Kaum nimmt der Verein zur Selbstkontrolle der österreichischen Medien die Arbeit auf, hagelt es Kritik von vielen Seiten. Nicht immer trifft sie den Kern der Sache.
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Nach vieljährigen Bemühungen ist in Österreich endlich eine Institution geschaffen worden, die es in rund 30 europäischen Staaten längst gibt, wenn auch in variierender Ausstattung: ein Österreichischer Presserat. Dieser hat bereits Beschwerdefälle aufgegriffen, Streitschlichtungen eingeleitet und in einem Fall eine signifikante Entscheidung gefällt, indem er der Boulevard-Gratiszeitung "Österreich" - ohne sie namentlich zu nennen - eine "grobe Verletzung der Grundsätze für die publizistische Arbeit" vorwarf. Das Blatt hatte den Rechnungshofpräsidenten Josef Moser ohne Rücksprache in Verbindung mit angeblichen Geheimkonten des verstorbenen Landeshauptmanns Jörg Haider gebracht. "Österreich" anerkennt den Presserat gar nicht. Im Tätigkeitsbericht des Presserates wurden deshalb der Fall und seine Lösung im Rahmen eines "amtswegigen Verfahrens" bloß berichtet, ohne dass der Name des Beschuldigten dabei stand. Der ist aber nicht schwer zu erraten.
Offenbar befindet sich der Presserat im ersten Jahr seiner Existenz auf einer Gratwanderung. Ein Missverständnis besteht darin, in ihm eine Art Ersatzgerichtsbarkeit zu sehen oder gar eine zweite Schiene für Medienrechtsprozesse. Stattdessen grenzt sich der Presserat mit seiner "freiwilligen Selbstkontrolle" von medienrechtlichen Prozeduren deutlich ab und will den Medienschaffenden mit seinen Entscheidungen eine "ethische Richtschnur" bieten, wie es in seiner Aufgabenbeschreibung heißt.
In Beschwerdefällen lässt er sich auf Schiedsgerichtsbarkeit ein, wenn Streitparteien dies wünschen, verbaut diesen aber zugleich den Gang zum wirklichen Richter: "Im ordentlichen Verfahren verpflichten sich die Beschwerdeführer durch Unterzeichnung einer Erklärung, den Österreichischen Presserat in der gegenständlichen Angelegenheit als Schiedsgericht anzuerkennen und dadurch auf die Anrufung der ordentlichen Gerichte zu verzichten."
Das ist eine weitgehende, auch stark kritisierte Festlegung. Darauf haben die im Verband österreichischer Zeitungen vertretenen Verlage großen Wert gelegt, und zwar in der nicht abwegigen Befürchtung, dass sich jemand zuerst vom Presserat die passenden Argumente holen könnte, um danach vor Gericht leichter mit einer Schadenersatzklage gegen ein Medium durchzukommen.
Im Presserat spielen Juristen eine Rolle, wenn es aber um die "ethische Richtschnur" geht, bleibt diese in der Hand erfahrener Journalisten, die vom Handwerk und der Medienwirklichkeit viel verstehen. Rechtsanwälten mag eine derartige Konstruktion dubios erscheinen. In der vergangenen Woche formulierte bei einem von der Akademie der Wissenschaften einberufenen Symposium der angesehene, auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Gottfried Korn etliche dieser Vorbehalte: Der Ehrenkodex für die österreichische Presse sei ein "Sammelsurium", und das Problem des Österreichischen Presserats sei, dass de facto nur journalistische Berufskollegen entscheiden.
Der Presserat wird mit solchen Vorwürfen leben müssen. Es hätte aber andererseits keinen Sinn, ein Organ freiwilliger Selbstkontrolle mit allen Rüstungsgegenständen auszustatten, die typisch für das staatliche Gerichtswesen sind. Der Unterschied beginnt schon bei der Finanzierung: Wer sich an den Presserat wendet, zahlt nichts dafür.
Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist für "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".