In aller Stille wurde ein neuer "Presserat" aus der Taufe gehoben. Das ist wichtig. Aber dem ORF könnte er auch nicht helfen.
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Am Freitag hat sich der "Österreichische Presserat" konstituiert. Eine Sensationsmeldung ist das nicht, aber alle, die an seriöser und glaubwürdiger Berichterstattung interessiert sind, können aufatmen. Es wird eine Lücke in der "journalistischen Selbstkontrolle" geschlossen, die seit dem Untergang des alten Presserates im Dezember 2001 klaffte. Von damals bis heute gab es ein medienethisches Interregnum.
Der Presserat hätte in den mehr als acht Jahren viel zu tun gehabt, um Verfehlungen zu rügen, die im Eifer der Aktualität, aus Konkurrenzneid, Quotensucht oder bloß aus Gedankenlosigkeit passiert sind. Die medialen Mega-Ereignisse um das einstige Entführungsopfer Natascha Kampusch und den Inzestskandal des Herrn Josef F. aus Amstetten bildeten die Spitzen des Eisbergs.
Die zu erhoffende Selbstkontrolle erstreckt sich auf ein großes Feld. Um nur eine aktuelle Episode zu erwähnen: Wenn ein Polizist nach der Festnahme des sogenannten "Ketten-Phantoms" dessen Foto groß und stolz in die Fernsehkamera hält, wie das vergangene Woche der Fall war - ist das ein Freibrief für gedruckte Medien, das Bild eines noch nicht einmal Angeklagten zu verbreiten?
Aufmerksame Leser werden gemerkt haben, dass selbst die "Kronen Zeitung" dem Porträtfoto eine schwarze Binde um die Augen legte, um die Identifizierung zu erschweren. In solchen Fällen soll der Presserat Grenzen selbst dann anzeigen, wenn dieselben verschwimmen.
Der Presserat ist aber weder allmächtig noch omnipräsent. Für die eskalierenden Auseinandersetzungen um die Skinheads-Reportage der ORF-Sendung "Am Schauplatz" wäre er gar nicht zuständig, weil der ORF als gesetzlich fundierte Rundfunk- und Fernsehanstalt öffentlichen Rechts genügend anderen Qualitätsregeln folgt - viele davon stehen im ORF-Gesetz. Aber auch dieses reicht natürlich nicht als Schlagwortkatalog für jeden Einzelfall aus, und andere Mechanismen wie Stiftungsrat oder Publikumsrat sind in der Skinhead-Affäre noch gar nicht tätig geworden. Stattdessen gab gewissermaßen eine wilde Diskussion in einem einseitig besetzten "Club 2" die Richtung vor. Die Causa droht, sich zu einem prinzipiellen Gefecht um staatliche Macht und Pressefreiheit zuzuspitzen.
Dabei wäre aus dem Stimmengewirr besagter "Club 2"-Sendung ein einziger deutlich vernehmbarer Satz hilfreich gewesen, um die gar nicht so schicksalhafte Dimension der Affäre zu kennzeichnen. Der Moderator Rudolf Nagiller hat ihn gesprochen: "Wenn die Kamera kommt, verändert sich sofort das Leben rundherum." Wenn dem so ist (und es ist so), dann muss die handwerkliche Frage gestellt werden, warum das ORF-Kamerateam mit zwei mitgebrachten Skinheads in eine FPÖ-Veranstaltung hineinfährt - und dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache damit die willkommene Gelegenheit liefert, sich selbst als Opfer der Mediengewalt darzustellen.
Darauf müsste sich die Debatte konzentrieren, während das noch unter Verschluss gehaltene elektronische Material wenig hilft - egal, ob der ORF es nun herausrückt oder nicht. Der Presserat kann aus der Affäre, für die er nicht zuständig wäre, immerhin eine Wahrheit ableiten: Er wird nur dann ernst genommen werden, wenn er Medienethik sachlich und unparteiisch auslegt und sich nicht um den politischen Hintergrund handelnder Personen oder gar ideologische Sympathien und Antipathien kümmert.
Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".