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Das zweite Jahr seiner Amtszeit wird allem Ermessen nach zum entscheidenden für US-Präsident Trump.
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Der Mensch an sich mag von Natur aus ein Gewohnheitstier sein; aber sich an einen US-Präsidenten Donald Trump zu gewöhnen, so viel steht am Ende seines ersten Jahres im Weißen Haus fest, gebietet in puncto Anpassungsfähigkeit einen Kraftakt, der die Mehrheit der US-Bürger schlicht und einfach überfordert. Sämtliche aussagekräftigen Studien, die sich der Auswirkungen der Präsidentschaft des 70-jährigen Ex-Reality-TV-Stars auf die nationale Psyche annehmen, kommen zum gleichen, eindeutigen Ergebnis. Nach einem Jahr Präsident Trump ist das US-Stresslevel so hoch wie nie zuvor, und das bei weitem nicht nur unter von der Deportation bedrohten illegalen Einwanderern.
Jüngsten Erhebungen der American Psychological Association (mit rund 118.000 Mitgliedern ist sie die mit Abstand größte und wichtigste Standesorganisation professioneller US-Seelenklempner) zufolge stellt die aktuelle politische Situation für 57 Prozent der US-Einwohner einen "signifikanten Stressfaktor" dar. Diese Zahl stellt den höchsten Wert seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2007 dar. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Ergebnisses gab die Organisation eine offizielle Empfehlung ab, wie Leute, denen die täglichen verbalen und politischen Entgleisungen des New Yorker Immobilienmagnaten zu sehr zusetzt, ihre Lebensqualität aufrechterhalten respektive verbessern könnten.
Das Rezept der Psychologen könnte sich simpler kaum darstellen: So gut es geht alles ausblenden, was in Washington passiert, jegliche Form von politischen Nachrichten bewusst nur in homöopathischen Dosen konsumieren - und selbst das nur dann, wenn es einem wirklich unbedingt notwendig erscheint. Der Umstand, dass es mit dem Fortschritt der Zeit offenbar immer mehr Menschen gelingt, diesem Rat zu folgen, ändert freilich nichts an der normativen Kraft des real existierenden Trumpismus, der ungeachtet jeder objektiven Wirklichkeit täglich neue alternative Fakten schafft.
2018 könnte als das erste Jahr in die US-Geschichte eingehen, in dem diesem an der Wahlurne erstmals in signifikantem Umfang Einhalt geboten wird (Stichwort Midterms) - aber Garantie gibt es dafür längst keine. Und selbst wenn es die Demokraten wider Erwarten schaffen sollten, eine der beiden Kongresskammern zurückzuerobern, ist der im Jahr eins des Donald Trump entstandene Schaden für die USA im In- und Ausland bereits jetzt in vieler Hinsicht irreparabel.
Rechtsstaat von innen unter systematischem Beschuss
Auch wenn sich das Gros der professionellen politischen und publizistischen Klasse des Landes immer noch schwer mit diesem Eingeständnis tut: Der Rechtsstaat steht in den USA heute unter systematischem Beschuss von innen, und da und dort ist er bereits außer Kraft gesetzt. Wenn ein Verbrecher und amtlich verbürgter Folterknecht wie Ex-Sheriff Joe Arpaio vom Präsidenten höchstselbst eine Garantie auf eine Begnadigung bekommt, noch bevor das Urteil über seine Untaten Rechtskraft erlangt hat, hat das eine Qualität, die nicht einmal von den übelsten Bananenrepubliken dieser Welt unterboten wird.
Von einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, zirkulieren mittlerweile in gut zwei Dutzend Bundesstaaten Gesetzesvorschläge von - ausnahmslos republikanischen - Abgeordneten, die darauf abzielen, das Demonstrationsrecht stark einzuschränken beziehungsweise de facto abzuschaffen (konkret mittels hoher Geld- und langjährigen Haftstrafen für "Landfriedensbruch"; im Fall ihrer Umsetzung umfassen diese Gesetze auch den virtuellen Raum).
Währenddessen gibt es jede Woche neue Berichte über den Land-Sheriff hier und den Kleinstadt-Polizeichef da, die gezielt Jagd auf Trump-Gegner machen: Im seit Jahrzehnten von den Republikanern dominierten Süden des Landes und in vielen Ortschaften des Mittleren Westens genügt mitunter ein falsches Wort, ein Facebook-Kommentar oder ein Anti-Trump-Aufkleber auf dem Auto, um ins Visier der uniformierten Autoritäten zu geraten. Dass sich des Donalds willigste Vollstrecker vor allem in der Polizei, den Immigrations- und den Grenzbehörden finden, ist alles andere als Zufall. Ihre Gewerkschaften hatten nahezu geschlossen und teilweise enthusiastisch zu Trumps Wahl aufgerufen. Seit seinem Amtsantritt genießen sie die neue Freiheit und nutzen sie aus. Das alles, während sich zeitgleich professionelle rechtsradikale Agitatoren lautstark über angebliche Einschränkungen der Redefreiheit beschweren, weil manche Institutionen - vorwiegend Universitäten - schlicht nicht die enormen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen wollen, die es zur Gewähr ihrer körperlichen Unversehrtheit braucht.
Dutzende Polit- und Korruptionsskandale
Von den mittlerweile dutzenden kleinen und großen Polit- und Korruptionsskandalen ganz zu schweigen, in die aktuelle und Ex-Mitglieder der Trump-Administration und seines Wahlkampfteams verwickelt sind; die andauernden, von Ex-FBI-Chef Robert Mueller betriebenen Russland-Ermittlungen stellen in diesem Zusammenhang nur die Spitze des Eisbergs dar. Garniert wird die Ein-Jahres-Bilanz des Kabinetts Trump I von einer Steuerreform, die der größten Umverteilung von unten nach oben gleichkommt, die die modernen USA je gesehen haben. Während Konzernen, Milliardären und der Mehrheit der Besserverdienenden das Geld buchstäblich nachgeschmissen wird, zahlt der Rest dessen, was in den USA noch von der traditionellen Mittelschicht übrig ist - das Jahreseinkommen einer US-Familie mit zwei Kindern liegt im Schnitt bei 50.000 Dollar (42.000 Euro) -, genauso drauf wie der Staatshaushalt.
"Ohne Steuerreform wird es die Partei zersplittern"
Auch wenn die einen oder anderen Details noch einer Modifizierung harren, ist der Einschnitt derart massiv, dass manche republikanische Abgeordnete sich bei der Verteidigung ihres Plans nicht mehr anders zu helfen wissen als mit der Wahrheit über ihre Motive. "Meine Geldgeber sagen mir: Bringt die Steuerreform durch den Kongress, oder ruf mich nie wieder an", gab der New Yorker Abgeordnete Chris Collins, selbst Multimillionär, kurz vor Weihnachten zu Protokoll. Noch deutlicher wurde Lindsey Graham, Senator von South Carolina, der sich rhetorisch regelmäßig als Trump-Gegner inszeniert: "Ohne diese Steuerreform wird es die Republikanische Partei zersplittern. Niemand wird uns mehr Geld geben." Soweit der Status quo 2017.
Konkret und politisch nüchtern betrachtet stellt sich die Ausgangslage für 2018 folgendermaßen dar: Die erste wirklich aussagekräftige Bilanz von Trumps Präsidentschaft steht Anfang Herbst an. Am 6. November werden alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses und 33 des insgesamt 100 zählenden Senats vergeben. Am selben Tag wählen 36 Bundesstaaten und drei sogenannte Territorien (Guam, US Virgin Islands, Northern Mariana Islands) ihre Regionalparlamente und Gouverneure neu.
Auch wenn alle diesbezüglichen Umfrageergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt Kaffeesudleserei sind, deuten frühe Indikatoren schon jetzt auf Zugewinne der Demokraten hin. Bisher haben 23, großteils langjährige Abgeordnete der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus angekündigt, bei diesen "Midterm Elections" nicht mehr anzutreten. Auf der Gegenseite finden sich mit Stand Jahresende 2017 nur elf Demokraten, die auf eine neuerliche Kandidatur verzichten wollen. Um die derzeit 240 Sitze zählende konservative Mehrheit im Unterhaus zu brechen, müssten die Demokraten, die derzeit 194 Abgeordnete stellen, auf mindestens 218 kommen.
Schmutzige Tricks der Republikaner
Kein unrealistisches Szenario - wären da nicht die extrem schmutzigen Tricks, derer sich die Republikaner seit mittlerweile einem Jahrzehnt so offen wie folgenlos systematisch bedienen, um sich an der Macht zu halten beziehungsweise diese auszubauen. Nicht, dass die Folgen des unmittelbar nach Barack Obamas Wahlsieg im Jahr 2008 von der konservativen Parteiführung ins Leben gerufenen und im Anschluss generalstabmäßig umgesetzten Projekts "RedMap" nicht schon früher Anlass zur Besorgnis gegeben hätten; aber in ihrer vollumfassenden Gefahr für die Demokratie offensichtlich werden sie erst seit der Wahl Trumps.
"Die Leute nennen das, was wir tun, eine ,gewaltige rechte Verschwörung‘. In Wirklichkeit waren das, was wir bis jetzt gemacht haben, nur halbe Sachen. Es ist Zeit, ernst zu machen." Dieser Satz stammt von niemand Geringerem als dem Politikberater Karl Rove, der jahrzehntelang in verschiedenen Funktionen in seiner politischen Heimat Texas und im Weißen Haus unter dem Spitznamen "Prince of Darkness" die buchstäbliche Drecksarbeit für die Mitglieder des Bush-Clans erledigt hat.
Mehrfach bestätigt und aufgeschrieben hat ihn der Autor und Journalist David Daley in seinem 2016 erschienenen und mittlerweile in den Rang des Standardwerks erhobenen Buchs "Ratf**ked: The True Story Behind the Secret Plan to Steal America’s Democracy" (Verlag Liveright). Dessen Sukkus, verkürzt formuliert: Nach der Wahl Obamas und dem Verlust der Mehrheiten in beiden Kongresskammern wandten sich Rove und Konsorten umgehend den letzten Bastionen zu, in denen die Konservativen noch das Sagen beziehungsweise Chancen auf Mehrheiten hatten - den Parlamenten der Bundesstaaten. Das föderale System der USA räumt diesen Gesetzgebungskörpern weitreichende Kompetenzen ein. In puncto Wahlen die wichtigste: die Macht, nach jeder Volkszählung (die in den USA alle zehn Jahre erfolgt, die nächste findet 2020 statt) die Wahlkreise neu zeichnen zu können. Unter dem Projekttitel "RedMap" wurde der Plan, die Bezirke so lange umzuzeichnen, bis sichere republikanische Mehrheit entstanden, in einer selbst für US-Verhältnisse bis dahin ungekannten Brutalität durchgezogen.
Fast keine Wahlbezirke mit Chancen für beide Parteien
Ergebnis dieses Prozesses, dieses "Gerrymandering": Kein Jahrzehnt nach Roves Sager tendiert die Zahl der "Competitive Seats", also jener Wahlbezirke, in denen die Kandidaten beider Parteien Siegchancen haben, zunehmend gegen null. Wie Daley - und längst auch jeder nur halbwegs ernstzunehmende US-Politikwissenschafter - in "Ratf**ked" faktisch unwiderlegbar nachweist, ist das Ausmaß, in dem das Projekt "RedMap" mittlerweile die US-Demokratie unterhöhlt hat, schier unfassbar.
Gepaart mit der Macht der rechten Medien-Propagandamaschinerie (Fox News, Breitbart, Drudge Report, Daily Caller und andere) sowie einer Litanei von Gesetzen, die einzig und allein darauf abzielen, die traditionell eher den Demokraten zuneigenden ethnischen Minderheiten davon abzuhalten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, kristallisiert sich so das Bild einer Partei heraus, die sich mittlerweile auch von den grundlegendsten aller demokratischen Spielregeln verabschiedet hat. Eingedenk dieser Entwicklung erscheint der Möchtegern-Diktator Trump weniger als der Betriebsunfall, als den ihn viele alteingesessene Konservative noch immer gern hinstellen, denn vielmehr als die logische Konsequenz daraus. Tatsächlich ist die "Grand Old Party" nach allen herkömmlichen Maßstäben heute eine Partei des demokratisch semi-legitimierten Autoritarismus, mit dezidiert faschistischen Elementen.
Dazu ein Detail am Rande: Als prominentester Kritiker des "Gerrymandering" gilt heute Arnold Schwarzenegger, Ex-Gouverneur von Kalifornien und lebenslanger Republikaner. Im Gegensatz zu seinen Parteifreunden ließ er während seiner Amtszeit seinen Worten - "Es muss endlich Schluss damit sein, dass sich die Politiker ihre Wähler aussuchen und nicht die Wähler die Politiker" - auch Taten folgen. Seine Partei zahlt bis heute einen hohen Preis für eine entsprechende Reform: Im Abgeordnetenhaus in Sacramento haben die Demokraten heute eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die gar noch ausbaufähig scheint.
Um zu überleben, müssen die Republikaner betrügen
Das kalifornische Szenario, wenn auch ein extremes Beispiel, offenbart das ganze bundesweite Dilemma der Republikaner: Wenn sie politisch mittel- und langfristig überleben wollen, bleibt ihnen angesichts der sich verschiebenden Demografien schlicht nichts anderes übrig, als - man kann es nicht anders sagen - zu betrügen.
Wenn es um die Senatswahlen geht, bei denen die gesamte Bevölkerung eines Bundesstaats wahlberechtigt ist, sind Manipulationen indes nicht so leicht möglich. Aber auch um die Mehrheit im Oberhaus zu erobern, wo es aktuell für die Republikaner 52 zu 48 steht (weil sich die formal unabhängige Senatoren Bernie Sanders aus Vermont und Angus King aus Maine zwar nicht als Demokraten, aber als Teil ihrer Fraktion begreifen), muss mancherorts nicht weniger als ein kleines Wunder geschehen, damit sich etwas bewegt.
In Bundesstaaten wie West Virginia muss der demokratische Amtsinhaber Joe Manchin dieselben Wähler von sich überzeugen, die im November 2016 zu sage und schreibe 68 Prozent für Trump stimmten. In der Mehrheit der rund ein Dutzend als "kompetitiv" eingestuften Bundesstaaten, darunter deklarierte Trump-Hochburgen wie Indiana, Montana und Missouri, die über die künftigen Mehrheitsverhältnisse entscheiden, finden sich die Demokraten 2018 in der Defensive - sie müssen bestehende Sitze verteidigen, während die Konservativen auf Angriff gehen können.
Das Wahlsystem entspricht nicht dem Wählerwillen
Ob der täglichen, ja mittlerweile stündlichen Aufgeregtheiten - dank Trumps nervösem Zeigefinger, der ihm offenbar eine Mindestzahl an Tweets vorschreibt -, drohen indes die fundamentalen Fragen, die sich die Verfechter des US-Demokratiemodells heute stellen müssen, einmal mehr komplett unterzugehen.
Das "Electoral College"-System, zu einer Zeit entworfen, als manche Amerikaner ihren Zorn auf die Welt noch nicht mit halbautomatischen Maschinengewehren, sondern mit Musketen austrugen, verschleiert nicht erst seit gestern den realen politischen Willen der Mehrheit. Konkret stellt sich die Problematik so dar: Weil das System unter anderem vorschreibt, dass im Senat jedem der 50 Bundesstaaten das gleiche Gewicht zukommt, sprich, der Anspruch auf eine politische Repräsentation durch je zwei Senatoren, steht einer wie Wyoming mit seinen nicht einmal 600.000 Einwohnern und einer Wirtschaftsleistung, die jener des Jemen entspricht, politisch auf einer Stufe mit Kalifornien, der für sich allein genommen sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt mit 40 Millionen Menschen.
Nachdem der Oberste Gerichtshof dank Trump mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für Generationen in erzkonservativer Hand bleiben wird (der von ihm nach seiner Wahl bestellte Hardliner Neil Gorsuch ist gerade einmal 50 Jahre alt), besteht keinerlei Hoffnung, dass an dieser Diskrepanz zwischen demokratischem Anspruch und realpolitischer Wirklichkeit auch nur ansatzweise gekratzt wird.
Für die US-Demokratie besteht deshalb die größte Gefahr darin, dass ihre Fürsprecher das Jahr 2018 auf die eine oder andere Weise - und besonders im Fall eines Wahlerfolgs für die Demokraten bei den "Midterms" - als Beginn zur Rückkehr zur Normalität interpretieren; als angeblichen Beweis, dass die alten "Checks and Balances" funktionieren und die Wähler sich nur bis zu einem gewissen Grad für dumm verkaufen lassen. Vielleicht ist das wirklich die größte Gefahr: ein voreiliges Zurück zur Tagesordnung, bevor alles, was zu Trump geführt hat, ausreichend identifiziert und aufgearbeitet ist. Dann stünde auch einer zweiten Amtszeit nichts im Weg - wenn nicht für ihn, dann für seinen Nachfolger.