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Der Prophet kommt ins eigene Land

Von WZ-Korrespondent Sebastian Moll

Politik

Am 19. April stehen die Vorwahlen in New York an, einer Stadt mit einer starken jüdischen Wählerschaft.


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New York. Bernie Sanders’ Wahlkampf ist überaus erfolgreich in Brooklyn, dem jüngsten und coolsten Stadtviertel der USA. Kaum sonst wo im Land gibt es eine derart große Konzentration an progressiven, linksgerichteten Wählern, für die das Label "Sozialist", das Sanders sich selbst gibt, kein Makel, sondern eine Auszeichnung ist.

Dennoch war Sanders’ Besuch im Brooklyner Wohnbezirk Midwood, in dem er aufgewachsen ist, am vergangenen Wochenende alles andere als ein durchschlagender Erfolg. Midwood ist eine Wohngegend, in der die Zeit stehen geblieben ist. Die Hipster-Cafés, Nachtclubs und veganen Restaurants von Williamsburg sind hier noch nicht angekommen. Wie in den 50er und 60er Jahren, als der kleine Bernie hier auf der Straße Baseball spielte, ist Midwood noch immer eine vorwiegend jüdische Gemeinde. Und die ist gegenüber dem Kandidaten aus ihrer Mitte eher skeptisch.

"Sohn polnischer Einwanderer"

"Er ist sehr kritisch gegenüber Israel", sagt etwa David Rosenberg, der nur drei Häuser von dem Apartmentgebäude entfernt wohnt, in dem Sanders groß geworden ist. "Wir Juden haben es satt, attackiert zu werden." Davids Freund Baruch störe sich zwar nicht so sehr an Sanders’ Haltung zu Israel. "Ich glaube nicht, dass er unser Existenzrecht anzweifelt." Doch Sanders’ Rhetorik des sozialen Ausgleichs ist dem jungen Mann ein wenig zu kämpferisch: "Er sät Zwietracht statt Frieden."

"Es ist mir völlig gleichgültig, dass er ein jüdischer New Yorker ist", sagt Zahava Alter-Lipton, eine junge Mathematikerin aus Queens. "Ich wähle keinen Präsidenten aufgrund seiner Religion oder wegen der Stadt, in der er aufgewachsen ist." Auch Lipton ist die klassenkämpferische Rhetorik von Sanders zu extrem: "Leute sind keine schlechten Menschen, nur weil sie reich sind." Und Sanders Äußerungen zu Israel und Palästina stimmen sie ebenfalls "besorgt". Sanders hat mehrfach betont, dass er den israelischen Militäreinsatz in den besetzten Gebieten für "überzogen" hält. In einem Interview mit der "New York Daily News" behauptete er, Israel habe 10.000 unschuldige Palästinenser im Gaza getötet, eine Zahl, die er später offiziell korrigieren ließ. Das Interview veranlasste die "Daily News" zu einem Leitartikel, in dem die Zeitung amerikanischen Juden davon abriet, für Sanders zu stimmen.

Mehr noch als an seiner kritischen Haltung zur israelischen Regierung stören sich jedoch viele jüdische Amerikaner daran, dass Sanders sich nicht eindeutig genug zu seinem Judentum bekennt. So fanden es viele jüdische Wähler merkwürdig, dass er sich nach seinem Wahlsieg in New Hampshire "als Sohn polnischer Einwanderer" bezeichnete, aber kein Wort über sein Judentum verlor. "Er leugnet zwar nicht sein Judentum", sagt etwa Steve Rabinowitz, Direktor einer PR-Firma in Washington, der eine Kampagne von "Juden für Hillary Clinton" leitet. "Aber wir hätten es lieber, wenn er sich etwas deutlicher dazu bekennen würde."

Sanders ist, wie seine Eltern es waren, weitaus stärker politisch motiviert als spirituell. Seine Mutter war Gewerkschaftsführerin, sein Vater, ein Farbenverkäufer, überzeugter Kommunist. Das war für Juden im Brooklyn der 50er Jahre typisch. Doch heute ist Bernie Sanders, ein verspäteter Erbe "einer 150 Jahre alten Tradition von jüdischen Radikalen, die sich mehr darauf konzentrierten, die Welt zu verbessern, als ihre Religion auszuüben", wie die "New York Times" schrieb.

Und so neigen gerade in New York die meisten jüdischen Wähler dazu, für die gemäßigtere Hillary Clinton zu stimmen. In jüngsten Umfragen haben 59 Prozent der New Yorker Juden ihrer Unterstützung für sie Ausdruck verliehen.