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Europäische Konservative und Christdemokraten wählen ihren Kandidaten für den Kommissionspräsidenten.
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Brüssel/Dublin/Wien. Ein futuristischer Palast aus Glas, Stahl und Sichtbeton ist das Convention Centre Dublin. Die Leuchtdioden funkeln am Abend blau, der Hauptfarbe der EU-Flagge - eine ideale Kulisse, um Entscheidungen von europäischer Tragweite zu inszenieren. Ab Donnerstag treffen sich die Delegierten zum Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP). Sie wählen am Freitag ihren Kandidaten für das Amt des nächsten Kommissionspräsidenten, den Top-Job in Brüssel.
Als Favorit gilt Luxemburgs früherer Premier Jean-Claude Juncker. Der 59-Jährige kennt die europäischen Institutionen und Abläufe wie seine sprichwörtliche Westentasche; schließlich amtierte er 18 Jahre als Ministerpräsident seines Heimatlandes und war von 2005 bis 2013 auch Vorsitzender der Euro-Gruppe. Zudem genießt Juncker das Vertrauen von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Auch die ÖVP schlug sich nun auf seine Seite. "Juncker ist in der Volkspartei beliebt, hatte beispielsweise zu Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel einen sehr guten Draht", erklärt ein anonym bleiben wollender Insider der "Wiener Zeitung". Nicht nur atmosphärisch, auch inhaltlich stimmt die Chemie zwischen Juncker und der ÖVP.
Juncker und ÖVP geeint für Bankgeheimnis
Schließlich kämpften beide Seite an Seite für die Beibehaltung des Bankgeheimnisses in ihren Ländern. Die 17 Delegiertenstimmen der ÖVP kann Juncker somit fix verbuchen, viel wichtiger sind jedoch die 101 Stimmen von CDU/CSU, die knapp ein Achtel des 828 Delegierte umfassenden Quorums ausmachen. Neben seinen Luxemburgern dürfte Jucker auch die Niederländer, Flamen und Iren fix auf seiner Seite haben. "Für Juncker spricht auch, dass er in der heterogenen EVP, deren Spektrum von skandinavischen Sozialliberalen bis zur streng katholischen slowakischen KDH reicht, in der Mitte steht", sagt der Insider.
Zwar galt Jucker von Anfang an als Favorit, im Gegensatz zur sozialdemokratischen Kandidatensuche - der derzeitige Parlamentspräsident Martin Schulz steht seit Langem fest - hat er aber einen ernsthaften Gegner: Der französische Binnenmarktkommissar Michel Barnier stellt sich in der irischen Hauptstadt ebenfalls den Delegierten. Barniers UMP stellt die zweitgrößte Fraktion innerhalb der konservativen Parteienfamilie. Ob es der 63-Jährige schafft, eine Allianz der romanischen Länder zu schmieden, ist offen.
Zwar rechnet niemand ernsthaft damit, dass Juncker den Wahlsieg verfehlen könnte, sein Sieg könnte aber knapper als erwartet ausfallen. Barnier ist zwar lange in Brüssel verankert, gegen ihn wirkt Juncker aber wie ein Polit-Fossil, der kein Signal für einen Neuaufbruch der Union ist. Andererseits unken manche Beobachter der Szene, der Luxemburger hätte niemals seine Kandidatur verkündetet, wenn er nicht bereits vorab die notwendige Mehrheit gehabt hätte.
Michel Barnier hat sich bei der Konstruktion der Bankenunion seine Meriten verdient, ist gegenüber Juncker aber mehrfach im Nachteil: Der Franzose war zwar zuvor Außen- und Landwirtschaftsminister, ist aber nie vom Volk in ein hohes Amt gewählt worden. Während Juncker fließend Englisch, Französisch und Deutsch spricht, müht sich - der einer breiten Öffentlichkeit unbekannte - Barnier sichtlich und hörbar, wenn er nicht in seiner Muttersprache redet. Noch gewichtiger: In einer EU, in der die Deutschen derzeit tonangebend sind, bildet ein Kandidat als einem kleinen Mitgliedsland ein Gegengewicht. Der Franzose Barnier würde Befürchtungen nach einer deutsch-französischen Dominanz neue Nahrung geben.
Worst-Case-Szenario einiger ist ein deutscher EU-Kommissionschef. Dies könnte eintreten, wenn die Sozialdemokraten die EU-Wahl im Mai für sich entscheiden und Schulz das Amt erringen würde. Nicht zufällig sagt EU-Regionalkommissar Johannes Hahn nun, Deutschland sei ihm in der vergangenen Legislaturperiode nicht nur wegen seiner Größe zu dominant gewesen, sondern auch wegen Schulz. Dass Juncker von Deutschland protegiert wird und mit Kanzlerin Merkel bei der Austeritätspolitik auf einer Wellenlänge liegt, spiele dem Experten zufolge aber keine negative Rolle. Denn die Wahlkämpfe in den 28 Ländern drehen sich zu zwei Drittel um nationale Themen.
Keine Chance auf einen Sieg in Dublin hat der frühere lettische Premier Valdis Dombrovskis. Er führte das Land in die Eurozone. Seine Partei ist aber vor allem mit den skandinavischen Schwesterparteien gut vernetzt, deren Stimmen längst nicht reichen.
Konservative und Sozialdemokraten matchen sich laut Umfragen in der Wählergunst der EU-Bürger. "Wir werden am Ende die Nase vorne haben und Nummer eins bleiben", sagt der ÖVP-Abgeordnete Paul Rübig. Während der SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried auf fünf Mandate für seine Partei im kommenden Parlament hofft, hält die Grüne Ulrike Lunacek den Gewinn eines weiteren, dritten Mandats für möglich. Das Parlament spielt bei der Wahl des Kommissionspräsidenten eine Schlüsselrolle: Es muss den vom Rat vorgeschlagenen Kandidaten bestätigen.
Hahn im Gespräch als Wettbewerbs-Kommissar
Und neben dem Postenkarussell um den Kommissionspräsidenten dreht sich bereits jenes um die Kommissare: So könnte Johannes Hahn das einflussreiche Wettbewerbs- und Beihilfen-Dossier erhalten. Dem deutschen Energiekommissar Günther Oettinger soll die Industrie-Agenden übernehmen, falls die Konservativen nach der Wahl größte Fraktion im europäischen Parlament bleiben.