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"Revolution nicht per se gewalttätig." | "Purer Kapitalismus ist ungerecht." | "Wiener Zeitung": Sie sind mit dem Österreichischen Ehrenkreuz ausgezeichnet worden. Für welche Verdienste? | Ernesto Cardenal: Keine Ahnung. Auf jeden Fall habe ich erklärt, dass ich solche Auszeichnungen nicht verdiene, sondern das Volk von Nicaragua.
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Was gefällt Ihnen derzeit in Nicaragua am wenigsten?
Die Regierung, die die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt. In Nicaragua gibt es keine Revolution mehr. Die würde ich mir zurückwünschen.
Wie steht es um die kubanische Revolution?
Ja, dort gibt es noch eine.
Und die haben Sie gut gefunden?
Die finde ich nach wie vor gut. Ebenso wie die Revolution in Nicaragua, wie sie früher stattgefunden hat.
Aber Revolutionen sind ja für gewöhnlich gewalttätig. Steht das nicht im Gegensatz zum christlichen Glauben?
Wieso sagen Sie, dass eine Revolution gewalttätig ist? Es gibt viele Revolutionen, die nicht gewalttätig waren.
Aber auf Kuba war sie das doch?
Die Gewalt ist von den Unterdrückern und Diktatoren ausgegangen, nicht von ihren Gegnern. Ein paar Guerilleros haben ein ganzes System geändert. Die haben eine Diktatur überwunden, die viele, viele Jahre gedauert hat.
Die katholische Kirche steckt wegen Pädophilie-Skandalen in der Krise. Dass es solche Fälle gibt, war ja schon früher bekannt. Was hat sie mehr überrascht, die Dimension der Vorfälle oder, dass sie überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt sind?
Mich hat überrascht, dass es überhaupt so etwas gibt. Das war doch nicht bekannt. Wann soll man das denn gewusst haben?
Es hat doch schon früher entsprechende Meldungen aus Irland und den USA gegeben.
Früher hat es das nicht gegeben. Kein Heiliger hat jemals eine Klage vorgebracht, auch kein Kirchenreformator. Die Inquisition hat auch nie Fälle von Pädophilie untersucht. Warum es das heute gibt, weiß ich nicht.
Der Papst ist wegen der Angelegenheit gehörig unter Druck geraten. Manch einer fordert seinen Rücktritt. Jetzt einmal abgesehen davon, dass das technisch nicht möglich ist: Was halten Sie von der Idee?
Das wäre eine gute Idee.
Warum?
Weil die Wahl des Pontifex das undemokratischste System der Welt ist. Der Papst sucht da die Leute aus, die den Papst wählen. Der neue Papst geht somit auf Rechnung des alten Papstes. Das ist immer schon so gewesen. Ich finde, der Papst sollte in Zukunft etwas anderes sein. Er sollte demokratisch vom christlichen Volk gewählt werden. Die, die ihn gewählt haben sollten ihn auch absetzen können. Es sollte auch eine Frau sein können.
Haben Sie Papst Johannes Paul II. verziehen, dass er Sie mit der "suspensio a divinis" belegt hat, Ihnen also verboten hat, jegliche Weihehandlung vorzunehmen?
Nein, weil ich mich von ihm nie beleidigt gefühlt habe. Es hat mich nicht betroffen, weil ich nicht Priester geworden bin, um Sakramente zu spenden, sondern um ein denkender und Gott verehrender Priester zu sein und der bin ich nach wie vor.
Sie sind ein deklarierter Gegner des sogenannten Neoliberalismus. Warum?
Der bedingungslose Kapitalismus ist ungerecht. Es gibt nur zwei mögliche ökonomische Systeme: Den Sozialismus und den Kapitalismus. Ich finde der Sozialismus ist das bessere System, ein demokratischer Sozialismus.
"Ich finde, der Sozialismus ist das bessere System. Ein demokratischer Sozialismus."
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Zur PersonErnesto Cardenal Martinez wurde am 20. Jänner 1925 in Granada, Nicaragua geboren. Er ist suspendierter katholischer Priester, sozialistischer Politiker und Poet und einer der bekanntesten Vertreter der Befreiungstheologie. Cardenal stammt aus einer Patrizierfamilie und besuchte zunächst Jesuitenschulen in Nicaragua und Mexiko. 1950 kehrte er nach Nicaragua zurück. 1954 beteiligte er sich aktiv an der April-Revolution gegen den Diktator Anastasio Somoza García, die vorzeitig verraten wurde und mit dem Tod vieler seiner Freunde endete. 1965 wurde er in Managua zum Priester geweiht, 1985 von Papst Johannes Paul II. wegen seiner politischen Tätigkeit bei den Sandinisten von seinem Amt als katholischer Priester suspendiert. Cardenals bekanntester Ausspruch: "Ich bin durch das Neue Testament zum Marxisten geworden."