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Der Polen Hang zum Melodram

Von Martyna Czarnowska

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Für viele Menschen wird das Begräbnis von Lech Kaczynski mehr als ein Staatsakt werden. | Es wird dazu führen, dass sie sich noch stärker als sonst als Polen fühlen.


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Er saß im Gefängnis und litt. Nicht nur für sich, sondern für sein ganzes Volk. Er haderte mit Gott, bevor ihm ein Priester seine Sünden verzieh. Er machte eine Wandlung vom Leidenden zum Kämpfenden durch - aus Gustaw wurde Konrad.

Und er wurde zu einer der berühmtesten Figuren der polnischen Literatur. Schon Schüler haben "Ahnenfeier", das grandios düstere, schwer durchdringbare Drama des Nationaldichters Adam Mickiewicz rund um Freiheitskampf und Tod, zu lesen. Gustaw/Konrad, so lernen sie, steht als Symbol für Polens Streben nach Freiheit, für Patriotismus und Heldentum. Geschrieben hat Mickiewicz das Stück, als es Polen als eigenen Staat gar nicht gab. Das ganze 19. Jahrhundert über war das Land annektiert, zwischen Russland, Preußen und dem Habsburgerreich aufgeteilt.

In der ganzen Zeit gab es immer wieder Aufstände und Widerstand. Die Polen kämpften - gegen die Preußen und Russen, später gegen die Deutschen und Sowjets. Ihre Gefallenen und Verstorbenen ehrten sie als Helden.

Dieser Topos vom Märtyrer ist in den Polen als Nation tief verankert. Er wird an Schulen unterrichtet, in der Literatur weitergegeben und bis heute immer wieder in der Politik beschworen. Auch der bei einem Flugzeugabsturz umgekommene Staatspräsident Lech Kaczynski bediente ihn.

Ein Teil der EU-Skepsis der Rechtskonservativen in Polen resultiert aus einem tiefen Misstrauen gegenüber den aus Westeuropa kommenden sogenannten liberalen Werten, die den polnischen Staat zersetzen könnten. An der Sichtweise von Nationalisten, dass Russland und Deutschland noch immer eine Gefahr für Polen sein könnten, änderte auch der Beitritt des Landes zur Europäischen Union nur wenig.

Von Podien auf den Straßen, vom Rednerpult im Parlament aus wetterten sie gegen Homosexualität, Abtreibung, Partnerschaften ohne Trauschein. Wie einst im 19. Jahrhundert sahen sie Polen von fremden Mächten bedroht - wenn auch nicht mit Waffen, sondern mit dem Lebenswandel. Nicht Europäer waren ihre Heiligen, sondern polnische Patrioten.

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Doch selbst abseits solch obskurer Überlegungen ist der Hang zum Melodram bei vielen Polen ausgeprägt. Vielleicht ist es auch die ihnen nachgesagte slawische Melancholie, die sie leiden lässt, so wie Portugiesen Saudade, der Weltschmerz, erfüllen kann, oder Türken das Hüzün-Gefühl.

Zu diesem Bild passt auch die Verehrung für die Toten, die sich etwa zu Allerseelen ausdrückt, wenn schon von weitem der Widerschein der Grablichter über den Friedhöfen zu sehen ist. Und deswegen wird auch das Begräbnis von Lech Kaczynski und seiner Frau Maria Kaczynska am Sonntag für viele mehr als ein Staatsakt werden. Es wird dazu führen, dass sie sich noch stärker als sonst als Polen fühlen.

Doch fehlt es inmitten der kollektiven - und damit identitätsstiftenden - Trauer auch nicht an Stimmen, die um Relativierung bitten. Macht aus Kaczynski, der zu Lebzeiten polarisiert hat, nach seinem Tod nicht einen Nationalheiligen, heißt es in Internetforen. Proteste gab es von Anfang an gegen die Idee, den umgekommenen Präsidenten im Wawel, in der ehemaligen Königsresidenz in Krakau, bestatten zu lassen. Es wäre übertrieben, den Politiker an dem Ort zu begraben, wo Könige, Dichter und Kämpfer ihre letzte Ruhestätte fanden.

Auch die sterblichen Überreste von Adam Mickiewicz ruhen im Wawel. Doch es dauerte 35 Jahre, bis sie dorthin überführt wurden. Mickiewicz starb 1855 in Konstantinopel, heute Istanbul. Krakau hat er Zeit seines Lebens nicht gesehen.