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Der panierte Beruf

Von Jan Michael Marchart

Politik
Dietmar Hollenstein

Hunderte Kochstellen für die Wintersaison bleiben unbesetzt. Was ist los in der Gastronomie?


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Wien. Mit einer akrobatischen Bewegung wird eine Tasse mit Reis in einen Topf geschüttet, Fleisch brutzelt, saftig und dampfend, Gewürze werden zwischen aneinanderreibenden Fingern beigefügt, Flammen erheben sich über den Gerichten, die in Pfannen geschwenkt werden. Wer kennt sie nicht, die Kochshows, die zu den besten Sendezeiten im Fernsehen laufen. Die Shows mit den teuren Zutaten und Starköchen, die Fünf-Sterne-Menüs in Edelstahl-Ateliers zaubern. In wenigen Minuten und ohne Hürden - mit fürstlichen Löhnen garniert.

Eine bessere Werbung kann sich eine Berufsgruppe kaum wünschen. Als Koch hat man heute das Zeug zum Star. Doch laufen die Bewerber den Betrieben deshalb die Tür ein? Das Gegenteil ist der Fall: Für landesweit 1300 Kochstellen finden sich laut AMS speziell in Westösterreich kaum Bewerber. Gleichzeitig waren noch nie so viele Menschen ohne Arbeit, darunter rund 3000 gelernte Köche. Auf Bezirke wie St. Johann im Pongau fokussiert, verschärft sich das Bild: 74 Stellen stehen 26 vermittelbare Köche gegenüber. Die Realität am Herd sieht eben anders aus als in der Showküche. Die Branche ist nicht familienfreundlich, Köche galoppieren von früh bis spät durch die Küche - bei verdampfenden Löhnen, heißt es.

Sepp Schellhorn hat die Debatte über die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie wieder aufgewärmt. Der Neos-Mandatar führt selbst fünf Gastronomiebetriebe und versuchte in einem Gespräch mit dem "Kurier" den negativen Ruf zu entkräften, den etwa die Gewerkschaft der Branche verpasst. Für sein Hotel in Bad Gastein sucht er in der Saison für fünf Monate einen Küchenchef. Ohne Erfolg. Für fünf Tage die Woche gibt es 4500 Euro brutto auf 40 Stunden gerechnet und mit Überstundenbezahlung. Er kenne niemanden in der Branche, der nur den Kollektivlohn erhält. Dass Schellhorn niemanden findet, liege auch daran, dass viele glauben, dass "der Nine-to-five-Job der einzige ist, den es geben darf."

"Es ist katastrophal"

Unbestreitbar ist, Hotellerie- und Gastronomie haben ein Image- und ein Nachwuchsproblem. Innerhalb von zehn Jahren brach die Zahl der Lehrlinge von fast 15.000 auf 9000 ein. "Davon tritt ein Drittel nicht bei der Abschlussprüfung an", sagt Berend Tusch von der Tourismus-Gewerkschaft vida. Und von jenen, die die Lehre abschließen, zieht es viele in andere Branchen.

Laut Tusch sind es auch die negativen Erfahrungen, die die Jungen zum Umdenken bewegen. Chefs, die ihr Personal im Hotelkeller unterbringen, 12-Stunden-Dienste, nur ein freier Tag in zwei Monaten und Personalessen, das es nur gibt, wenn die Gäste etwas übrig lassen. Erzählungen wie diese sind Extrembeispiele, die die Branche aber ins Mark treffen.

Auch die Gehaltsaussichten seien mäßig: Schellhorns Angebot ist laut Tusch eine Ausnahme. Überwiegend werde das im Kollektivvertrag festgelegte Minimum bezahlt oder "grad drüber", um Überstunden und Wochenendzeiten abzugelten. Das sieht die Wirtschaftskammer anders: In der Regel werde mehr als der Kollektivlohn bezahlt.

Vor einigen Jahren hätten die Leute über die Work-Life-Balance gesprochen, heute wird sie gelebt, sagt der Vize-Spartenobmann für Tourismus in der Wirtschaftskammer, Peter Dobcak. Wochenendarbeit, Dienst am Abend und an Feiertagen, wenn andere frei haben, das würde sich ein junger Mensch heute kaum antun wollen, sind sich Kammer und Gewerkschaft einig. "Dass man dafür Dienstag und Mittwoch frei hat, wird verschwiegen", so Spartenobmann Dobcak.

Simon S. (29) ist seit 14 Jahren Koch. Er war in einigen bekannten Hotels und Restaurants Österreichs tätig. Momentan ist der Steirer auf Saison in Salzburg und leitet die Küche eines Vier-Sterne-Hotels. "Es ist katastrophal am Arbeitsmarkt", sagt er. "Die Fachkräfte fehlen und jene, die aus dem Ausland kommen, ob Ungarn oder Slowaken, bringen neben den fehlenden Sprachkenntnissen nicht das Ausbildungsniveau mit, das du in Österreich brauchst."

Laut AMS-Daten kommen 42 Prozent der Gastgewerbe-Arbeiter aus dem Ausland. Allen voran aus Ungarn, Ostdeutschland oder Rumänien. Die Wirtschaftskammer will den Markt nun für Bosnier und Serben öffnen, um den Mangel auszugleichen. "Das ist der falsche Weg", sagt Küchenchef S. "Ich kann diese Leute mehrheitlich nicht einsetzen." Die Gewerkschaft sieht das auch kritisch. "Das löst das Problem kurzfristig, aber in der Sommersaison stehen wir vor dem gleichen Problem", sagt Tusch. Zudem drücke das die Löhne nach unten.

Der Steirer bekocht derzeit täglich mit zwei weiteren Kollegen 120 Gäste. In den nächsten vier Monaten wird er 50 bis 60 Stunden in der Woche im Betrieb sein und bekommt dafür etwa 3400 Euro brutto. Exklusive Überstunden. "Mit dem Gehalt ist man schon vorne dabei", sagt S. In seinem Team fehlen zwei Köche. Er findet niemanden, obwohl das Hotel die Verpflegung übernimmt und ein Zimmer zur Verfügung stellt. Vergünstigte Skiliftkarten gibt es obendrauf. "Früher kamen auf einen Job 20 Bewerbungen", sagt er. "Heute gibt es keine mehr." Der Beruf an sich sei schön, sagt er. "Wenn man damit leben kann." Für die vielen Stunden am Herd, auch am Wochenende, braucht es die Liebe zum Beruf. Auf manches muss man verzichten: "Wenn du eine Familie haben willst, bist du in der Gastronomie falsch."

"Ich bin der Einzige, der in der Branche geblieben ist", sagt Daniel T. (22). Er hat vor sieben Jahren mit der Lehre begonnen. Die harte Arbeit in Relation zu den niedrigen Löhnen hätte vielen nicht ins Zukunftsbild gepasst, sagt er. Der Niederösterreicher war inzwischen zwei Jahre in Norwegen, ein paar Monate in Salzburg und wird jetzt für fünf Saisonmonate in Tirol seine Zelte aufschlagen. Er verdient als Hotelkoch etwa 1700 Euro netto. "Definitiv über dem Kollektivvertrag", sagt er. "Aber ich arbeite sechs Tage die Woche, über 50 Stunden." Überstunden werden über eine Pauschale vergütet. "Das deckt viel, aber nicht alles." Das Gehalt treffe nicht das, was er leistet, aber sein Arbeitgeber könne nicht mehr zahlen. Die hohen Lohnkosten seien ein Problem. Wegen des Gehalts wird er den Job nicht hinschmeißen. "In meinem Alter sollte Geld nicht die Motivation sein", sagt er. Die Branche beschreibt T. als "hart aber fair". An eine Familie denkt er heute noch nicht.

Schwarze Seiten

Küchenchef Christopher P. (30) hat Familie. "Du musst es wollen, dann geht’s", sagt er. "Selbst wenn du sechs Tage arbeitest, hast du noch einen siebten." Man müsse die Zeit, die man hat, nur sinnvoll nutzen. Der Steirer arbeitet in einem Vier-Sterne-Hotel in der Oststeiermark. Dort schnappt ihm die Industrie die Lehrlinge weg. "Als Metaller bekommst du im dritten Lehrjahr für 40 Stunden rund 1000 Euro netto", sagt er. "Ausgelernte Köche verdienen 1200 Euro netto für 50 bis 60 Stunden Arbeit", sagt P. "Immer Überstunden machen zu müssen, kannst du heute niemandem verkaufen." Für Überstunden gibt es in P.s Küche zwar einen Zeitausgleich, aber die Intensität sei ein Unterschied. Metaller bekämen zudem Hitzezulagen, so P. "Ob es in der Küche heiß ist, interessiert niemanden." Auch bei den Aushilfen beklagt P. Hürden. Diese können ab 2017 nur noch 18 Tage im Jahr (aber lohnsteuerfrei) angemeldet werden. Bei Überschreitung der Grenze entfällt die Begünstigung. "Letztes Jahr hat jemand bei uns nebenher 700 Euro mit Aushelfen verdient, heuer durfte er mehr als 400 Euro an Steuern zahlen - wer macht das freiwillig?"

Dass in der Gastronomie nicht besser bezahlt wird, hänge auch damit zusammen, dass die Leute immer weniger Geld für die Speisen ausgeben wollen und können, und damit, dass die Betriebe die Preise über Jahre im Wettbewerb eher gedrückt als gehoben hätten. "Von welchem Geld soll der Betrieb dann Köche einstellen oder bessere Löhne bezahlen", fragt P.

Und was ist mit den Wildwest-Methoden in der Gastronomie, um sich schwarz etwas dazuzuverdienen? Es gebe Wege, aber die Finanz kontrolliert intensiv, sagen Gastronomen. "Wirst du erwischt, kannst du froh sein, wenn du morgen noch aufsperren darfst." Das Prinzip "leben und leben lassen" zwischen Finanz und Gastro für ein paar tausend Euro unter der Hand gebe es so nicht mehr.

Bundesweit wurden heuer rund 4400 Betriebe überprüft, rund 1670 Strafanträge stellte die Finanzpolizei. 580 davon in Wien. Das Finanzministerium zählte etwa 2100 illegale Personen in der Gastronomie. Mehr als drei Millionen Euro an Geldstrafen wurden von der Behörde gestellt, 1,2 Millionen betreffen Wien, weil Arbeiter nicht angemeldet waren oder keine Arbeitsbewilligung hatten.