In den Jahren 1768 und 1769 unternahm der österreichische Jesuit und Astronom Maximilian Hell eine Expedition nach Norwegen, um den Venusdurchgang des 3. Juni 1769 zu beobachten.
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Am 15. Mai 1720 wird Maximilian Hell in der damals zu Ungarn gehörenden Bergbaustadt Schemnitz geboren, als Sohn eines erfindungsreichen Obermaschinenmeisters. Er tritt in den Jesuitenorden ein, studiert in Wien Philosophie und Theologie und wird zum Priester geweiht. Schließlich ist er Gründungsdirektor der neuen Sternwarte am Dach der Universität: Rasch gibt er die Wiener "Ephemeriden" heraus, ein viel gerühmtes astronomisches Jahrbuch. Es macht den Namen "Hell" in ganz Europa bekannt. Die Einladung aus Dänemark kommt für den Gelehrten dennoch überraschend.
Schweden hat sich 1523 von der Kalmarer Union losgesagt und macht den Dänen nun Konkurrenz im skandinavischen Raum. Auch in der Wissenschaft: So hat die Schwedische Akademie angekündigt, den nächsten Durchgang der Venus vor der Sonne im Juni 1769 intensiv beobachten zu lassen. Die russische Akademie will noch mehr Forscher entsenden. Die Astronomen fiebern dem höchst seltenen Ereignis geradezu entgegen: Denn dabei lässt sich das Sonnensystem gleichsam "mit der Pendeluhr" ausmessen.
Im Auftrag der Dänen
Dänemark kann bei diesem Wettlauf nicht mithalten, dem Land fehlen geeignete Wissenschafter. Also wendet sich der protestantische Dänenkönig Christian VII. ausgerechnet an den renommierten Pater Maximilian Hell. Er will den Wiener an die nordöstlichste Spitze seines Reichs entsenden. Dass die Jesuiten, einst so eng mit der Gegenreformation verwoben, dort alles andere denn beliebt sind, kümmert den jungen König nicht.
In Europa herrscht während des Venusdurchgangs Nacht. Nur nördlich des Polarkreises schaut sie als "Mitternachtssonne" über den Horizont. Der knapp 48-jährige Hell packt die Gelegenheit beim Schopf und reist am 28. April 1768 nach Norden ab. Sein ehemaliger Mitarbeiter Pater Johann Sajnovics führt ein Reisetagebuch: Wie diesem zu entnehmen ist, sind schon in Prag Barometer und Thermometer zerbrochen, das Quecksilber irrt "zwischen Kleidung und Wäsche" umher. In der Lüneburger Heide ernten die beiden Männer "Abscheu und Ekel", als sie die mitgebrachte Schokolade trinken. Nahe Lübeck stehen sie dann zum ersten Mal vor dem 19-jährigen König, der die Kosten ihrer Expedition trägt.
Norwegen ist damals kaum mehr als eine dänische Provinz. In Christiania, später "Oslo" genannt, läuft die "halbe Bevölkerung" hinter den Astronomen her. Die Kutscher feilschen um ihren Lohn, führen die Passagiere über einen "heillosen Weg voller Löcher" oder gar "nach Belieben rechts und links über Wiesen und Felder". Mehrmals brechen Achsen oder Räder der Wägen. Da Gasthäuser fehlen, nächtigt man bei Predigern. Dort betten sich die Männer auf Hirschhäute und decken sich mit ihren Mänteln zu.
In Trondheim sehen sie die ersten Rentiere, die "Kamele dieser nördlichen Gegenden". Beim Etatsrat wird der Reihe nach auf jeden Gast angestoßen: "Dass dabei nicht leicht einer nüchtern aufsteht, lässt sich erraten", erzählt Sajnovics. Auf königlichen Befehl gibt ihnen der Trondheimer Bischof noch den norwegischen Botaniker Jens Borgrewing mit. Man mietet ein Boot und segelt dann mit Vorräten für ein ganzes Jahr die 1500 Kilometer lange norwegische Küste hinauf. Immer wieder droht das raue Meer den Einmaster an den Felsen zu zerschmettern. Die Nacht verbringen die Männer daher in sicheren Häfen, selbst wenn am Ufer bloß "eine elende Hütte mit sieben Einwohnern" steht.
Das Nordkap hinter sich lassend, erreichen die Reisenden am 11. Oktober endlich die Insel Vardø an der Barentssee. Dort, auf über 70 Grad nördlicher Breite, hat man eine Festung als Bollwerk gegen Russland errichtet. Ihr Grundriss gleicht einem achteckigen Stern. Die Neuankömmlinge erhalten Besuch vom Kommandanten, dem Leutnant und dem "Chirurgus des Ortes, der aber nicht einmal Barbieren" kann. Jeden Morgen lesen die Pater die heilige Messe und schicken dann Arbeiter aus, um Holz, Steine und Moos für den Bau ihrer Sternwarte zu sammeln. Eingeschleppte Mäuse rauben ihnen nachts mitunter den Schlaf. Tagsüber geht man auf Jagd oder braust mit dem Rentierschlitten durch den Schnee. "Wir wurden mehrere Male herausgeschleudert", merkt Sajnovics an.
Am 14. Dezember ist das kleine Observatorium fertig. Es wurde teils im Schein der Fackeln hochgezogen, denn längst ist die Polarnacht angebrochen. Sogleich stellen die Astronomen die beiden mitgebrachten Pendeluhren aus Wien und Kopenhagen auf. Sie visieren die Sterne an, bestaunen den Tanz des Nordlichts, machen meteorologische Untersuchungen, sammeln Pflanzen oder Algen und studieren die Gezeiten. Im Frühling vermessen sie die Insel und die Mittagshöhen der zurückgekehrten Sonne. Am Jahrestag der Abreise verfehlt ein Schuss aus der Schrotflinte eines Kaufmanns den Pater Hell nur um Haaresbreite.
Ab Mitte Mai bleibt die Sonne beständig über dem Horizont. Am 3. Juni 1769 richten Borgrewing, Sajnovics und Hell entsprechend blendgeschützte Teleskope von zweieinhalb bis drei Metern Länge zum Himmel. Ein Gehilfe behält die Pendeluhren im Auge. Gerade rechtzeitig blickt die Sonne durch Wolkenlücken, keine Faust hoch über dem Meer. Eine halbe Stunde nach neun Uhr abends bemerkt man eine winzige Delle am oberen linken Sonnenrand: Die Venus "knabbert" das Tagesgestirn nun immer mehr an. 18 Minuten später zeigt sich der Planet als kompletter, schwarzer und kreisrunder Fleck vor der 33 Mal größeren Sonnenscheibe. Neuerlich wird die Uhrzeit notiert. Dann schließt sich die Wolkendecke. Zum Glück klart es kurz vor halb vier Uhr morgens nochmals auf: Jetzt hält man den Austritt der Venus am rechten Sonnenrand fest.
Der ganze Venusdurchgang hat auf Vardø genau sechseinhalb Stunden gedauert. Für Kapitän James Cook auf Tahiti verging er um 23 Minuten rascher. Von dessen südlich gelegenem Standort aus erschien die Venus nämlich eine kleine Spur näher am oberen, nördlichen Sonnenrand: Ihr Weg über die Sonnenscheibe war entsprechend kürzer. Aus dem Zeitunterschied lässt sich die perspektivische Verschiebung der Venus sehr exakt ermitteln. Diese wiederum verrät ihren Erdabstand. Über das dritte keplersche Gesetz erhält man daraus die Bahnradien aller Planeten, Erde inklusive. Und genau darum geht es den Astronomen!
Nun treten die Männer die Rückreise an. Nach ihrer abenteuerlichen Seefahrt über Hammerfest, Alta und Tromsø landen die Wiener Gelehrten in Trondheim. Von da an mühen sie sich mit Karren südwärts. Am 29. November berichtet Maximilian Hell dem König persönlich vom Erfolg der Unternehmung.
In Kopenhagen gibt er auch sein Werk über die Beobachtung des Venusdurchgangs in Druck. Der Name Christians VII. prangt in ganz großen Lettern am Titelblatt. Der Gönner nimmt das Buch am 8. Februar 1770 "sehr gnädig" entgegen. Während der Pariser Astronom Joseph Jérôme Lalande die auf Vardø gestoppten Uhrzeiten nachdrücklich einfordert, spricht Hell vor der königlichen Akademie Dänemarks über seine Nordlichtbeobachtungen. Er bricht erst im Mai, nach seiner dritten Audienz beim Monarchen, auf nach Wien. Die Donaumetropole sieht ihn am 12. August 1770 wieder - zwei Jahre und drei Monate nach der Abreise!
Zweifel an Hells Daten
In Paris analysiert Lalande längst diverse Beobachtungsberichte aus aller Herren Länder. Er weiß nicht, welche am verlässlichsten sind. So streuen die ermittelten Erdbahnradien zwischen 148 und 155 Millionen Kilometern. Mit den Zeiten Hells und Cooks erhielte Lalande 150,9 Millionen. Das käme dem wirklichen Wert von 149,6 Millionen Kilometern recht nahe, wie sich später herausstellen wird. Da Hell aber so lange mit der Bekanntmachung zögerte und andere Forscher im hohen Norden Wetterpech meldeten, misstraut man seinen Angaben: Hell soll sie nachträglich angepasst oder sogar "erdichtet" haben.
1835 meint Karl Ludwig Littrow, ein späterer Nachfolger Hells, in den handschriftlichen Aufzeichnungen tatsächlich Hinweise auf Manipulationen zu finden. Simon Newcomb wird den Pater erst 1883 außer Verdacht stellen: Er entlarvt die angeblichen Spuren des Radierens als bloße Falten im Papier und die vermeintlichen Korrekturen als simples, nochmaliges Nachziehen der Zahlen mit dunkler Tinte. Alle wichtigen Einträge seien von Hell noch auf Vardø erfolgt, unterstreicht der US-Astronom.
Maximilian Hell nützte das nichts mehr. Die Auflösung des Jesuitenordens 1773 verbitterte ihn. Sein Plan zur Gründung einer wissenschaftlichen Akademie in Wien wurde von der Kaiserin abgelehnt. Seine kompletten Reiseaufzeichnungen gingen aus Geldmangel nie in Druck. Hell starb am 14. April 1792 an einer Lungenentzündung. Man setzte ihn am Friedhof von Maria Enzersdorf bei.
Venustransit Juni 2012
Am 6. Juni 2012 kommt es zum letzten Durchgang der Venus im 21. Jahrhundert. Wenn der Planet im Raum Wien gegen 4:52 Uhr MESZ aufgeht, hat er den Großteil seines Wegs über die Sonnenscheibe schon geschafft. Sein gemächlicher Austritt erfolgt zwischen 6:37 und 6:55 Uhr, niedrig über dem Ostnordosthorizont. Mit wirklich neuen, noch nicht verwitterten "Sonnenfinsternisbrillen" könnte man die Venus zuvor als haarfeinen Punkt auf der Sonne erspähen. Beim Einsatz optischer Instrumente muss ein fachgerechtes Spezialfilter vor dem Objektiv befestigt werden, zwischen Optik und Sonne. Sonst wird man blind! Die Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie lädt unter anderem auf der Fußgängerbrücke vor dem Millennium-Tower zur Beobachtung ein, der Astronomische Verein auf dem Flakturm im Esterhazypark.
Informationen: www.himmelszelt.atChristian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: www.himmelszelt.at
Siehe auch:Die Reise im Auftrag der Venus