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Der Pfad der Tugend

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Die Aktienbörsen legen zu, weil eine Zinssenkung der EZB erwartet wird. Das entspricht einem historischen Reflex von Händlern und institutionellen Investoren: Billiges Geld regt die wirtschaftlichen Investitionen an, das Wachstum steigt. Dieses Kalkül war freilich noch nie so falsch wie heute. "Der geldpolitische Übertragungsmechanismus ist in Teilen des Währungsraums gestört", nannte es der aus Deutschland stammende Direktor der Europäischen Zentralbank, Jörg Asmussen - in Notenbank-Subtext.

Der Klartext dazu: Neun Prozent der mittelständischen Unternehmen in der Eurozone erhalten keine Bankkredite - vor allem in den Krisenländern. Die Banken fürchten neue Ausfälle und sind übervorsichtig. Und in den guten Ländern, zu denen Österreich gehört, ist die Kreditnachfrage schwach. Viele Firmen trauen dem Frieden nicht und halten sich zurück.

Daran wird auch eine bloße Zinssenkung der EZB von 0,75 auf - sagen wir - 0,5 Prozent nichts ändern. Die EZB könnte nur mithelfen, das Vertrauen in die wirtschaftliche Prosperität Europas zurückzubringen. Dazu wird auch eine Zinssenkung gehören, doch beileibe nicht nur. Die Zentralbank hat noch ein paar andere Pfeile im Köcher, die möglicherweise besser treffen. Der Europäischen Investitionsbank und nationalen Förderbanken mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wäre ein ganz gutes Mittel gegen die "beidseitige Kreditklemme". Damit aber bewegt sich die EZB auf dünnem Eis.

Am wirkungsvollsten wären monetäre Maßnahmen, die möglichst rasch am Arbeitsmarkt wirken. Doch damit ist die EZB nahe an der Politik, zudem hat sie gar keinen Auftrag, die Konjunktur zu stützen.

Die Ironie der Krise ist es aber, dass genau dies der - von deutschen Notenbankern gerne zitierte - "Pfad der Tugend" wäre. Inflationsbekämpfung ist ein hehres Ziel, doch woher soll in Zeiten der Stagnation die Teuerung kommen?

Die EZB ist - ob sie es will oder nicht - das Zentrum der Krisenbekämpfung. Die Politik kämpft sich mühsam zurück, verplempert aber mit dem Streit, ob die rigide Sparpolitik fortgesetzt werden soll oder nicht, erneut wertvolle Zeit. Der EZB wird auch weiterhin nichts anderes übrig bleiben, als diese Zeit mit Geld zu überbrücken. Denn sie agiert nicht im monetären Paralleluniversum, sondern in einem Europa, in dem acht Millionen junge Menschen Jobs suchen.