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Der Popstar der Wiener Küche

Von Susanne Breuss

Reflexionen
Franz Ruhm bei der Zubereitung eines Gerichtes im Fernsehstudio (1960).
© ullstein bild

Franz Ruhm war Österreichs erster Radio- und Fernsehkoch - vor 125 Jahren wurde er geboren.


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Geboren am 31. Juli 1896 südlich von Wien in Brunn am Gebirge, ab 1956 Auftritte als Österreichs erster Fernsehkoch, 1961 Rückzug aus gesundheitlichen Gründen, gestorben am 20. März 1966 westlich von Wien in Purkersdorf: Das Jahr 2021 wartet gleich mit mehreren Jubiläen entlang der Biografie des äußerst umtriebigen und populären Kochs und Autors Franz Ruhm auf. Seine zahlreichen Publikationen sind bis heute im Gebrauch und ältere Semester erinnern sich gerne an seine launigen Auftritte im Radio, Fernsehen oder Vortragssaal.

Angefangen hat der spätere Starkoch ganz klein, nämlich - welch passendes Klischee! - als Tellerwäscher sowie als "Brotschani", der in einem Wirtshaus Brot und Gebäck verkaufte. Mit 14 Jahren verwehrte ihm das Hotel Sacher die von ihm begehrte Ausbildung zum Koch. Stattdessen absolvierte er andernorts eine Zuckerbäckerlehre und nach der Gesellenprüfung ein Volontariat im Grand Hotel.

Nach dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg, wo er seine Profession gleich unter den Bedingungen des Ausnahmezustands ausüben musste, folgten Beschäftigungen in verschiedenen großen Restaurants. Ab 1920 arbeitete Ruhm im Wiener Rathauskeller, wo er schon nach drei Jahren zum Küchenchef aufstieg - ein Titel, der fortan untrennbar mit seinem Namen verbunden sein sollte.

Moderne Medien

Als er 1927 Chefredakteur der Zeitschrift des Verbands der Köche Österreichs wurde, begann seine Medienkarriere. Und sie nahm, begünstigt nicht zuletzt durch medientechnische Neuerungen, die Ruhm geschickt zu nutzen wusste, rasch an Fahrt auf. Da war zunächst das Radio, in Österreich seit 1924 on air. Nachdem Ruhm 1928 anlässlich der Kochkunstausstellung des Verbands mit großem Erfolg einen ersten Radioauftritt absolviert hatte, trat er mit einer eigenen Sendung regelmäßig vor die Studiomikrophone und präsentierte seiner schnell wachsenden Zuhörerschaft Tipps, Tricks und Rezepte für die Küche, bei der Ravag ebenso wie bei anderen Rundfunkanstalten.

Sein Publikum war vorwiegend weiblich. Zum einen lag die Familienküche damals noch fast ausschließlich im weiblichen Zuständigkeitsbereich; gleichzeitig war aber im Krieg eine Frauengeneration herangewachsen, der es aufgrund der prekären Ernährungssituation und des Einsatzes in außerhäuslichen Tätigkeitsfeldern oft an jener Kochkompetenz mangelte, die ihre Mütter und Großmütter noch mit größter Selbstverständlichkeit erworben hatten.

Zum anderen machten die in den eigenen vier Wänden werkenden Hausfrauen generell einen bedeutenden Anteil des Radiopublikums aus: Die via Äther ins Haus gelieferte Mischung aus Musik, Unterhaltung und Information eignete sich hervorragend dazu, während der oft öden und einsamen Hausarbeit angehört zu werden.

© Archiv Susanne Breuss

Bald wurde der Ruf laut, die im Radio präsentierten Ratschläge auch in gedruckter Form zur Verfügung zu stellen. Ruhm gründete zu diesem Zweck einen eigenen Verlag und publizierte im Lauf der Jahrzehnte eine Vielzahl an Büchern und Broschüren, von denen einige zu Klassikern der Wiener Küche avancierten. Zu den erfolgreichsten Projekten zählte die ab November 1930 erhältliche Zeitschrift "Wiener Küche", auch diese richtete sich in erster Linie an die "sehr verehrte gnädige Frau", wie er die Leserschaft adressierte.

Illustrierte Zeitschriften erlebten in der Zwischenkriegszeit generell einen enormen Boom, wobei der Fotografie eine immer wichtigere Rolle zukam. In der "Wiener Küche" illustrierten Fotografien sehr anschaulich die einzelnen Arbeitsschritte bei der Umsetzung von Rezepten - und befähigten auf diese Weise auch Laien zum Nachkochen und Nachbacken. Zudem konnte mit einer Zeitschrift viel unmittelbarer und schneller auf die jeweils aktuellen Erfordernisse reagiert werden, als dies mit dem klassischen Kochbuchwälzer der Fall war - ein Aspekt, der in einer Zeit des rasanten gesellschaftlichen Wandels und massiver Modernisierungsprozesse zunehmend an Bedeutung erlangte.

Der nächste medienhistorische Coup gelang Ruhm nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich hierzulande das Fernsehen gerade zu etablieren begann: 1956 wurde er Österreichs (und später auch Bayerns) erster Fernsehkoch und konnte auf diesem Weg seine Popularität noch zusätzlich steigern. Würde er heute noch leben, hätte er sicher neben Facebook-, Instagram- und Twitter-Accounts einen eigenen Videokanal und einen Podcast - er würde es kaum verabsäumen, auch die aktuellen medientechnischen Entwicklungen für seine Mission zu nützen.

Manche sehen in Franz Ruhm einen österreichischen Vorläufer von Jamie Oliver, und dieser Vergleich erscheint durchaus plausibel, wenn man das Leben und Wirken des "Küchenchefs" überblickt. Wie der berühmte britische "Naked Chef" verstand er es blendend und unter intensivem Me-dieneinsatz, ein Massenpublikum für seine alltagstauglichen Tipps und Tricks für die häusliche Kochpraxis zu begeistern. Er präsentierte sein Expertenwissen nicht nur einfach, klar und für Laien nachvollziehbar, sondern er würzte all das auch noch großzügig mit seinem legendären Charme und Schmäh.

Kochen als Show

Mit seinem performativen Talent erlangte der selbsternannte Idealist und Fanatiker der Wiener Küche so etwas wie einen Popstar-Status, inklusive ausverkaufter Säle bei Vortragsveranstaltungen, Autogrammstunden und Interviews. Einen Auftritt von ihm live zu erleben, galt als ein wirkliches Ereignis, entsprechend begehrt waren die Eintrittskarten und prominent platziert die Ankündigungen in den Medien.

1937 verwendete er dabei erstmals Lichtbilder zur Unterstützung seiner Ausführungen, was beim Publikum ausgesprochen gut ankam. Als Vermarktungsprofi verteilte er zudem Gratis-Exemplare seiner Zeitschrift "Wiener Küche" - neue Abonnements waren ihm dadurch gewiss.

Die Zeit des Ersten Weltkriegs, die ihm psychisch schwer zu schaffen gemacht hatte, dürfte Ruhm auch im Hinblick auf seine Profession stark geprägt haben. Zu seinen größten Verdiensten zählte es nämlich, praktikable Lösungen für die Probleme der täglichen Ernährung und Kocharbeit unter ungünstigen Rahmenbedingungen zu finden. Sein Leben war wie das seines Publikums reich an schwierigen Zeiten: Nach dem Krieg folgten die Nachkriegshungerjahre, dann nach einem kurzen Aufschwung bald die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg und danach erneut Hungerjahre und Versorgungsengpässe.

Damit ist ein wesentlicher Unterschied zu Jamie Oliver angesprochen: Dieser kam in einer Zeit des Überflusses zum Erfolg; Franz Ruhms Karriere verlief hingegen über weite Strecken in Zeiten der Not und des Mangels, auch wenn er von seinen letzten öffentlichen Auftritten her eher als Repräsentant des österreichischen Wirtschaftswunders in Erinnerung geblieben ist und diesem den kulinarischen Schliff verpasst hatte.

© Archiv Susanne Breuss

Ruhm bewegte sich stets am Puls der Zeit und seine Küchentipps reagierten immer auf aktuelle Gegebenheiten, seien es welthistorische oder durch das saisonale Marktangebot und den Brauchtumskalender vorgegebene. Gleichzeitig vermittelte er aber auch Vertrautes und Stabilität, wenn er sich darum bemühte, die Traditionen der Wiener Küche am Leben zu erhalten. Im Notfall passte er sie eben auch an widrigste Zeitumstände an oder vermittelte zumindest die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Dieses Geschick bewies er besonders im Zweiten Weltkrieg und in den darauffolgenden Hungerjahren, als er die krisengeschüttelte Hausfrau mit Hinweisen zur Verwertung von Ersatzlebensmitteln, selbst gesammelten Wildpflanzen oder wurmbefallenen Lebensmittelspenden versorgte.

Franz Ruhm wurde zum guten Geist der Hausfrau, der sie stets freundlich und kompetent durch den Küchenalltag begleitete, auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich waren. Er wusste Rat, wenn die kulinarischen Ansprüche des Hausherrn nicht mit den amtlicherseits ausgegebenen Lebensmittelbezugsscheinen oder dem Haushaltsbudget kompatibel waren, wenn eine gefräßige Kinderschar auf eine schlecht gefüllte Vorratskammer traf oder völlig unbekannte Surrogate verarbeitet werden mussten.

Natürlich kann man kritisieren, dass er mit dazu beitrug, die enorme Last prekärer Ernährungsverhältnisse auf die individuelle Frau abzuwälzen, denn er setzte genau dort an, wo die Frau den ihr zugewiesenen gesellschaftlichen Platz hatte. Eine Revolution der Geschlechterverhältnisse oder eine grundsätzliche Neuorganisation der häuslichen Reproduktionsarbeit lag jedoch weder in seiner Absicht noch in seiner Macht, womit er dem typischen Rollenbild der Männer seiner Generation entsprach. Seine praktischen Ratschläge bildeten allerdings nicht nur sein Geschäftsmodell und die ökonomische Basis seiner eigenen Familie, sie halfen den Hausfrauen offenbar tatsächlich, schwierige Zeiten besser zu bewältigen, anders wäre sein großer Erfolg kaum erklärbar.

Geschlechterrollen

© Orac

Zum Aufbruch aus diesen Geschlechterverhältnissen, die in den diesbezüglich sehr restaurativen ersten Nachkriegsjahrzehnten erneut einzementiert worden waren, kam es erst nach Franz Ruhms Tod, gegen Ende der 1960er Jahre. Wie der langjährige Liebling der Hausfrauen auf die lautstarke Kritik der neuen Frauenbewegung am Modell Hausfrau wohl reagiert hätte? Zum glühenden Feministen hätte er sich sicher nicht entwickelt, auf neue alltagspraktische Erfordernisse aber vermutlich ebenso rasch und kompetent reagiert, wie man das von ihm gewöhnt war.

Und die Frauen selbst? Wären sie ihm als Fans in ähnlich großer Zahl treu geblieben? Vermutlich nicht in diesem Ausmaß, denn die weiblichen Lebensentwürfe wurden vielfältiger und das Idealbild vom Kochlöffel schwingenden Heimchen am Herd wirkte zunehmend verstaubt und einseitig. Dass dennoch weiter nach seinen Rezepten gekocht wurde und seine weitervererbten Schriften bis heute in Ehren gehalten werden, steht dazu nicht zwingend im Widerspruch. Der Gebrauchswert von Franz Ruhms Publikationen erwies sich freilich als langlebiger als das Frauenbild seiner Zeit.

Susanne Breuss, geboren 1963, ist Kulturwissenschafterin und Kuratorin im Wien Museum.