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Der Philosoph wird zum Berater

Von Martin Poltrum

Wissen

Seit nahezu 20 Jahren beraten und informieren Philosophen Klienten in eigener Praxis zu den unterschiedlichsten Fragen. Was in den achtziger Jahren in Deutschland begonnen hat, ist mittlerweile zu einem internationalen Phänomen geworden. Im Nahefeld zur Psychotherapie, beziehungsweise Unternehmensberatung, eröffnete sich ein Berufszweig, der sich zu etablieren versucht.


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"Sind es neue Freunde der Wahrheit, diese kommenden Philosophen? Wahrscheinlich genug, denn alle Philosophen liebten ihre Wahrheiten", meinte einst Friedrich Nietzsche, ohne damit Gerd B. Achenbach und die durch ihn iniziierte Bewegung der Philosophischen Praxis zu meinen. Seit Achenbach 1981 in Deutschland die erste Praxis gründete, hat sich einiges auf diesem Gebiet getan und es gibt derzeit weltweit über 100 Philosophische Praktiker. Das Phänomen der Philosophischen Praxis, das in Deutschland begonnen hat, ist in Amerika mit regem Interesse aufgenommen worden - vermutlich wegen der dort vorherrschenden pragmatischen Tradition - und ist dort unter dem Begriff des Philosophical Counseling bekannt.

Was die Verbreitung dieses Berufszweiges in Österreich betrifft, so zeigt sich seit der ersten Praxisgründung 1985, durch den Salzburger Günther Witzany, ein buntes Bild an Praxiseröffnungen und Praxisschließungen.

In mehreren Ländern haben sich Praktiker zu Organisationen und Dachverbänden zusammengeschlossen, um einerseits die Entwicklung dieses Berufszweiges zu fördern, und andererseits durch Aufnahmen bzw. Ausschlüsse aus diesen Verbänden so etwas wie ein allgemeinverbindliches Berufsethos, bzw. Gütekriterium der Arbeit zu etablieren. Denn rein rechtlich kann jeder, da es sich um kein juristisch geschütztes und rechtlich kodifiziertes Tätigkeitsfeld handelt, diesen Beruf ausüben. Neben Gesellschaftsgründungen, die gleichzeitig mit dem Phänomen der philosophischen Praxis auftauchten, finden seit den neunziger Jahren regelmäßig internationale Kongresse zu dieser Thematik statt.

Philosophie wollte immer schon Praxis sein

Was im engeren Sinne seit den achziger Jahren existiert, ist der Sache nach so alt wie die Philosophie selbst. Die Suche nach Weisheit und Wahrheit, nach Organisation und auslegendem Verstehen der erscheinenden Phänomene, war immer auch Versuch einer Weltorientierung. So ließen sich die durch Platon vermittelten sokratischen Dialoge als Beratung und Philosophische Praxis deuten. Von den Sophisten, welche die öffentliche Relevanz des philosophischen Wissens behaupteten und organisierten, zur Stoa, die darauf verwies, das Urteilenthaltung zur Seelenruhe führe, über das mittelalterliche Pastoralgespräch hin zu Kants Auffassung von Philosophie und Aufklärung als Anleitung zum Mündigwerden reichen die Beispiele, welche zeigen, dass die europäische Denktradition wesentliche Impulse zur Entwicklung und Bewusstwerdung des Geistes lieferte.

Enge Verwandte: Philosophie und Psychotherapie

In einem expliziten Verwandtschaftsverhältnis zur Philosophischen Praxis steht die Psychotherapie. Die meisten ordinierenden Denker bemühen sich jedoch um eine genaue Abgrenzung zur Therapie. Die Verbindung zwischen Psychotherapie und Philosophie ist so alt wie die Geschichte der Psychotherapie selbst. So fußen etwa die tiefenpsychologischen Therapierichtungen Sigmund Freuds und Alfred Adlers auf Grundeinsichten der Willensmetaphysik Schopenhauers und Nietzsches, und die Logotherapie Viktor Frankls auf Wesenseinsichten der phänomenologischen Philosophie, um nur von den drei Wiener Schulen zu sprechen. C.G. Jung meinte einmal: "Ich kann es nicht verschleiern, dass wir Psychotherapeuten eigentlich Philosophen oder philosophische Ärzte sein sollten, oder vielmehr, dass wir es schon sind, ohne es wahr haben zu wollen."

Was historisch und systematisch in einem Naheverhältnis steht, ist von rechtlicher Seite her klar geregelt. Denn das 1991 in Österreich beschlossene Psychotherapiegesetz regelt und schützt die Bezeichnung Psychotherapie. So dass die berechtigte Frage entsteht, ob die Anbieter eines philosophischen Gesprächs mit einem Stundensatz von 500 bis 1000 Schilling nicht Etikettenschwindel betreiben, um den mühsamen und finanzintensiven Weg der Psychotherapieausbildung, mit Kosten von bis zu einer halben Mill. Schilling, zu umgehen. Eine Ausbildung im übrigen, bei der es fraglich ist, ob die Spezialisierung auf eine Therapierichtung nicht eher einer Konfession denn einer Profession entspricht.

Der Philosoph als Manager

Von der Verbindung von Philosophie und homöopathischer Beratung über die Philosophisch-Schamanische Praxis bis hin zur Verbindung von Philosophie und Unternehmensberatung, der wohl einnahmenkräftigsten Kombination, reicht die Palette an Versuchen, neue Tätigkeitsfelder für die Schätze der europäischen Denktradition zu erschließen. Dabei wird vor allem die Verbindung von Philosophie und Unternehmensberatung heftigst kritisiert. Vor allem dann, wenn die angebotenen Dialektik- oder Rhetorikkurse ohne jede sozial- und wirtschaftsethische Hintergrundsüberlegungen auf die reine Vermittlung von Durchsetzungsstrategien und Erzielung höherer Marktanteile angelegt sind.

Der ehemals in Salzburg praktizierende Dozent Hans Czuma meint zu dieser Art der Unternehmensberatung: "Wenn es heute Sophisten gibt, so sind es jene Kommunikationstrainer, Politiker- und Managerberater und Werbefachleute, die in Lehrkursen ein praktisches Wissen und Können vermitteln, das ihre Adressaten instandsetzt, andere Leute für die eigenen Zwecke rumzukriegen und sie zu beherrschen."

Bedürfnis nach Kommunikation

Vom Rat oder Gesprächsuchenden her betrachtet, der sein Bedürfnis nach Geist vielleicht nicht genau zuordnen kann, sind Psychotherapeut, Esoteriker, Philosoph oder Seelsorger mögliche Figuren, die als Gesprächspartner in Frage kommen. Damit siedelt sich die Philosophische Praxis auf einem gegenwärtig in Hochkonjuktur befindlichen Markt an. Dies könnte ihr als außeruniversitäre Pflege der Philosophie auch eine reale Überlebenschance bieten. Warum es aber gerade heute ein so vehementes Bedürfnis nach Geist gibt, liegt sicher am Sein der Zeit. Zum einen sind die traditionellen Sinnangebote der christlichen Religion fragwürdig geworden, und andererseits führt Zeitknappheit und die Ausrichtung des alltäglichen Lebensvollzuges in Richtung mehr Leistung zu einem emotionalen und spirituellen Vakuum, dass den Markt der Sinnlieferanten sprießen lässt.

Die Frage nach dem Heil

Von der Beichte und dem Heilsversprechen im Jenseits zum weltlich psychotherapeutischen Geständnis und den Heilshoffnungen im Diesseits ist es nur ein kleiner Schritt. So ließe sich etwa die in der Psychoanalyse geforderte Blickabstinenz, der Therapeut sitzt ja hinter dem liegenden Klienten, mit der Beichtsituation, in der sich die Sprechenden ebenfalls nicht sehen, vergleichen. Dass es hier wie dort um ein wie auch immer gefasstes Heilwerden geht, liegt auf der Hand. Die Frage ist jedoch, was unter Heil-sein, Ganz-sein zu verstehen ist. Besteht es darin, mittels Gespräch oder anderen Methoden zu Kernen der Authentizität zurück zu finden (Daseinsanalyse), oder in der Aufarbeitung von aus der Kindheit mitgeschleppten Wahrnehmungsverkrustungen und einengender Lebenskonzepte (Psychoanalyse)? Korreliert Heil-sein mit der Findung des persönlichen Sinnes (Logotherapie/Existenzanalyse)? Oder wird Heil- und Ganzsein über die Versenkung in das Religiöse vorgestellt? Auf irgendeine Art muss es jedoch um einen Mangel gehen, wenn jemand das Bedürfnis hat, sich durch ein klärendes Gespräch vom Drang der Fragen zu befreien. Oder vielleicht ist es nur der Wunsch eine Geschichte zu erfinden.

Vom Nutzen des Denkens

Denn das Bedürfnis nach Geschichte, bzw. Geschichten ist ein urmenschliches Anliegen. Viele Geschichtstheoretiker sind sich heute darüber einig, dass das selbe Bedürfnis, welches den einzelnen Menschen veranlasst, in seinem eigenen Leben Zusammenhänge herzustellen, die Menschheit insgesamt bewegt, die Geschichte der Welt zu erforschen. Für die Wiederspiegelung eigener Gedanken in der Geschichte des Denkens bedeutet dies, dass Selbstgedachtes durch die Konfrontation mit den Archiven der Philosophietradition zum einen bereichert wird, und zum anderen, dass Standpunktverhärtungen - die eventuell zu Problemen führen - durch den Gewinn eines polyperspektivischen Blickes aufgelockert werden. Vielleicht ist es aber auch nur eine wohltuende Erfahrung, welche die Freunde des Denkens bewegt, einen Philosophischen Praktiker aufzusuchen. Denn zu erleben, dass Gedanken, die dem Geist der Zeit nicht mehr erörterungswürdig sind, einstmals Geister und Gemüter vergangener Zeiten bewegte, kommt dem Gewinn von neuen Gesprächspartnern gleich. So ließe sich Jean Pauls Wort "Bücher sind dicke Briefe an Freunde" auch auf philosophische Bücher anwenden.

Dichter seines Lebens

Vom Deutschen Romantiker Friedrich Schlegel stammt der Ausspruch, dass der Historiker der rückwertsgewendete Prophet sei. Denn so wie sich vergangene Dinge im Heute darstellen, haben sie sich den im unmittelbaren geschichtlichen Vollzug Stehenden nicht gezeigt. In Analogie dazu ist der in der Psychotherapie übliche Blick in die "verdrängte Vergangenheit" einer Biographie eher ein Akt, der rückwirkend etwas erfindet, als das er wirklich faktisch Geschehenes wieder vergegenwärtigt. Die Reflexion über die eigene Biographie, die vergleichbar ist mit dem Vorgang, sich eine Geschichte über sein Leben zu erzählen, ist dort angebracht, wo Lebensentwürfe durch veränderte Umstände ins Wanken geraten. Der Deutsche Philosoph Gernot Böhme meint, das Geschichtenerzählen dort nötig sei, "wo alles sich ändert, wo Identität stets eine prekäre Forderung bleibt, wo alles zeitlich zu zerfallen droht." Sich von Zeit zu Zeit eine neue Geschichte über sein Leben zu erzählen tut dort Not, wo durch "Re-signation" die begegnenden Phänomene immer wieder gleich gezeichnet werden.

Wissensbeschaffung auf Anfrage

Eugen-Maria Schulak, ein Philosophischer Praktiker aus Wien, der sich explizit von der Psychotherapie abgrenzt, sieht seine Praxis auch als Ort, in dem jemand ein philosophisches Thema recherchieren lassen kann. So berichtet er davon, dass er von einer Managerin aufgesucht wurde, um die philosophischen Archive zum Thema Arbeit zu befragen. Im Zuge von Betriebssanierungsmaßnahmen mussten Arbeitskräfte entlassen werden, was in der Managerin den Wunsch weckte, sich mit dieser Thematik philosophisch zu beschäftigen. In einem anderen Fall wurde er von einem Psychiater konsultiert, der sich - vermutlich aus Berufsgründen - über die Freiheits/Determinationsdebatte kundig machen wollte.

Was in einer Philosophischen Praxis alles zum Thema werden kann, wird, wie die unterschiedlichen Ausrichtungen zeigen, letztlich von den dort erörterten Fragen abhängen. Somit Entscheidung dessen sein, der einen Praktiker aufsucht. Das Fragen aber ist, wie der Philosoph Martin Heidegger einmal meinte: "die Frommigkeit des Denkens."