Wird Benedikt XVI. HIV-Infizierten Präservative erlauben? | Genereller Kurswechsel beim Thema Verhütung fraglich. | "Papst will Aids-Kranken Kondome erlauben" - so oder so ähnlich titeln weltweit die Zeitungen. Viele von ihnen geraten ob dieser sensationellen Neuigkeit aus dem Häuschen. Der vorherrschende Tenor: Nun kommen "die alten Männer" im Vatikan also doch noch zur Vernunft.
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Im Kirchenstaat werde an einem Dokument gebastelt, das HIV-Infizierten demnächst den Gebrauch von Präservativen gestatten soll. Das verkündete der vatikanische "Gesundheitsminister", der mexikanische Kurienkardinal, Javier Lozano Barragán, jüngst in einem Interview mit der linksliberalen römischen Zeitung "La Repubblica". Das Blatt jubelte: "eine Kurskorrektur". Und stillschweigend wird daraus der Schluss gezogen, dass Rom bald der Verwendung von Verhütungsmitteln ein generelles "Nihil obstat" erteilen werde.
Wer allerdings ohne Effekthascherei die Aussagen von Kardinal Barragán zu Ende liest, der wird wenig Sensationelles entdecken. O-Ton der Eminenz zur Causa "Kondome & Aids": "Es handelt sich um ein sehr schwieriges und delikates Thema." Solche gewundenen Formulierungen hat man irgendwie schon gehört . . .
Ebenso wenig sensationell ist, was der einflussreiche frühere Mailänder Erzbischof, Kardinal Carlo Maria Martini, kürzlich über die italienischen Wochenzeitung "L'Espresso" ausrichten lies: "In gewissen Situationen stellt der Gebrauch eines Präservativs das geringere Übel dar." Wohlgemerkt: Martini nennt das Kondom weiterhin "ein Übel".
Angesichts dieser Fakten anzunehmen, dass Benedikt XVI. der künstlichen Empfängnisverhütung generell seinen Segen erteilen wird, ist mehr als kühn. Die viel gescholtene Pillen-Enzyklika von Paul VI., "Humanae vitae", wird wohl noch einige Zeit gelten. Ebenso der "Katechismus der katholischen Kirche", der unmissverständlich festhält: "Die Empfängnisregelung stellt einen der Aspekte verantwortlicher Elternschaft dar. Auch wenn die Absicht der beiden Gatten gut ist, sind sie doch nicht berechtigt, sich sittlich unzulässiger Mittel zu bedienen (z. B. Sterilisation oder Verhütungsmittel)." Basta.
Die Kirche kennt freilich die menschlichen Schwächen. Deshalb wird im Vatikan auch über den erlaubten Gebrauch von Kondomen durch HIV-Infizierte nachgedacht. Der Papst würde vermutlich einem Autofahrer, der mit 120 Sachen durch Rom donnert, auch raten, sich anzuschnallen, ohne deshalb die Raserei gutzuheißen.