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Der Patient Gesundheitssystem

Von Brigitte Pechar

Politik

Zu viele Interessen behindern grundlegende Reformen. | OECD: 850 Millionen Euro versickern durch Ineffizienz. | Wien. "Ziel ist eine lange Lebenserwartung bei guter Gesundheit, höchstmögliche Patientenzufriedenheit und umfassender Schutz vor dem finanziellen Risiko einer Erkrankung." So steht es im Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP. Schöne Worte, die mit Inhalt, vor allem aber mit Ressourcen gefüllt werden müssen. Und an den Ressourcen scheint es derzeit massiv zu hapern.


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Erstmals werden heuer alle österreichischen Gebietskrankenkassen mit einem Defizit von insgesamt 405 Millionen Euro abschließen. Besonders in die Bredouille geraten ist dabei die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), deren Defizit mit fast 141 Millionen Euro zu Buche schlagen wird. Seit Jahren weist Obmann Franz Bittner auf das drohende Debakel hin, allerdings mit wenig Effekt. Die Politik spielt den Ball an die Selbstverwaltung zurück.

Tatsächlich haben die Kassen selbst - außer durch Einsparungen bei den Leistungen und in der Verwaltung - sehr wenig Einfluss auf die Gebarung. Denn sie finanzieren sich aus den Beiträgen, die wiederum von der Konjunktur abhängen und deren Höhe von der Politik festgelegt wird.

Auch auf die Anzahl der Spitäler haben die Kassen keinen Einfluss, obwohl sie deren Finanzierung zu 50 Prozent tragen. 121 Krankenhäuser der insgesamt 264 Spitäler in Österreich stehen zum Großteil im Besitz von Ländern und Gemeinden. Sozialversicherung, Bund, Länder und Gemeinden zahlen in den Landesgesundheitsfonds, der die Mittel über das System der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung nach einem Punktesystem verteilt.

Spitalsschließungen, die zwar durchaus Sinn machen würden, werden von den Ländern nach Tunlichkeit vermieden. Aber nicht nur Landespolitiker haben Interessen, auch die Ärztekammer hat ein gewichtiges Wort mitzureden. Das Gesundheitsministerium hat in diesem sehr komplexen System nur geringe Kompetenz. Das Ministerium kann lediglich durch Verhandlungen mit Ländern, Ärzteschaft und Kassen versuchen, sich durchzusetzen. Die Krankenanstaltengesetze sind Ländersache.

Österreich pumpt im internationalen Vergleich sehr viel Geld, nämlich 25 Milliarden Euro (davon trägt die öffentliche Hand 19 Milliarden bei) in das Gesundheitssystem. Im Ranking der 30 OECD-Staaten liegt Österreich damit bei den Gesundheitsausgaben (staatliche und private zusammengerechnet) auf Platz 5. Gleichzeitig sagt eine OECD-Studie, dass das Ausmaß der Ineffizienzen rund 850 Millionen jährlich beträgt.

Ineffizienzen liegen etwa in den Mehrfachuntersuchungen, in häufigen Spitalsaufenthalten, in einer zu hohen Akutbettenkapazität. Aber auch in den völlig unterschiedlichen Leistungskatalogen der Kassen - zu viele unterschiedliche Bewertungen derselben Leistungen.

Eine Verbilligung des Systems erwartet sich die Regierung durch Ärztliche Versorgungszentren, die teure Spitalsambulanzen reduzieren sollen. Aber auch das dürfte noch ein weiter Weg sein, gibt es doch in dieser Frage erhebliche Auffassungsunterschiede mit der Ärztekammer - zuletzt hatte diese sogar mit Streik gedroht.

Das Mitwirken so vieler Interessengruppen an der Gesundheitspolitik führt dazu, dass alle Reformen in diesem Bereich halbherzig bleiben müssen, weil niemand Macht abgeben will. Dreh- und Angelpunkt aller Reformen ist die Finanzierung - am besten aus einer Hand. Lange schon geistert das Schlagwort "Geld folgt der Leistung" durch den Raum - alleine, es ist nicht mit Leben erfüllt.

Siehe auchWiener Kasse braucht Hilfe der Politik