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Der Papst bei den "Gottlosen"

Von Lisa Arnold

Politik

Im säkularen Schweden hat die Flüchtlingskrise Religion wieder zum öffentlichen Thema gemacht.


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Stockholm. Es wird eine ökumenische Sensation: 27 Jahre nach Johannes Paul II. besucht Papst Franziskus Schweden. Am montägigen Reformationstag hält das Kirchenoberhaupt im Dom zu Lund einen Gottesdienst, um gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund der Reformation zu gedenken. Anlass des Besuches ist das bevorstehende 500. Jubiläum der Reformation: 1517 hatte Martin Luther seien 95 Thesen angeschlagen.

Lediglich 150.000 der 10 Millionen Einwohner Schwedens sind Katholiken, vor allem Einwanderer und Flüchtlinge. In einem der säkularisiertesten Länder der Welt freuen sich die Bürger auf den Papstbesuch. Ob die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Katholiken und Protestanten auf Kirche und Sakramente je überwunden werden, ist kein Thema des Besuchs. "In Zeiten globaler Herausforderungen haben wir einen wichtigeren gemeinsamen Auftrag: Christlich zu leben, in Taten wie in Worten", sagt Antje Jackelén, Erzbischöfin der Schwedischen Kirche.

Der Übergang von der römisch-katholischen zur evangelisch-lutherischen Konfession wurde in Schweden 1593 besiegelt. Bis 1858 wurden Konvertiten vertrieben. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte ein Säkularisierungsprozess ein, der im Jahr 2000 nach langem Ringen in einer Neuordnung der Beziehung zwischen Kirche und Staat aufging. Das neue Kirchengesetz sollte die verschiedenen Glaubensgemeinschaften im nun multikulturellen Land auf eine gleichberechtigte Basis stellen, andererseits Kontinuität schaffen, indem die Schwedische Kirche nationale Mehrheitskirche blieb.

Zwar ist Glaube für Schweden Privatsache oder schlicht unwichtig. Und die Neuordnung der Beziehung zwischen Kirche und Staat hat christliche Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt. Dennoch werden noch immer die Hälfte aller Neugeborenen getauft, und jedes dritte Paar heiratet kirchlich. Auch der König muss Mitglied der Staatskirche sein. Mit den Flüchtlingen ist die Religion in die öffentliche Diskussion zurückgekehrt. Sie haben religiöse Traditionen mitgebracht, die man in Schweden nicht kannte. Ein Volk, das mitunter als "gottlos" oder "nachchristlich" bezeichnet wird und Kinder im Religionsunterricht mit mehreren Konfessionen vertraut macht, ist mit wachsenden Minderheiten konfrontiert, die nicht nur gläubig sind, sondern ihre Religion auch öffentlich ausleben.

Seit 2005 untersucht Medienforscher Lennart Weibull die Haltung der Schweden gegenüber den Weltreligionen und dem Atheismus. Ihm zufolge sieht die Hälfte das Christentum allgemein positiv, jeder Sechste hat eine negative Haltung. Die Einstellung gegenüber dem Islam ist genau umgekehrt, wobei der Anteil positiver Stimmen leicht angestiegen ist. "Angesichts der Konflikte in der muslimischen Welt könnte man einen stärkeren negativen Effekt erwarten", räsoniert Weibull. Gleichzeitig seien Moscheen, vor allem in den Städten, Teil des Alltags geworden.

Seit der Flüchtlingskrise kreise die Diskussion in den Medien um Einzelschicksale statt übergreifende Werte. "Wir halten das Thema Religion auf dem Niveau der Person: Wie lange muss ein syrischer Arzt warten, bis er in Schweden eine Praxis eröffnen darf? Kann man einer Profi-Sportlerin das Kopftuch verbieten? Warum trennen muslimische Schulen Jungen und Mädchen im Sportunterricht?", sagt Maria Sundén Jelmini, Chefin der Nachrichtenredaktion der Zeitung "Svenska Dagbladet". "Glaube ist ein sensibles Thema, vor allem, seit sich die politische Haltung der Schweden nach rechts verschiebt und es Gruppierungen wie die ausländer- und islamfeindlichen Schwedendemokraten gibt. Deswegen beschränken wir uns auf Sachfragen." Ob auch die Schwedische Kirche oder Katholiken in der öffentlichen Diskussion vorkommen? "Nein, sie fallen nicht auf."

Interkonfessionelles Treffen

Weibull beobachtet, dass Schweden, die sich als gläubig bezeichnen und regelmäßig beten, auch anderen Religionen, vor allem Islam und Judentum, tendenziell positiver gegenüberstehen als bekennende Atheisten. Erica Treijs, Journalistin bei "Svenska Dagbladet", ist bei einer Interview-Serie mit Flüchtlingen zu einem ähnlichen Schluss gekommen: "Junge Muslime finden leichter einen Draht zu aktiven Christen als zu Schweden, die keiner Religion angehören." Vielleicht wird der Papst-Besuch nicht nur zur Diskussion um Religion, sondern auch zum Dialog zwischen Christen und Muslimen in Schweden beitragen: Nach dem Gottesdienst lädt Franziskus Katholiken, Lutheraner und Nicht-Christen zu einer Veranstaltung ein.