Vatikan-Kenner Marco Politi über den Kurswechsel der Kirche unter Franziskus.
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"Wiener Zeitung": Was für eine Persönlichkeit ist Papst Franziskus?Marco Politi: Viele sehen in ihm nur den großen Kommunikator. Aber er ist ein sehr geistiger Mensch. Das habe ich bei der Messe in Santa Marta bemerkt. Seine Einfachheit ist nicht gespielt.
Was beeindruckt Sie am Papst?
Er spricht nicht zu den Katholiken als Gruppe, sondern wendet sich direkt an die Männer und Frauen unserer Zeit. Und das nicht als Würdenträger, sondern wie ein Jünger Jesu.
Das Urteil über Franziskus ist geteilt. Einige erkennen eine Revolution, andere nur eine Reform, Dritte meinen, es handle sich nur um heiße Luft. Wie sehen Sie das bisherige Pontifikat?
Für mich ist das eine Revolution. Der Papst schlägt ein völlig anderes Modell des Papsttums vor. Er versteht sich nicht wie seine Vorgänger als kaiserlicher Halbgott, sondern als Bischof von Rom.
Und inhaltlich?
Er hat einen völlig neuen Blick auf die Beziehungsethik. Bei den Fragen Ehe und Sexualität stellt der Papst die Kirche nicht mehr als Grenzwächterin dar, sondern als Institution, die die Menschen in Krisen begleitet. Er hat nicht mehr die Obsession der "nicht verhandelbaren Werte". Sein Blick ist anders.
Inwiefern ist er anders?
Das zeigte sich zum Beispiel, als Franziskus auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio sagte: "Wer bin ich, über einen Homosexuellen zu urteilen, der Gott sucht?" Er haftet keine Etikette an, sondern betont, dass das Wichtige die Suche nach Gott ist.
Was wird sich noch ändern?
Ich rechne damit, dass er Frauen in leitende Positionen im Vatikan beruft. Er hat das in einem Interview so gesagt, dass Frauen im Vatikan in Positionen kommen müssen, wo Entscheidungen gefällt werden und Autorität herrscht. Denkbar ist das etwa bei der Leitung päpstlicher Räte. Das bedeutet nicht, dass Frauen zu Priestern geweiht werden. Aber sie werden mehr Einfluss bekommen.
Wie sieht es mit der Reform der Kurie aus? Sie war vor dem Konklave im März 2013 ein großes Anliegen der Kardinäle.
An der Reform der Kurie wird noch gearbeitet. Aber er hat von seinen Wählern ein klares Mandat diesbezüglich bekommen und wird das auch durchsetzen. Am weitesten sind die Aufräumarbeiten im wirtschaftlichen Bereich. Ein neues Wirtschaftssekretariat wurde geschaffen. Mehr als die Hälfte aller Konten der Vatikanbank IOR sind kontrolliert, etwa 1000 Konten wurden geschlossen.
Auffällig ist auch eine neue Art der Konsultation mit verschiedenen Beratungsgremien.
Franziskus will die Beziehung zwischen Kurie und Ortskirchen stärken. Und er fördert die Kollegialität. Er bezieht die Bischöfe in den Entscheidungsprozess ein. Das zeigt etwa die Vorbereitung der Herbst-Synode zur Familienpastoral. Er lässt im Vorhinein frei zum Thema Ehe diskutieren.
Wie stark schätzen Sie den Widerstand innerhalb der Kurie gegen den Papst ein?
Der Widerstand zeigt sich in verschiedenen Formen, ganz aggressiv im Internet. Dort heißt es, Franziskus zerstöre die Kirche und das traditionelle Papsttum. Einige behaupten auch, er habe im Wesentlichen noch nichts geändert. Aber das sind Versuche, die Kraft dieses Mannes unter dem Teppich zu halten. Da gibt es kein Schwarz-Weiß-Schema. Je nach Problemfeld gibt es Kardinäle und Bischöfe, die seine Positionen teilen oder kritisieren.
Wie lautet Ihre Prognose? Was wird am Ende des Pontifikats bleiben?
Die Frage ist, ob Franziskus wirklich einen New Deal oder nur eine Art Perestroika hinterlässt. Letztere bedeutete zwar einen demokratischen Wandel in der ehemaligen Sowjetunion, aber dessen Schwierigkeiten zeigen sich auch jetzt in der Ukraine-Krise wieder. Nur Roosevelts New Deal in den USA hatte eine echte Neuorganisation zur Folge. Das ist die Frage, die am Ende stehen wird. Es kommt auch darauf an, wie stark der innerkirchliche Widerstand gegen Franziskus sein wird.
Zur Person
Marco Politi
Der Journalist wurde 1947 in Rom geboren. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit dem Vatikan. 20 Jahre war er Korrespondent für die linksorientierte Tageszeitung "La Repubblica", jetzt arbeitet er für "Il Fatto Quotidiano". Politi bezeichnet sich selbst als katholisch sozialisiert, aber inzwischen "laizistisch".