443 Atom-Reaktoren sind weltweit am Netz, sie sind verantwortlich für 16 Prozent der globalen Stromerzeugung. Die Tendenz war zuletzt stark steigend. Vor allem große Nationen wie China, Russland, aber auch die USA, hatten angekündigt, die Zahl der Atomkraftwerke zu verdoppeln.
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Länder wie Italien, auch Deutschland, hatten den "Ausstieg vom Ausstieg" der friedlich genutzten Atomenergie verkündet. Italien will neue bauen, Deutschland verlängerte die Laufzeit der bestehenden Atomkraftwerke.
Der Renaissance der Atomkraftwerke hat vor allem zwei Gründe: Erstens der stark steigende Stromverbrauch, und zweitens die Bemühungen um den Klimaschutz. Die Energie der Kernspaltung soll fossile Energieträger ersetzen, um die CO2-Emissionen reduzieren zu können.
Die größten Schwachstellen der Atomenergie sind sicherlich die nach wie vor ungelöste Frage der Endlagerung verbrauchter Brennstäbe sowie die immensen Schäden, die bei einem Unfall in einem Atomkraftwerk entstehen.
Fukushima 1, und der Notfall in vier weiteren japanischen Reaktoren, wird nun ohne jeden Zweifel die politische und wirtschaftliche Debatte um die Kernenergie neu entfachen. Die Bilder der Explosion im AKW Fukushima vermittelten das Bild der Apokalypse. In Europa mögen die Menschen froh sein, dass das Unglück auf der anderen Seite des Globus passierte, aber die Angst vor dieser Technologie wird - 25 Jahre nach Tschernobyl - erneut steigen. Ausbaupläne werden vermutlich neu überdacht werden, manche werden wohl schubladiert.
Die Regulierung und Sicherheitsvorschriften für AKW werden vermutlich deutlich verschärft, dies wird Auswirkungen auf die Gewinn-Situation von großen Energieproduzenten haben. Aktien dieser Branche geraten vermutlich unter Druck.
Vor allem in Deutschland wird die Atom-Debatte heftig geführt werden, dort waren und sind die oppositionellen Parteien SPD und Grüne strikt gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Es ist durchaus anzunehmen, dass die regierende CDU/FDP-Reagierung, die dies durchgesetzt hat, bei den anstehenden Regionalwahlen in Deutschland von der verunsicherten Bevölkerung die Rechnung dafür serviert bekommen. Auch solche politischen Folgen sind nach dem "japanischen Tsunami" - in jeder Hinsicht - möglich. In den USA dürften die Republikaner, die massiv für den Ausbau der Atomkraftwerke eintreten, einen Rückschlag erleiden, wenn der radioaktive fallout tatsächlich die Westküste der USA erreicht.
Auf die Energie-Versorgung der Welt wird der japanische Unfall auf jeden Fall Auswirkungen haben. Weltweit werden Kernreaktoren Inspektionen unterzogen werden. Reaktoren in gefährdeten Gebieten droht sicherlich die Abschaltung. Die Energiepreise werden also - wenn man die erwartbaren Marktreaktionen vorwegnimmt - in nächster Zeit steigen, und zwar deutlich. Gemeinsam mit dem hohen Ölpreis wäre ein stark steigender Strompreis eine ökonomische Gefahr aus zweierlei Hinsicht: Erstens würde dadurch die Inflation angeheizt, zweitens die wirtschaftliche Entwicklung gebremst. Vor allem die Wirtschaft in China und Brasilien ist darauf angewiesen, ihre Energieproduktion beständig zu steigern. Stark steigende Preise würden natürlich Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum weltweit haben.
Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte sind schwieriger abzuschätzen. Japan steht vor einem kaum abzuschätzenden Finanzbedarf für den Wiederaufbau nach dem Tsunami. Sollten Versicherungen (auch von Atomkraftwerken) unter Druck geraten, stehen auch der Finanzindustrie erneut schwierige Zeiten bevor. Der Yen wird sicherlich unter Druck geraten, so die Einschätzung von Devisenhändler, auch die Börse in Tokio steht wohl vor harten Zeiten.
Das Desaster in Japan wird in den kommenden Wochen zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen führen, die noch am Donnerstag voriger Woche undenkbar gewesen wären.