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Der slowakische Premier Fico zeigt sich unbeeindruckt von den Demonstrationen und will die Krise bis Montag lösen.
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Bratislava. Peter Nagy hat zwei Forderungen an die slowakischen Politiker. Unabhängige Ermittler sollen gemeinsam mit einem internationalen Team den Mord am Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova aufklären. Auch brauche es eine Regierung, die nicht mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht werde, damit die Bürger wieder Vertrauen in den Staat hätten. Deshalb hat Nagy zu Märschen aufgerufen, bei denen am Freitag voriger Woche Zehntausende in 50 Städten in der Slowakei und der ganzen Welt der Toten gedachten.
Am Freitag zogen die Menschen schon an fast 60 Orten rund um den Globus auf die Straße. 25.000 wurden allein zur zentralen Kundgebung auf dem Platz des Slowakischen Nationalaufstandes in der Bratislavaer Innenstadt erwartet. Das sind die größten öffentliche Proteste seit der samtenen Revolution, die 1989 den Fall des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei auslöste.
Chance auf Dialog verspielt
Hinzu kommen Abertausende, die sich in den sozialen Medien dem Aufruf "Ich bin für eine anständige Slowakei" angeschlossen haben. Eine überwältigende Mehrheit von ihnen ist es leid, dass das exekutionsgleiche Ende des jungen Paares über einer seit nunmehr knapp zwei Wochen anhaltenden Polit- und Medienschlacht um eine mutmaßliche Zersetzung des Staatsapparats durch mafiöse Strukturen in Vergessenheit zu geraten droht.
Ein Ende der Auseinandersetzungen ist noch lange nicht in Sicht. Staatspräsident Andrej Kiska, Regierungschef Robert Fico und Nationalratsvorsitzender Andrej Danko bekundeten nach einem Treffen am Freitag zwar ihr Interesse an einer alsbaldigen Wiederherstellung der Ruhe im Land. Zur tagelang avisierten Unterzeichnung eines Dokuments, durch das sich die drei ranghöchsten Politiker der Slowakei verpflichtet hätten, alles aus ihrer Sicht Mögliche zur Entspannung der Lage zu unternehmen, kam es aber gar nicht erst.
Für Kiska sind die Märsche eine von einer breiten gesellschaftlichen Basis getragene Angelegenheit. Fico spricht von Gruppierungen, welche die staatliche Ordnung erschüttern wollten. Aufgrund der Differenzen forderte Kiska erneut Neuwahlen oder eine Reorganisierung der Regierung, wobei er erstmals Neuwahlen den Vorzug gab.
Damit scheint auf politischer Ebene nahezu jede Chance verspielt, in einen Dialog mit den empörten Bürgern zu treten. Vielmehr treten seit Kuciaks Ermordung immer tiefere Gräben in der Gesellschaft zutage. Genährt wird das Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt nicht zuletzt durch Verlautbarungen wie die des Generalstaatsanwalt Jaromir Ciznar, die Ermittlungen im Fall Kuciak kämen kaum vom Fleck, selbst wenn in einigen Tagen die ersten internationalen Ermittler in der Slowakei eintreffen. Mehr als unbefriedigend ist auch die Feststellung des Sonderstaatsanwalt Dusan Kovacik, er gehe weiter von mehreren Mord-Szenarien aus.
Bis Montag entscheidet sich das Schicksal der dritten Regierung von Ministerpräsident Fico. Dann gibt der kleinste Koalitionspartner Most-Hid bekannt, ob er das Bündnis mit Ficos sozialdemokratischer Smer-SD, Dankos nationalistischer SNS und der wertkonservativen Siet fortsetzt. Entscheidend dafür ist, ob Ficos Parteifreund und Innenminister Robert Kalinak im Amt bleibt. Kalinak, wegen zweifelhafter Geschäfte schon in den Vorjahren Auslöser öffentlicher Proteste, steht seit der Ermordung Kuciaks noch einmal mehr unter Druck.
Entlassung erwartet
Aus Sicht seiner Kritiker vermag er Sicherheit und Ordnung im Lande nicht zu garantieren. Schwer wiegt derzeit vor allem, dass Staatsanwalt Vasil Spirko Kalinak und den früheren Finanzminister Jan Pociatek im Zusammenhang mit einer öffentlichen Ausschreibung im Jahre 2010 vor Kurzem wegen Korruption, Kalinak außerdem wegen systematischer Behinderung seiner Ermittlungen und Verunglimpfung angezeigt haben will. Den zuständigen Behörden liegt jedoch Generalstaatsanwalt Ciznar zufolge bisher nichts Entsprechendes vor.
In diplomatischen Kreisen wird erwartet, dass Fico Kalinak entlässt, um gemeinsam mit Most-Hid weiter zu regieren. Der Soziologe Peter Haulik schließt nicht aus, dass Fico eine Minderheitsregierung wagt, falls Most-Hid aus der Koalition ausscheidet. Diese werde in sozialen Fragen Unterstützung auch aus den Reihen der Opposition finden. Von Neuwahlen würden derzeit nur Smer-SD, für die sich zwecks stabiler Verhältnisse immer noch mehr als ein Viertel der Wähler entscheiden würden, und die Rechtsparteien Sme rodina von Boris Kollar und LSNS von Marian Kotleba profitieren. Beide kämen auf jeweils mehr als zehn Prozent aller Stimmen. Dabei fordert Kollar Neuwahlen, Kotleba hingegen stellt sich hinter Premier Fico.