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Der Pirat mag’s auch mal bieder

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik
Jenseits der Internet-Stereotypen: Matthias Schrade ist Finanzanalyst und Unternehmer.

Matthias Schrade tritt beim Parteitag am Wochenende zur Wiederwahl an.


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Bei ihren ersten Landtagswahlen im Jahr 2008 erzielte die deutsche Piratenpartei zwischen 0,9 und 1,9 Prozent. Seitdem hat man einen atemberaubenden Höhenflug hingelegt, in Umfragen liegt man mittlerweile bei 13 Prozent und befindet sich damit auf Augenhöhe mit den Grünen. Am Wochenende wählt die unkonventionelle Neo-Partei ihre Führung neu, Vorstandsmitglied Matthias Schrade stellt sich dabei der Wiederwahl.

Wiener Zeitung: Sind die Piraten mehr als ein Zeigefinger für etablierten Politiker, sich ernsthaft zu überlegen, warum ihnen die Wähler davon laufen?

Matthias Schrade: Wir setzen uns für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten, Bürgerrechte und Transparenz ein. Das heißt, uns zu wählen ist ein Protest - aber ein Protest für bestimmte Dinge, nicht einfach nur gegen das Bestehende. Gegen das Bestehende protestieren konnte man schon lange, manche viele Menschen sind einfach nicht mehr zur Wahl gegangen, und andere Möglichkeiten zu protestieren gab es ja auch auf dem Wahlzettel.

Ist für die Wähler vor allem - in Anlehnung an Marshall McLuhan's "Das Medium ist die Botschaft" - die Partei die Botschaft?

Die Partei hat mittlerweile auch ein Image. Sie steht für mehr Transparenz, mehr Mitmachmöglichkeiten, genau das, was in anderen Parteien so nicht möglich ist. Wir haben mittlerweile mehr als 28.000 Mitglieder. Jedes Mitglied kann Anträge stellen, jedes Mitglied ist stimmberechtigt. Das spricht die Leute an. Es geht nicht darum, Machtstrukturen aufzubauen oder nur eine kleine Zahl der Parteimitglieder mitbestimmen zu lassen. Und außerdem erkennen immer mehr Wähler, dass das Bild, das in der Presse gemalt wird, entspricht nicht der Realität entspricht.

Was meinen Sie damit?

Beispielsweise wird behauptet, die Piraten wären eine Hackerpartei. Und gern werden buntere Mitglieder herausgegriffen. Der Eindruck wird vermittelt, das sind total durchgeknallte Typen. Im konservativen Saarland, das traditionell von der CDU regiert wird, haben wir 7 Prozent bekommen. Wer im Saarland unsere Mitglieder kennenlernt, stellt fest, die sind total normallangweilig: bodenständig, verheiratet, haben Kinder.

Am Bild von den "durchgeknallten Typen", die wenig Ahnung außer von Internet haben, malen die Piraten aber selbst mit. Oft heißt es: "Dazu haben wir uns noch keine Meinung gebildet." Warum aber bereitet man sich nicht besser vor, wenn man in Talkshows etwa zum Thema Schlecker geht?
<br style="font-style: italic;" /> Wir haben kaum Einfluss auf die Auswahl auf die Teilnehmerliste der Talkshows. Ich selbst bin für "Lanz" abgelehnt worden, ich sei zu langweilig. Die Auswahl ist alles andere als repräsentativ.

Aber Christoph Lauer, der bei besagter Schlecker-Diskussion war, ist nicht irgend ein bunter Vogel.

Ja, aber er ist einer von 15 Berliner Abgeordneten.

Warum holt man sich nicht vorher bei den anderen Piraten Input?

Hier war es eben gar nicht angekündigt, dass es um das Thema Schlecker geht. Christopher Lauer hat dann einige kritische Fragen gestellt.

Wie sieht es überhaupt bei den Piraten mit Wirtschaftspolitik aus, wie steht man etwa zu  den Rettungsschirmen und den Sparmaßnahmen?

Ich habe zu dem Thema eine private Meinung, aber das ist keine Parteimeinung.

Wie schnell kann man eine Meinung der Piraten erwarten? Das Thema Griechenland ist ja nicht gerade neu.

Ich gehe davon aus, dass wir bis zur Bundestagswahl 2013 entsprechende Beschlüsse haben werden. Wir haben zu jedem erdenklichen Thema nicht nur einen, sondern mehrere Experten. Wir können problemlos sachkundig diskutieren.

Und woran können sich potenzielle Wähler bis 2013 orientieren?

Die Piraten in Nordrhein-Westfalen sind gegen den dauerhaften Rettungsschirm. Ich meine, der Rettungsschirm ist nicht sozial und verlängert die Probleme. Wir helfen ja nicht den Griechen, sondern schützen unsere eigenen Banken. Ansonsten lässt sich aus Beschlüssen in verschiedenen Ländern nach meiner Einschätzung ableiten, dass viele Piraten eine subventionskritische Haltung haben und für eine Vereinfachung des Steuersystems sind.

Das klingt nach Freidemokraten.

Wir sind eine sozial-liberale Partei. Die FDP hat ihre liberalen Grundprinzipien auf die Wirtschaft fokussiert und hier nicht gerade auf kleine und mittlere Unternehmen. Und das Thema Bürgerrechte versucht die FDP noch als Image hochzuhalten, Einsatz wird aber nicht wirklich viel gezeigt.

Eines der Hauptthemen der Piraten ist "Transparenz". Führt mehr Transparenz tatsächlich zu mehr Vertrauen? Ist das nicht widersprüchlich?

Wenn ich mich mit einem Lobbyvertreter treffe, muss das publik sein. Wenn der an einem Gesetz mitgeschrieben hat, erst recht. Entscheidungsprozesse müssen klar sein. Bei uns wäre es undenkbar, dass zwei etwas ausklüngeln und die anderen nicken es dann nur ab. Unsere Fraktionssitzungen in Berlin und im Saarland sind öffentlich, auch die Protokolle sind es.

Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn sieht bei "Liquid Feedback" (eine Software, mit der registrierte Piraten Meinungen äußern und abstimmen, Anm.) die Gefahr, dass demokratische Prozesse wie Debatten und Faktenaustausch durch Klicks in den Hintergrund geraten.

Das würde ich definitiv nicht sagen. Entscheidungen werden grundsätzlich auf Bundesparteitagen gefällt. Es ist ja interessant, dass wir als angebliche Internetpartei reine Onlineabstimmungen und Onlineparteitage ablehnen -  das sogenannte Real Life spielt eine ganz große Rolle. Der persönliche Diskurs - auch auf Stammtischen und kleineren Parteitagen - ist sehr wichtig, das wird in den Medien gern übersehen. Allein in Schleswig-Holstein hatten wir vier Landesparteitage, bis das Wahlprogramm verabschiedet worden ist. Und auf den Parteitagen ist es mir auch schon passiert, dass sich meine vorgefasste Meinung durch die Debatte geändert hat. Diese berühmt-berüchtigte Schwarmintelligenz funktioniert tatsächlich.

Wenn mein Kollege ein Buch schreibt und es kurze Zeit später im Internet kostenlos heruntergeladen wird – finden Sie das gut?

Ich würde es online anlesen und dann, wenn es mir gefällt, das Buch kaufen. Ich mag die Haptik. Möglicherweise ist das kostenlose Verteilen im Netz eine gute Marketingform. Wir treten für das Recht auf Privatkopie ein. Die kommerzielle Nutzung ist strafbar und soll es auch bleiben.
 
Wie wird man mit Mitgliedern umgehen, die künftig – unbedarft oder ernsthaft – Äußerungen formulieren, die eine Nähe zu Rechtsextremismus herstellen?

Die Piratenpartei ist gegen Rechtsextremismus – ohne Wenn und Aber. Es laufen derzeit um die fünf Parteiausschlussverfahren. Ein früheres NPD-Mitglied wurde bereits von den Piraten ausgeschlossen, weil es diese frühere Mitgliedschaft verschwiegen hat. Und es gibt bei uns die 'Piraten gegen Rechtsextremismus'. Ich selbst bin am Dienstag wieder bei der Anti-Nazi-Demo in Neumünster.

Eine Piraten-Forderung ist das bedingungslose Grundeinkommen. Sie aber sagten, eine Umsetzung wäre schwierig.

Ich halte das Grundeinkommen für sinnvoll. Wir setzen uns dafür ein, dass eine Enquete im Bundestag verschiedene Modelle errechnet; anschließend wird über eines oder mehrere per Volksabstimmung entschieden. Probleme sehe ich in der praktischen Umsetzung darin, dass die Lebenshaltungskosten beispielsweise in München und Berlin unterschiedlich sind – wie hoch soll also das Grundeinkommen sein? Man muss auch darüber sprechen, was mit den Einkommen vor und nach der Einführung passiert. Die Gehälter, die nach der Einführung verhandelt werden, werden wohl niedriger sein als die in den Altverträgen. Aber das sind schon Details, entscheidend ist, dass wir zu einem Systemwechsel in der sozialen Sicherung kommen.