Donald Trump hat eine Schlacht um die Abschaffung von Obamacare gewonnen. Ein teuer erkaufter politischer Sieg.
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Washington D.C. "Durch Kriege lernen die Amerikaner Geografie und durch Trump, wie Demokratie funktioniert": So lautet ein neues, seit der Wahl des New Yorker Ex-Reality-TV-Stars zum Präsidenten nicht ganz aus der Luft gegriffenes Sprichwort, das man dieser Tage oft zu hören bekommt in den USA.
Entsprechend gut stehen die Chancen, dass sich in den kommenden Wochen das Gesicht einer Frau in den Nachrichten wieder finden wird, deren Arbeit bisher ausschließlich im Hintergrund stattfand - und die sich jetzt trotzdem, oder gerade deswegen, mit einem Schlag im Mittelpunkt der politischen Grabenkämpfe Washingtons wiederfindet. Selbst in der Bundeshauptstadt war und ist der Name Elizabeth MacDonough bisher nur einer Minderheit geläufig: Politikern, die Gesetzesvorlagen nicht nur am Grad ihrer Vermarktbarkeit messen, einer überschaubaren Anzahl von Journalisten sowie jener Art von Menschen, die Dinge wie parlamentarische Regelwerke sexy finden und zum Einschlafen Geschäftsordnungsparagrafen lesen.
Die 50-jährige Juristin füllt im hundert Köpfe umfassenden US-Senat seit 2012 die Rolle des sogenannten "Parliamentarian" aus. Eine in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene, aber, wie sich im Lichte der am Donnerstag erfolgten Abstimmung über die Aufhebung von Obamacare im Repräsentantenhaus erweist, kaum zu unterschätzende Rolle.
Der Parliamentarian - der vom Führer der jeweiligen Mehrheit nominiert wird, aber trotzdem keine politische Rolle, sondern die eines unparteiischen Schiedsrichters inne hat -, wacht im Senat über die Spielregeln. Eine von MacDonoughs Aufgaben besteht darin, darüber zu entscheiden, welche aus dem Unterhaus kommenden Gesetzesvorlagen überhaupt zur Abstimmung im Senat freigegeben werden, weil sie nicht diverse Regeln verletzen. Eine davon kommt im Zusammenhang mit der geplanten Abschaffung von Obamacare durch Trump und seine Republikaner jetzt eine Schlüsselrolle zu.
Die sogenannte Byrd Rule, benannt nach ihrem Erfinder, dem Ex-Senator von West Virginia Robert Byrd, besagt im Groben, dass im Senat kein Gesetz mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann, dessen Folgen das Bundesbudget über einen Zeitraum von zehn Jahren hinaus signifikant belasten.
Juristische Winkelzüge
Die Regel, wiewohl relativ neu (sie wurde in den Siebzigerjahren erdacht und in den Achtzigern formal implementiert), bildet einen Teil des heutigen Checks-and-Balances-Systems der US-Demokratie. Einfach formuliert garantiert sie, dass eine parlamentarische Mehrheit allein nicht genügt, um alles zu beschließen, was einem gerade einfällt.
Was das konkret für den Senat bedeutet - in dem es für jeden Gesetzesvorschlag die Zustimmung von 60 der 100 Senatoren braucht, um daraus ein Gesetz werden zu lassen, das seinen Weg auf den Schreibtisch des Präsidenten findet - stellt sich so dar: Einer Mehrheit von derzeit 52 Republikanern steht eine Minderheit von 48 Demokraten gegenüber. Der einzige Weg, ein Gesetz mit einfacher Mehrheit durchzuboxen, besteht im Bemühen des sogenannten "Reconciliation"-Prozesses ("Schlichtung"). Ein insofern irreführender Titel, weil es dabei eben nicht ums Schlichten geht, sondern um einen juristischen Winkelzug, der es der Mehrheitsfraktion erlaubt, ihren Willen durchzusetzen - der aber wiederum nur dann Wirkung erlangen kann, wenn seine Inhalte nicht gegen die Byrd Rule verstoßen. Nämliches zu beurteilen liegt an Elizabeth MacDonough.
Urteilt sie, dass Teile des jetzt vom Repräsentantenhaus übermittelten Gesetzes zur Abschaffung von Obamacare der Regel widersprechen, muss der Senat, namentlich der republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell, das Gesetz solange überarbeiten, bis MacDonough ihr Okay gibt. Dann muss er eine Mehrheit in seiner eigenen Fraktion dafür finden - was angesichts von notorischen Querköpfen vom Schlage eines Ted Cruz (Texas) oder Rand Paul (Kentucky) leichter klingt als es ist. Und selbst wenn es McConnell schafft, eine Mehrheit für ein mit den Senatsregeln konform gehendes Gesetz zu finden, muss das erst recht wieder im Repräsentantenhaus abgesegnet werden. Kompliziert, aber so ist das halt mit der Demokratie im Allgemeinen und der amerikanischen im Besonderen.
Dass dieses etwaige neue Gesetz aus dem Senat angesichts der innerparteilichen Kämpfe im Unterhaus Erfolg hat, ist nicht unmöglich, aber nur schwer vorstellbar. Die Abstimmung über den American Health Care Act, der Obamas Affordable Care Act ersetzen soll, war ebendort zur Farce geraten. Nicht nur, dass zahlreiche Konservative sich, wie sie freimütig zugaben, gar nicht erst die Mühe gemacht hatten, den Gesetzestext zu lesen. Entgegen allen Gepflogenheiten hatte ihr Sprecher Paul Ryan zu einem Zeitpunkt abstimmen lassen, als noch niemand eine Ahnung davon hatte, wie sich das Gesetz fiskalisch und auf den Versicherungsstatus von Millionen Menschen auswirken würde. Auf die Expertise des unabhängigen Congressional Budget Office (CBO), das die Prognosen für die Kosten und Folgen von neuen Gesetzen erstellt, wurde nicht gewartet - zweifellos, weil diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernichtend ausfallen würden.
"Nananana, good bye"
Für den ursprünglichen (im März gescheiterten) Gesetzesvorschlag der Republikaner hatte das CBO eine Explosion des Budgetdefizits sowie 24 Millionen Unversicherte bis zum Jahr 2026 prophezeiht. Nachdem sich der neue Anlauf nur in Nuancen vom alten unterscheidet, dürfte sich an diesen Zahlen kaum etwas geändert haben. Entsprechend fiel die Antwort der Demokraten im Repräsentantenhaus aus. In dem Moment, in dem das Ergebnis bekannt wurde - denkbar knapp, am Ende stand es 217-214 - brachen sie in Gesang aus: "Nananana, Nananana, Hey, hey, hey, good bye". Die Botschaft: Jeder Republikaner sollte sich auf ein Leben außerhalb von Washington D.C. vorbereiten, weil er mit seiner Stimme gegen Obamacare politischen Selbstmord begangen hat.