Kaum war die Mauer gefallen und Berlin wiedervereinigt, rief der damalige Präsident des Abgeordnetenhauses, dass das Stadtparlament nun in den Preußischen Landtag umziehen werde. Doch keiner wusste, was er meinte. Denn niemand kannte einen der größten und prächtigsten Stadtpaläste mitten im Herzen Berlins.
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Dieser wuchtige und dennoch elegante Bau lag nämlich im Ostteil der Stadt, unmittelbar hinter der Mauer. So konnte man ihn vom Westen aus nicht sehen - die Mauer war dort vier Meter hoch und verdeckte die Sicht; und vom Osten aus durfte man das Areal nicht betreten, weil es zu nahe am "antifaschistischen Schutzwall" stand und weil etwaige Fluchtgedanken schon im Keim erstickt werden sollten.
Und so kam es, dass eines der wichtigsten öffentlichen Gebäude der Stadt, trotz seiner zentralen Lage wenige Meter vom Potsdamer Platz entfernt, in Ost wie West allmählich in Vergessenheit geriet.
Dabei hat dieser im Stil der italienischen Renaissance (in Anlehnung an Bürgerrepubliken wie Florenz) errichtete Bau die jüngere deutsche Geschichte voll "abbekommen". Das begann am 16. Jänner 1899, als der Tagungsort der Zweiten, der bürgerlichen Kammer des Preußischen Landtags, eingeweiht wurde. Die Erste Kammer, das Herrenhaus, in dem die preußischen Junker und der höhere Klerus tagten, durfte der Stadt sein Antlitz zeigen (heute ist da der Bundesrat untergebracht); der "proletarische" Landtag hingegen musste seine Fassade stadtabgewandt eher verbergen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Sturz der Hohenzollern stellte der Reichsrätekongress in diesem Haus die Weichen für die parlamentarische Demokratie als zukünftige Regierungsform für Deutschland. Im Festsaal des Hauses gründete die extreme Linke um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die KPD. Hier begann das Ende der demokratischen Epoche Preußens und der Weimarer Republik mit dem sogenannten Preußenschlag 1932.
Letzter Ministerpräsident Preußens war nominell Adolf Hitler, faktisch aber Hermann Göring, der aus dem nutzlos gewordenen Parlamentsgebäude das Offizierskasino für seine Luftwaffen-Flieger machte. In unmittelbarer Nähe ließ er nach Plänen des Architekten Ernst Sagebiel in nur zwei Jahren einen Neubau mit 2000 Büroräumen und 56.000 Quadratmetern Nutzfläche hochziehen - damals das größte Bürogebäude Berlins. (Bekannt wurde der heutige Sitz des Bundesfinanzministeriums als Zentrale der "Treuhand", welche die DDR-Wirtschaft in die Marktwirtschaft überführen sollte.)
Doch vorher, im Juni 1934, wird im Plenarsaal der berüchtigte Volksgerichtshof gegründet - danach tanzen Görings Flieger auf dem Vulkan. Nach Bombeneinschlag und Wiederaufbau dienten die schwergeprüften Mauern zunächst als Volkshaus und Kino in der Sowjetzone, dann als erster Sitz der neuen DDR-Regierung und schließlich, nach erneutem Umbau, zogen hier die Staatliche Plankommission und die "Ost-EG", der RGW, ein. Seit dem Mauerbau (1961) durfte nur noch das Ministerium für Staatssicherheit ("Stasi") das Haus als Abhörstandort gegen den Westteil der Stadt nutzen - Kalter Krieg eben.
1991 wieder erweckt und in Rekordzeit umgebaut, tagt hier das Berliner Stadtparlament seit 1993 in einem der schönsten Parlamentsbauten Deutschlands - direkt unter dem "Himmel von Berlin", denn der Plenarsaal erhält sein natürliches Licht durch ein blendungsfreies Glasdach.
Nach einem turbulenten Jahrhundert scheint das ehrwürdige Haus nun zur Ruhe gekommen. Doch so mancher Taxifahrer stutzt immer noch, wenn man ihn "Zum Preußischen Landtag, bitte!" dirigiert.