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Der Preis der Strafe

Von Martyna Czarnowska

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Die EU verlängert die Sanktionen gegen Russland - doch selbst in Ländern, die dafür sind, gibt es Gegenstimmen.


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Wenn Nils Usakovs aus dem Fenster seines Büros blickt, sieht er bis ans andere Ufer der Daugava, die träge durch Riga fließt. Der Bürgermeister der Hauptstadt Lettlands, dessen Räumlichkeiten in einem schmucken Palast untergebracht sind, hat es vom Rathausplatz auch zu anderen Sehenswürdigkeiten der alten Handelsmetropole nicht weit. Die mit Kopfstein gepflasterten mittelalterlichen Gässchen, die unter anderem von Deutschen gebauten Kirchen, die Jugendstil-Fassaden - all das lockt zahlreiche Gäste in die Stadt. Doch eine Gruppe von Touristen kommt in deutlich geringerer Zahl: Russen. Machten sie früher fast ein Drittel der Reisenden aus, sei es mittlerweile nicht einmal mehr ein Fünftel, klagte Usakovs schon vor Monaten. Die Sanktionen, die die Europäische Union wegen des Konflikts um die Ukraine gegen den Kreml verhängt hat, haben auch Auswirkungen auf Riga.

Dem Bürgermeister, der aus der russisch-sprachigen Minderheit des Landes stammt und die von dieser dominierte Partei "Harmoniezentrum" leitet, machen aber nicht nur die Entwicklungen im Tourismus Sorgen. "Wir zahlen einen hohen Preis für die Sanktionen", meint Usakovs. Immerhin war der Handel stark auf das Nachbarland ausgerichtet; der Hafen, in dem rund 20.000 Menschen beschäftigt sind, ist nicht zuletzt davon abhängig.

Daher sieht der Stadtchef die Strafmaßnahmen gegen Russland weit kritischer als die lettische Regierung, die gemeinsam mit den Kollegen aus anderen baltischen Staaten und Polen von Anfang an ein schärferes Vorgehen gegen Moskau gefordert hat, als es die meisten westeuropäischen EU-Hauptstädte wünschten. Usakovs ist keine Ausnahme: In der unterschiedlichen Bewertung der Sanktionen wie auch des Ukraine-Konflikts zeigen sich die Risse in Lettlands Gesellschaft deutlich.

In dem baltischen Staat gibt es - wie in Estland - eine große russische Minderheit, die ihre Rechte nicht entsprechend abgesichert sieht. An die 200.000 Menschen, fast jeder zehnte Einwohner, haben nicht einmal einen lettischen Pass, weil sie nach der Erklärung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion den dafür erforderlichen Test nicht machten oder machen konnten. Auch auf politischer - zumindest auf nationaler - Ebene gibt es Hürden: Usakovs ist zwar als Bürgermeister wiedergewählt worden, doch sein "Harmoniezentrum" wird von Ämtern in der Regierung des Landes ferngehalten, obwohl es aus Parlamentswahlen schon einmal als stimmenstärkste Partei hervorging.

So gibt es auch Trennlinien in der Einschätzung der Bedrohung durch Russland und der Sanktionen. Das macht eine aktuelle Untersuchung der deutschen Bertelsmann Stiftung und der in Warschau ansässigen Denkfabrik ISP (Institut für öffentliche Angelegenheiten) deutlich. Die Frage, ob sie Russland als militärische Gefahr für ihr Land sehen, bejahen fast 70 Prozent der lettisch-sprachigen Einwohner - aber nur fünf Prozent der russisch-sprachigen. In Estland ist das Verhältnis ähnlich. Die Strafmaßnahmen gegen den Kreml wiederum will fast die Hälfte der Letten sogar noch verschärft sehen - während 84 Prozent der russischen Letten sie gern gelockert hätte. Die EU wird die Sanktionen gegen Russland dennoch um sechs Monate verlängern.