Reporter, Produzenten und Redakteure müssen an den verpflichtenden Schulungen teilnehmen, die vom Propagandaministerium gemeinsam mit der Pressevereinigung und der Zensurabteilung ausgerichtet werden.

Besonderes Augenmerk liegt auf den neuen Medien

Durch diese Kurse soll die "ideologische Einheit" wiederhergestellt werden, die laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua vor allem durch jüngere Journalisten gefährdet sind, die politisch und weltanschaulich weniger zuverlässig seien: "Die politische Qualität dieser Journalisten schwankt beträchtlich." Ein besonderes Augenmerk soll auf die neuen Medien gelegt werden. "Das Internet ist zum wichtigsten Schlachtfeld im Kampf um die öffentliche Meinung geworden", heißt es. Abweichungen und Widerstand im Internet sind daher auch Teil einer aktuellen Kampagne gegen "Web-Gerüchte". Journalisten und Blogger werden dazu aufgerufen, sich auf "positive Berichterstattung" zu konzentrieren, selbst wenn sich schlechte Neuigkeiten besser verkaufen ließen.

Staatspräsident Xi Jinping setzt auf das Erbe Maos

Die jüngste Medienoffensive ist Teil einer demonstrativen Rückbesinnung auf maoistische Werte, die sich seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Xi Jinping im Frühjahr immer deutlicher abzeichnet.

Wie kein anderer Staatschef seit dem Tod Maos beruft er sich auf das Erbe des Republikgründers; er besuchte dessen alte Kampfplätze und schwor: "Unsere rote Nation wird nie die Farbe wechseln." Scheinbar beiläufig streut er entsprechende Slogans und Zitate in seine Reden ein, spricht von einer "Massenlinie", der die Partei zu folgen habe. Er fordert sie zu "Kritik und Selbstkritik" auf und sagt den Kadern, sie sollten ihren "Arbeitsstil verbessern" und vor allem "dem Volke dienen".

Dieses Schlagwort steht übrigens in Maos Handschrift am Eingangstor des Zhongnanhai, des Regierungssitzes in Peking. Und es bleibt nicht nur bei der Rhetorik: Die vor kurzem angelaufene "Berichtigungs-Kampagne" soll die Partei von Korruption und Extravaganz säubern und sie auf eine ideologische Reinheit einschwören.

Damit rückt der neue Parteichef deutlich von seinen Vorgängern ab, von denen etwa der letzte Ministerpräsident Wen Jiabao wiederholt vor einer neuen Kulturrevolution in China gewarnt hatte. Dabei war selbst Xi Jinpings eigener Vater Opfer einer Säuberungswelle unter Mao: 16 Jahre verbrachte der in Ungnade gefallene Revolutionär abwechselnd in Arbeitslagern oder Haft, der Sohn wurde zur Arbeit aufs Land verbannt. Und dennoch stellte Xi als Staatspräsident klar, dass Chinas Kommunisten keinesfalls vom Staatsgründer abrücken dürften, wie es Reformer in der Partei schon lange fordern: Hätte die Partei Mao nach der Kulturrevolution verurteilt wie seinerzeit die Sowjetunion Stalin, hätte dies zum Chaos in China geführt.

Und so warnt das "Dokument Nummer Neun" seit April die Kader im ganzen Land vor "feindlichen westlichen Kräften" und sieben Übeln, die in China niemals Fuß fassen dürften, darunter Ideen wie "Zivilgesellschaft", "universale Werte" wie Menschenrechte, unabhängige Medien oder "nihilistische Kritik" an der Vergangenheit der Partei.

Mao Zedong wollte mit seinen Worten stets die permanente Revolution befeuern. Paradoxerweise will Xi Jinping das genaue Gegenteil, nämlich Einheit und Stabilität in Partei und Land. Doch die wird nur mit einer weiterführenden Reformagenda zu erreichen sein, die auf dem ZK-Wirtschaftsplenum im Herbst präsentiert werden soll.

Vier neue Modernisierungen stehen auf Reformagenda

Bekannt ist, dass sie mit "vier neuen Modernisierungen" die Nachfrage des Binnenmarktes ankurbeln soll. Chinas Agrarwesen, seine Industrien und Informationstechnologien sollen erneuert und das sich auflösende Bauernland urbanisiert werden. Doch Reformen sind delikat, weil es immer Gewinner und Verlierer gibt, zumal in den einträglichen Pfründen der Staatsbetriebe.

Im Badeort Beidaihe wurde während der sommerlichen Klausur heftig um die zukünftige Ausrichtung gerungen. Es geht vor allem um die Frage, wie weit Chinas Führung den Staatsmonopolen ihre Marktprivilegien entziehen oder der privaten Wirtschaft den Marktzugang öffnen darf. Dabei mischen auch Parteigranden wie der 84-jährige, planwirtschaftlich denkende Ex-Premier Li Peng wieder mit. Nicht zuletzt deshalb dürfte Xis Hinwendung zu Mao auch ein Versuch sein, die innerparteiliche linke Opposition für sich einzunehmen. Die Antwort, in welche Richtung sich China im vierten Reform-Jahrzehnt bewegen wird, wird das Partei-Plenum im Herbst geben. Bis dahin dürften zumindest die Staatsmedien auf Vordermann gebracht worden sein.