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Kolumbiens Präsident im Interview über seine historischen aber zähen Verhandlungen mit der Guerilla-Truppe Farc.
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Bogota. Vergangenen Sommer wurde Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos wiedergewählt. Ausschlaggebend für seinen Erfolg war sein historisches Friedensversprechen, den mehr als 50 Jahre andauernden Konflikt mit der linken Guerilla-Truppe Farc zu beenden - Santos’ Herausforderer hatte sich hingegen dafür ausgesprochen, mit den Rebellen nicht zu verhandeln.
Mit Santos’ Wiederwahl laufen die Friedensgespräche im kubanischen Havann weiter. Bisher einigten sich die Verhandlungsparteien auf drei der sechs Kapitel. Schlüsselfragen wie die Entwaffnung der Rebellenmiliz sowie die Ratifizierung des künftigen Abkommens blieben jedoch offen. Im Dezember rief die Farc eine einseitige Waffenruhe aus.
Santos denkt auch über neue Ansätze in der Drogenpolitik nach. Mit der "Wiener Zeitung" sprach Santos in Kolumbiens Hauptstadt Bogota über seine ambitionierten Pläne.
"Wiener Zeitung":Herr Präsident, Linkspolitiker in Europa werfen Ihnen vor, Sie seien ein neoliberaler Oligarch. Ihr rechtskonservativer Vorgänger Alvaro Uribe sagt, Sie würden der Einführung eines linken "Castro-Chavismus", also ein Regime nach Vorbild Kubas und Venezuelas, nun in Kolumbien den Boden bereiten. Wo sehen Sie sich denn selbst in dieser Bandbreite des politischen Spektrums?Juan Manuel Santos: Das, was Sie mir sagen, ehrt mich, weil das ausdrückt, dass wir die Dinge gut machen. Sonst würden mich die beiden Extreme nicht angreifen. Ich war immer ein Anhänger eines dritten Weges, einer extremen Mitte. Das ist eine Position der praktischen Ideologie: Markt - soweit möglich. Staat - soweit notwendig. Ich glaube mit diesen Grundsätzen und einigen demokratischen Prinzipien basierend auf einem Freiheitsgedanken haben wir das beste System, das wir erreichen können.
Seit mehr zwei Jahren verhandelt Ihre Regierung mit der linksgerichteten Guerilla-Organisation Farc über ein Ende des bewaffneten Konfliktes. Wie ist der Stand der Dinge und haben Sie nach zwei Jahren der Verhandlungen Verständnis für die Ziele der Farc?
Die Farc ist heute zum ersten Mal wirklich bereit, die Waffen niederzulegen und den Kampf für ihre politische Ideologie auf legalem Wege und innerhalb der Demokratie fortzusetzen. Das ist, was wir innerhalb des Friedensprozesses zu erreichen versuchen. Dass sich die Demokratie konsolidiert und dass die Farc ihre Ideale ohne Gewalt und ohne Waffen verteidigen kann.
Trotzdem gibt es viele Kolumbianer, die der Farc nicht vertrauen und die den Friedensprozess kritisieren...
Die Farc war in den vergangenen 50 Jahren eine Quelle der Gewalt. Die Kolumbianer assoziieren die Farc damit, dass sie in der Vergangenheit hereingelegt worden sind und deshalb hat sie so viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Mein Teil der Verantwortung ist es, einen Prozess voranzubringen. Innerhalb dieses Prozesses muss ich das kolumbianische Volk überzeugen, dass es dieses Mal seriös ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die notwendigen Garantien einzufordern, damit die getroffenen Vereinbarungen auch erfüllt werden.
Was haben Sie während dieses Friedensprozesses als Mensch gelernt?
Ich habe gelernt, geduldig unter Ungeduldigen zu sein. Ich habe gelernt, dass man auf schwierige Situationen mit Demut reagieren muss. Ich habe gelernt, dass wenn man seinen Zielhafen ansteuern will, seinen Weg fortsetzen muss, egal wie stark die Stürme auf dem Weg dahin sind.
Angenommen, Ihre Regierung und die Farc einigen sich. Was würde das für die Zukunft dieses Landes bedeuten? Wie stellen Sie sich ein Kolumbien ohne Krieg vor?
Kolumbien ist in der Fifa-Weltrangliste nicht nur die drittbeste Fußball-Nationalmannschaft der Welt hinter Deutschland und Argentinien. Kolumbien war im vergangenen Jahr innerhalb Lateinamerikas das Land mit dem größten Wachstum, das Land, das die extreme Armut am stärksten reduzieren konnte und die niedrigste Inflationsrate aufwies. Wir sind in der Welt ein Stück vorangekommen und das alles inmitten eines bewaffneten Konfliktes, inmitten eines Krieges, der immer eine Bremse für unsere Entwicklung war. Ein Krieg, der unser soziales und moralisches Gefüge geschädigt, geschwächt und zerstört hat. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, was das für unser Land bedeuten würde, wenn es diese Bremse nicht mehr gebe. Kolumbien könnte endlich sein ganzes enormes Potenzial nutzen, um seinen Bürgern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Es heißt, dass Papst Franziskus, das erste lateinamerikanische Kirchenoberhaupt, diesen Friedensprozess auf seinem Heimatkontinent intensiv verfolgt. Welchen Ratschlag hat Ihnen der Papst mit auf den Weg gegeben?
Er gibt mir immer den gleichen Rat: Nicht aufgeben - nicht aufgeben - nicht aufgeben.
Ein heißes Eisen in den Verhandlungen ist die strafrechtliche Verfolgung der im bewaffneten Konflikt begangenen Verbrechen.. .
Wir werden schwierige und kontroverse Entscheidungen treffen müssen, die einerseits uns ein Maximum an Gerechtigkeit erlauben, aber andererseits auch ermöglichen, einen Frieden zu erreichen. Deswegen werden wir große politische Unterstützung und viel Verständnis brauchen, denn es gilt, neben einem Friedensschluss gleichzeitig auch die Rechte der Opfer zu respektieren.
Ist die politische Krise in Ihrem Nachbarland Venezuela ein Problem für den Friedensprozess?
Die Krise in Venezuela berührt uns in allen Schattierungen, denn es gibt vier Millionen Kolumbianer, die in Venezuela leben. Venezuela hat uns im Friedensprozess unterstützt. Das erkenne ich an und dafür bin ich dankbar. Was wir wollen, ist, dass es in Venezuela zwischen der Opposition und der Regierung einen Dialog in einer zivilisierten und demokratischen Form gibt, um die aktuelle Krise, die Venezuela gerade erlebt, zu lösen.
Sie haben in dieser Woche einen "ökologischen Korridor" zwischen Brasilien, Kolumbien und Venezuela vorgeschlagen. Das wäre dann der größte Naturschutzpark der Welt. Wie realistisch ist denn dieser Vorschlag?
Ich muss dies unter dem Vorbehalt sagen, dass ich für diesen Vorschlag noch um die Unterstützung in Venezuela und Brasilien werben muss. Diese Initiative haben wir mit Blick auf den Klimagipfel 2015 in Paris gestartet. Was wir wollen, ist einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und das wäre die Schaffung des größten ökologischen Korridors der Welt. Insgesamt 130 Millionen Hektar tropischer Wald und tropische Wildnis, tropische Biodiversität. Ein Öko-Korridor, der von den Anden über den Amazonas bis zum Atlantik reicht. Das wäre ein enormer Beitrag der beteiligten Länder im Kampf gegen den Klimawandel. Kolumbien und Brasilien sind Länder mit sehr reicher Artenvielfalt. Der Klimawandel zerstört diese Biodiversität.
Ein globales Problem ist auch der Kampf gegen die Drogen. Wäre die Entkriminalisierung der Drogen eine Option, wie sie in Lateinamerika diskutiert wird?
Kolumbien ist das Land, das in diesem Krieg gegen die Drogen den höchsten Blutzoll leisten musste, seit der "Krieg gegen Drogen" vor 40 Jahren von den Vereinten Nationen dekretiert worden ist. Aber es ist ein Krieg, den wir nicht gewonnen haben. Ich behaupte, dass wir Kolumbianer relativ erfolgreich waren, weil es uns gelungen ist, die Koka-Plantagen zu reduzieren, die großen Köpfe und großen Mafiabanden aus dem Verkehr zu ziehen. Trotzdem existiert das Problem weiter. Wir sind immer noch das größte Kokain-Exportland der Welt und daher rege ich an, das Problem mit anderen Augen zu sehen.
Einer der Punkte ist, das Problem als eines der öffentlichen Gesundheit zu betrachten. Die Entkriminalisierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Den sie entreißt den großen Mafiabanden, die so viel Gewalt produzieren, diesen saftigen Batzen des Geschäftes und er schafft Raum andere Schwerpunkte zu setzen, die effektiver sind als die, welche wir in den letzten 40 Jahren angewandt haben. Denn die Mittel, die wir bisher angewandt haben, haben nicht funktioniert.
Im Dezember haben Kuba und die USA angekündigt, dass sie Gespräche aufnehmen wollen um die Eiszeit der letzten fünf Jahrzehnte zu beenden. Wie wichtig ist eine Annäherung Kubas und der USA für ganz Lateinamerika?
Das war meiner Ansicht nach schon fast ein verwegener, ein mutiger Schritt von Präsident Obama, dem ich wie ganz Lateinamerika Beifall spende, weil er ein Hindernis aus dem Weg räumt. Kuba war ein permanentes Problem zwischen Lateinamerika und den USA und mit der Verbesserung der Beziehungen dieser beiden Länder wird dieses Problem nun angepackt.