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Der Preis der Artenverschiebung

Von Cathren Landsgesell

Wissen

Dass wir Pflanzen und Tiere um den Globus verschleppen, kostet derzeit 139 Milliarden Euro. Der Verlust an Artenvielfalt wiegt noch schwerer.


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Manche kommen aufgrund des Klimawandels und folgen den wärmeren Temperaturen; manche kommen per Schiff und Flugzeug mit den Konsumgütern; manche sind selbst Konsumgut und erobern neue Gefilde ausgehend von Gärten und Parkanlagen: Die Zahl der Arten von Neobiota, Pflanzen, Pilze und Tiere, die durch den Menschen verschleppt werden und sich dort ansiedeln (müssen), wo sie eigentlich nicht heimisch sind, nimmt stetig zu.

Neobiota sind direkte Folgen des Klimawandels und der Globalisierung. Der weltweiten Verschiebung der Arten und Lebensräume hat die Corona-Krise keinen Abbruch getan. Dabei wird jetzt klar, dass diese Ausprägung des Anthropozäns, des Erdzeitalters des Menschen, diesen auch Geld kostet: Ein Forscherteam aus Frankreich ist auf eine Summe von 138,6 Milliarden Euro gekommen. Dieser Betrag bezieht sich auf 2017 und verdreifacht sich laut dieser Studie alle zehn Jahre. In sechs Jahren sind es demnach 415,7 Milliarden Euro, vierzig Milliarden Euro mehr als das gesamte BIP Österreichs 2020.

Die große Gleichmacherei

Nicht jede Art, die in einen anderen Lebensraum verschleppt wird, ist auch "invasiv". Von invasiven Arten spricht man dann, wenn durch die neuen Tiere oder Pflanzen Lebensräume in ihrem Gleichgewicht massiv gestört werden, andere Arten verdrängt werden oder neue Krankheiten entstehen. Die Unterscheidung ist graduell, jedes Lebewesen beeinflusst seinen neuen oder alten Lebensraum. Das Nutria etwa ist seit Jahrzehnten in Europa und wurde 2015 als invasive Art klassifiziert, weil man nun feststellte, dass Uferbefestigungen bedroht sind. Manche der Probleme werden erst sichtbar, wenn es zu spät ist. Besonders auffällig ist das dann, wenn neue Pathogene verbreitet werden: Etwa im Fall der kürzlich auch aus Pakistan in Afrika aufgetauchten Mückenart, die den Malaria-Erreger nun noch besser verbreiten kann, oder im Fall der Mücken, die das Zika-Virus tragen, oder des Pilzes, der das "White Nose Syndrom" bei Fledermäusen auslöst und - ursprünglich in Europa beheimatet und dort harmlos - derzeit ganze Fledermauspopulationen in Amerika dahinrafft. Die exorbitanten Kosten entstehen, weil die Folgen der Neobiota irgendwie im Zaum gehalten oder repariert werden müssen.

Österreich ist, was Neobiota betrifft, im globalen Vergleich bisher eine Insel der Seligen gewesen, weil es inmitten einer großen Landmasse liegt. "Andere Regionen der Erde sind wesentlich stärker betroffen", sagt Franz Essl. Er ist Ökologe an der Universität Wien und Mitglied des österreichischen Biodiversitätsrates. Jedoch: Neobiota stellen in Österreich mit seinen unterschiedlichen klimatischen Zonen eine besondere Bedrohung für die Artenvielfalt dar. "In den letzten Jahrzehnten gab es eine ganz starke Beschleunigung", sagt Essl. "Etwa die Hälfte aller bei uns vorkommenden Neobiota-Arten sind erst seit dem Zweiten Weltkrieg hierhergekommen. Auch die invasiven Arten werden mehr."

Essl hat mit einer Forschungsgruppe erhoben, dass die Zahl der eingeschleppten neuen Pflanzenarten hierzulande in den letzten zwanzig Jahren um rund vierzig Prozent zugenommen hat. Waren es damals rund 1.100 Neophyten, so sind es jetzt bereits 1.600. "Bei den Tieren wird das ähnlich sein", so Essl. Das Problem: Geht es in dem Tempo weiter, wird die Artenvielfalt bald nicht mehr da sein. Es bleiben nur die Arten übrig, die gut mit dem Menschen klarkommen und auch mit den neuen Klimabedingungen. Kurzfristig nimmt die Artenvielfalt lokal vielleicht sogar zu, auf längere Sicht bedeuten Neobiota eine große Gleichmacherei auf dem gesamten Planeten: "Die Arten, die zurückgehen, sind meist die endemischen und seltenen. Arten, die es nur an einem Ort gibt, die Arten, die neu dazukommen, sind häufig überall dieselben. Was man bei uns findet, findet man auch in Nordamerika, in Ostasien oder in Neuseeland." Ein Anteil von zwanzig bis dreißig Prozent neobiotischer Arten sei laut einer anderen Studie um Essl gerade noch verkraftbar. Österreich liegt bereits deutlich darüber.